Buch Kürzeste Besucherschule d15 von Bazon Brock, Denker im Dienst der Polemosophie

Der Fluch der guten Tat. Kulturalismus erledigt die Kunst

Der deutsche Aberwitz zitiert gern eine altgriechische Weisheit: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge!" Gemeint ist bei Heraklit aber nicht der Krieg, sondern das Streiten, das Polemisieren, das Pointieren von Behauptung und Gegenbehauptung. Polemosophie ist also augenöffnende Polemik. Wie weit die Deutschen von der griechischen Autorität entfernt sind, sieht man daran, dass von allen Halbgebildeten "Polemik" als abwertender Begriff gebraucht wird.

Vorabdruck (Auszüge) in der Süddeutschen Zeitung vom 1.07.2022.

Erschienen
18.07.2022

Verlag
Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König

Erscheinungsort
Köln, Deutschland

ISBN
978-3-7533-0307-9

Umfang
32 S.

Seite 7-8 im Original

Als man den Rücktritt der documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann beraunte, schrieb Bazon Brock ihr am 22.06.2022 einen Brief:

Liebe Frau Schormann,
bitte auf keinen Fall zurücktreten! Ihre Argumente sollten lauten: Sie hätten sich an die Berufung der documenta-Leitung durch die Findungskommission zu halten. Sie selbst sind nicht für das Programm zuständig. Verantwortlich sind diejenigen, die die absolut autonome künstlerische Leitung bestellt haben.

Großspurig argumentierte die Politik zur Selbstglorifizierung, dass sie jetzt dem „globalen Süden“ endlich auch in der führenden Weltkunst-Ausstellung Geltung verschafft und sich sogar noch ausdrücklich dafür bedankt, dass die Leute des „globalen Südens“ uns Europäern endlich mal klarmachten, welche Schuld wir mit Anti-Imperialismus- und Anti-Kolonialismus-Aktionen zu begleichen hätten. (Der diesbezügliche Wortlaut der Hessischen Ministerin für höhere Bildung in der Pressekonferenz vom 15.06.2022 steht Ihnen ja zur Verfügung.)

Wer den „globalen Süden“ bestellt, muss ihn auch als das akzeptieren, als was er sich tagtäglich, jahraus, jahrein beweist, unter anderem als antisemitisch. Es ist lächerlich und anmaßend, wenn man, wie die Ministerin es tat, uns Jakarta als beispielhaft für gelungene künstlerische Intervention in soziale Fragen vorstellt, ohne die Realität, die dahintersteht, anzuerkennen. Alle diese Staaten des „globalen Südens“ sind nicht nur religiös-fundamentalistisch ausgerichtet, sondern verglichen mit der Sozialstaatlichkeit Westeuropas lassen sie asoziale Haltungen geradezu als selbstverständlich gelten. Vielleicht ist das ja gerade die Empfehlung unserer hochmögenden Politiker.

Die Ursache für das Missverhältnis von großsprecherischer Liberalität des Westens zur Anerkennung der Realitäten liegt eindeutig und allein in der denkerischen Unbelecktheit derjenigen, die Ruangrupa ganz gezielt zur d 15-Leitung berufen haben, weil sie immer noch Kunst und Kultur für ein und dasselbe halten. Niemand in der Berufungskommission hatte offensichtlich auch nur die geringste Ahnung von der geschichtlichen Entwicklung als Ausdifferenzierung der Künste und Wissenschaften aus allen kulturellen Hoheiten im Westen seit 600 Jahren. So konnte die documenta schließlich zur Märchenstunde des Kulturalismus werden, die den Weltanschauungen Erdogans, Putins und Xis auch hierzulande zur Geltung verhilft, mit dem Ziel, die absolute Autorität der Kulturen gegenüber den Künsten und Wissenschaften wiederherzustellen. In den Wissenschaften hat man das Problem eleganter erledigt, indem man verwertungsfreier Grundlagenforschung die Finanzierung sperrte und in allen anderen Bereichen Wissenschaftler zu Funktionsträgern der Industrie machte. Jetzt sind die Künste dran. Paragraph 5,3 Grundgesetz können sie bedenkenlos aushebeln, weil sie Künste und Wissenschaften für einen Ausdruck der Kulturen halten und
damit postulieren können, die Autorität der Kulturkollektive sei eben allein durch dieses Verständnis tatsächlich frei, willkürliche Machtentscheidungen zu treffen.

Also, liebe Frau Schormann, bleiben Sie stark, auch gegen Ihre eigenen Anfälligkeiten für allumfassende schwesterliche Fürsorge.

Ich habe mich entschlossen, mich in den kommenden Tagen intensiver zu den Vorgängen zu äußern.

Herzlich
Ihr
Bazon Brock

siehe auch: