Buch BESUCHERSCHULE d 7

Die Hässlichkeit des Schönen - Spaziergänge Tempelgänge Paradegänge

Besucherschule zur d7, 1982
Besucherschule zur d7, 1982

Fotos: Lothar Koch. Verantw.: Walter Spötter
Besucherschule zur Documenta 7: Die Hässlichkeit des Schönen

  • Spaziergänge durch die Ausstellung – Im Gehen sehen
  • Tempelgänge in der Documenta – Im Sehen verstehen
  • Paradegänge zur d 7 – Im Verstehen weggehen

Erschienen
1981

Autor
Brock, Bazon

Verlag
D+V Paul Dierichs GmbH & Co KG

Erscheinungsort
Kassel, Deutschland

ISBN
3-920453-03-6

Umfang
133 S. : zahlr. Ill. ; 28 cm

Seite 18 im Original

2 Kirkeby

Die Alltagswahrnehmung des Spaziergängers wird vor Kirkebys Skulptur die Assoziation eines Zweckbaus nahelegen: vielleicht so etwas wie ein Transformatorenhäuschen? Die Identifizierung der Skulptur als Haus stößt aber auf Schwierigkeiten, weil wir an ihm keinerlei Öffnungen, weder Türen, noch Fenster, noch Dachluken oder Schornsteine und keinerlei andere sichtbare Verbindungen von Innen und Außen feststellen können. Sogar das Dach besteht aus Mauersteinen. Auf jeden Fall legen aber die betonten Gestaltungselemente (gehöhlte Pfeiler, abgestufte Übergänge, vorragende Flächen und die Proportionen) die Vermutung nahe, daß der Bau (die Skulptur?) entscheidend von außen gesehen werden sollte.
Auf der Ebene der künstlerischen Wahrnehmung, das heißt in der Bereitschaft, die demonstrierte Gestaltung nicht für unbegründet oder zufällig zu halten, wird man bemerken, daß die eigene Vorstellung ins Innere der Skulptur eindringt. Ist es massiv oder eine Hohlform? Wenn Letzteres, ist sie strukturiert, z. B. durch Zwischenwände? Die vorragenden Flächen wären auch als Kopfenden eines Gebälks lesbar, das die Skulptur im Inneren durchzieht. Lesen wir den Bau als Skulptur, dann wird psychisch eine Beziehung von Innen und Außen etwa so erfahrbar, wie wir uns selbst als Körper wahrnehmen. Auch in unser Inneres, das Körperinnere, können wir nur mit der Vorstellung eindringen.
Auf der Ebene spezifischer, z. B. kunsttheoretischer Wahrnehmung zwingt uns der Bau die Frage auf, in welchem Verhältnis Skulptur und Architektur stehen. Sind die Gestalteinheiten der Architektur an ihrer Oberfläche, der Außenhaut, als Skulpturen zu werten; definiert der innere Funktionsraum der Architektur die Außenhaut?
Wenn Architektur dadurch definiert wird, daß sie Handlungsräume funktionsgerecht ausgrenzt, dann scheint Architektur im Inneren der Baukörper formuliert zu sein. Sehen wir die Architektur von außen (von ihrer Umgebung als Handlungsraum), dann wirkt Architektur als Skulptur, weil die einzelne Architektur für sich nicht in der Lage ist, den Außenraum zu definieren.
Skulptur ist ein Körper, der einzeln steht, der für sich steht; das demonstriert Kirkebys Bau auch durch den Vergleich mit dem freigestellten Eckpavillon der Orangerie. Der wird als Skulptur nicht lesbar, weil er nur im Zusammenhang mit dem zentralen Baukörper der Orangerie wahrnehmbar ist.
Skulptur, die nicht nur architektonische Dekoration bleibt, ist Widerstand gegen den Versuch, Raum schaffende und im Raum stehende Körper als das gleiche aufzufassen.