Eine Essenz

Warum? Weil das Gelingen der Selbstfesselung, des civilisierten Menschen nur daran sichtbar ist, dass er von Zeit zu Zeit durchknallt oder, dass ihm die Gäule durchgehen oder, dass er die Sau rauslässt oder, dass er entgleist und man am nächsten Tag zur Entschuldigung kommt und sagt: Ich hab mich furchtbar benommen. Und genau nur das ist ein Zeichen der Civilisiertheit. Nicht die Tatsache, dass man nicht die Sau rauslässt, sondern, dass wenn sie rausgelassen worden ist, also die Natur freien Lauf hatte – Kultur im höchsten Ausdruck –, dass man das sofort kapiert, an sich sofort [be]merkt und sich dann entsprechend daraufhin bei den anderen meldet und sagt, ich hab es verstanden, ich weiß ganz genau was ich gemacht habe. Das ist das wahnsinnige Motiv der alttestamentarischen Schilderung des heimkehrenden Sohnes – eines Räubers, eines Erpressers, eines Gauners, eines Frauenvergewaltigers, eines Lümmels, eines Herumluderers –, der vom Vater aufgenommen wird, in viel höheren Ehren gehalten wird als der zuhause gebliebene rechtschaffene, gutmütige, wunderbar freundschaftlich fried[]fertige Sohn, der in den 40 Jahren, in denen der andere weg war, den Familienacker bestellt hat ohne sich je etwas zu Schulden kommen zu lassen.
Quelle

Gefährliche Unterscheidung zwischen theoretisch und praktisch: – Abschnitt in:

Vortrag / Rede

Tagung „Moderne und Historizität“

Vortrag / Rede · Termin: 11.02.2009, 20:00 Uhr · Veranstaltungsort: Weimar, Deutschland · Veranstalter: Klassik Stiftung Weimar

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