Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager, und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen. „Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben", sagt er zu sich selbst; „fern ab liegt mir die Habsucht: aber die blaue Blume sehn' ich mich zu erblicken Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anderes dichten und denken. So ist mir noch nie zumute gewesen: es ist, als hätt ich vorhin geträumt, oder ich wäre in eine andere Welt hinübergeschlummert, denn in der Welt, in der ich sonst lebte, wer hätte da sich um Blumen bekümmert, und gar von so eine Leidenschaft für eine Blume hab ich damals nie gehört. ... Daß ich auch nicht einmal von meinem wunderlichen Zustande reden kann! Es ist mir oft so entzückend wohl, und nur dann, wenn ich die Blume nicht recht gegenwärtig habe, befällt mich so ein tiefes, inniges Treiben: das kann und wird keiner verstehen.“...
Der Jüngling verlor sich allmählich in süßen Phantasien und entschlummerte.
Da träumte ihm erst von unabsehlichen Fernen, und wilden, unbekannten Gegenden. ... Er fand sich auf einem weichen Rasen am Rande einer Quelle, die in die Luft hinausquoll und sich darin zu verzehren schien. Dunkelblaue Felsen mit bunten Adern erhoben sich in einiger Entfernung; das Tageslicht, das ihn umgab, war heiler und milder als das gewöhnliche, der Himmel schwarzblau und völlig rein. Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstliche Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter
wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. ... ”Lieber Vater, … wenn Ihr zuerst in Eurem Leben einen Traum hättet, wie würdet Ihr nicht erstaunen!“ ... „Du erinnerst mich eben zur rechten Zeit", sagte der Alte; „ich hatte diesen seltsamen Traum ganz vergessen, der mich damals lange genug beschäftigte: … Ein glänzendes Licht war in der Höhle verbreitet. … Nach einer Weile sah ich von Weitem eine Dämmerung, als wollte das Tageslicht einbrechen. Ich eilte darauf zu, und befand mich bald auf einer grünen Plane; … Ungeheure Bäume mit großen glänzenden Blättern verbreiteten weit umher Schatten. Überall Quellen und Blumen und unter alle gefiel mir eine ganz besonders, und es kam mir vor, als neigten sich die anderen gegen sie. Soviel weiß ich noch, daß mir ganz unaussprechlich zumute war, und ich mich lange nicht nach meinem Begleiter umsah. … Mein Begleiter stand bei mir, und sagte: Du hast das Wunder der Welt gesehn. Es steht bei dir, das glücklichste Wesen auf der Welt und noch über das ein berühmter Mann zu werden. Nimm wohl in acht, was ich dir sage: wenn du am Tage Johannis gegen Abend wieder hierher kommst und Gott herzlich um das Verständnis dieses Traumes bittest, so wird dir das höchste irdische Lob zuteil werden; dann gib nur acht, auf ein blaues Blümchen, was du hier oben finden wirst, brich es ab, und überlaß dich demütig der himmlischen Führung. (Novalis, aus: Heinrich von Ofterdingen, 1799/1800)
Zitat:
Im Garten stand die frühe Waise, / Und senkt den Blick zum Blumenfeld / Die Sonne sank im Purpurgleise, / Die Sterne spannen aus ihr Zelt. / O Stern und Blume, Geist und Kleid, / Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. / [...] / Ihr lieben Blumen still und innig / Ein Tröpfchen Tau, ein Licht, ein Hauch, / Ihr lieben Sterne klar und sinnig / Ein Strahl, ein Blick, ein Blitz, ein Aug'. / O Stern und Blume, Geist und Kleid, / Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. / [...] Und wiegt die tauberauschte Rose, / Im Dornenbettchen bald zur Ruh', / Und schließt dem Veilchen in dem Moose, / Die frommen Augen segnend zu. / O Stern und Blume, Geist und Kleid, / Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit./ […] / Sieh dorten um die süße Linde / Steht eine reine Lilienschar, / Der Engel zeigte sie dem Kinde, / Sie leuchteten ganz wunderbar. / O Stern und Blume, Geist und Kleid, / Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. / […] / Die Lilie, die nicht zieht nicht schweifet, / Nicht fallen läßt und wieder sucht / Die sehnend still zum Lichte greifet, / Sie fand das Licht und trug die Frucht. / O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. / So sprach der Engel zu dem Kinde / Und führt es zu der Lilie Licht, / Da kniet es nieder an der Linde / Und fand im Traum die Worte nicht. / O Stern und Blume, Geist und Kleid, / Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit. (Clemens Bretano, aus: 20. Jenner nach großem Leid, 1835)
Abbildung:
S.159: Wiese im Wald, Hans Thoma, 1876, Hamburger Kunsthalle.