Daß auch viele Künstler Fuchsens Vorhaben gutheißen, die Kunst kostbar machen zu wollen, sie, wenn auch mit unbestimmtem, aber doch mit Anspruch wieder auszustatten, belegt dieses Werk von Mariani. Es zeigt auch, in welcher Hinsicht Ansprüche erhoben werden könnten. Mariani greift den alten Typus der Parnassdarstellung auf, wie er im Klassizismus (rund um 1800) von Raffael Mengs bis zu Ingres vorherrschte. Von den Deutsch-Italienern des Klassizismus fühlt sich Mariani ohnehin angezogen. Mengs und Tischbein sind als Maler, Winckelmann und Goethe als Literaten offensichtlich für ihn interessant. Wie Mengs situiert Mariani den Parnass in eine arkadische Landschaft, wie Ingres (in der Apotheose des Homer) versammelt er dort die Künstler als Heilige der Moderne. Auf den arkadischen Parnass versetzt Mariani vor allen sich und seine Künstlerkollegen des heutigen Italien, soweit sie eine Gruppe um den Kritiker Oliva bilden.
Der thront links im Bildmittelgrund in blutroter Toga, bekränzten Hauptes in einer Pose, wie sie David für die Darstellung Napoleons und wie sie Ingres für die Darstellung des Augustus wählten. In der ausgestreckten Linken sein Portrait als Schattenriß; die Rechte ruht hoheitsvoll auf einer Marmorbüste, die ebenfalls Oliva darstellt. Hinter ihm in Architektur, Skulptur und dem Reigentanz der anspruchsvolle Hinweis auf die ersten europäischen Großmeister und Kunstgötter: Iktinous, Phidias und Apelles.
Seitlich vor dem Imperator Oliva beugt sich die Allegorie der Stadt Rom "erschüttert, konsterniert" über den Kölner Galeristen Maenz, der, ebenfalls togagewandet, im Halbprofil mit Schlapphut gezeigt wird, wie Tischbein Goethe zeigte. Daneben das von Goethe für seinen Weimarer Garten entworfene Denkmal (Kugel auf Quader). Aufs Denkmal gelehnt, ein Pergament lesend, der Galerist Sperone. Der Büstenkopf zwischen Muse und Sperone ist Enzo Cucchi. Seitlich vor Maenz, an den Ufern der kaskierten Lethe, dem Strom des Vergessens, ein Putto mit Maske, Gipstorso und Rabe, Hinweis auf ein Werk von Kounellis. Im Zentrum des Bildes der herrschaftlich posierende Mariani mit Blick aus dem Bilde. Er ist in der Darstellung ein Mixtum aus einem Selbstportrait von Mengs (Zeichnungsmappe genau überkommen) und Ingres‘scher Großbürgerdarstellung. Ihm zu Füßen ein hellenistischer Hermaphrodit (heute im Louvre und Vatikan in guten Marmorkopien vertreten) als Allegorie der Zwittergestalt des Künstlers. Vor der Draperie, auf der der Hermaphrodit ruht, eine Schildkröte mit Beschwerung durch ein Meßgewicht: das Emblem festina lente = Eile mit Weile, Stetigkeit des strebenden Bemühens führt zur Erkenntnis. Schildkröte, italienisch tartaruga, war auch der Name der Galerie, die sich als erste um diese Künstlergruppe kümmerte. Über dem Meister Mariani, im Akt der Vergöttlichung, vom Attributtier des Göttervaters heimgeholt, Luigi Ontani als Ganymed. Rechts daneben zwei identische antike Gipsbüsten auf Stelen, ein Hauptwerk von Paolini. Davor ein Dichter (Federkiel) in Winckelmannpose, der die Muse Camena zärtlich um die Schulter faßt. Die Muse schaut verklärt Mariani an. Muse und Dichter sitzen auf einer antiken Säulentrommel. Rechts neben Paolinis Gipsköpfen Clemente, links neben ihm Chia mit Leinwand; ihm hebt ein Putto die Palette mit Farben entgegen. Das Goldstück in Chias Hand kennzeichnet ihn als geldgierig. Der Kopf hinter Chia: der Sammler Panza di Biumo?
Die gesamte rechte Seite des Gemäldes ist ein Programm: Cestiuspyramide mit römischer Stadtmauer, davor das Reiterstandbild Mare Aurels vom Capitol, davor der Herkules Farnese. Der reitende Künstler (?), wie aus dem Triumphzug Mantegnas entnommen, trägt in der Linken eine Hoheitsstandarte mit der Inschrift: "Im Namen der Regierung und des Volkes von Rom". Im Rückenakt des Herkules Farnese hat man Mario Merz zu sehen; er stützt sich statt auf die Keule, das herkömmliche Attribut des Herkules, auf eines jener Rutenbündel, die Merz auch in seiner documenta-Spirale verwendet. Das Rutenbündel mit Doppelaxt und umwindendem Band war Hoheitszeichen der antik-römischen wie der faschistischen Regierung. Von diesen Rutenbündeln, den Fasces, leitet sich auch der Begriff Faschismus ab. In der auf den Rücken gedrehten rechten Hand hält Herkules Merz drei Schneckenhäuser, deren Spiralwindungen nach der Zahlenreihe von Fibonacci verlaufen, mit der Merz als einem kosmischen Ordnungsgesetz in fast allen seinen bisherigen Werken arbeitete. Herkules steht in einer Wanne, Requisit eines anderen Werks von Merz. An die Wanne gelehnt ein Freundschaftsbild von Mengs. Davor im Grase der aufgerollte Ariadnefaden.
Im linken Bildvordergrund ruht am diesseitigen Ufer der Lethe die Allegorie der Kultur. Hinter ihr ein roher Fels und eine kunstvolle Bearbeitung eines Steins. Vor ihr der Triumph der Kultur über die Natur: Das Wasser der Lethe bildet konzentrische Rhomben statt Kreise. Die Geometrie der Wassermalerei kann auch als Labyrinth gelesen werden. Die nackte Gestalt diesseits der Lethe wäre dann der normale Bildbetrachter oder Kunstliebhaber, denn die Bilddarstellung in starker Untersicht ist seiner Perspektive angenähert. Er scheint erwartungsvoll auf die neuen Götter des Kunsthimmels zu blicken. Der Ariadnefaden, dessen er bedürfte, um das Labyrinth sicher durchlaufen zu können, liegt erst am jenseitigen Ufer. Des Rätsels Lösung bietet sich erst, wenn man es bereits hinter sich gebracht hat.
Und das Programm?
Endlich wieder ein Künstler sein dürfen, der im Namen von Regierung und Volk handelt! Staatskünstler, göttergleich und mächtig wie ein Imperator, auf festem Platz in der ewigen, nicht bloß historischen Ordnung, die die Großen von den winselnden Kleinen scheidet. Die Kleinen bilden als Volk eine Prozession von Gläubigen, die sich ihres Glaubens sicher fühlen können, weil die Herren Götter sie ansehen.
Dieses Gemälde von Mariani am Ausgang der d 7 wie Byars Goldturm am Eingang: So macht man Staat. Der Präsident, den Haacke über roten Teppich aufs protestierende Volk schauen läßt, kann ganz beruhigt sein: Der Protest ist nur ein "Gerücht" von Lüpertz, das dem Volk von Rudi Fuchs auf den Rücken wie eine Denunziation geheftet wurde. "Nennen sich Künstler, Meister gar – allein wo sind die, die sie anerkennen?" Die documenta führt sie vor, jeder Besucher soll zu einem werden, der huldigt. Huld schafft Kunst.