Zeitung Frankfurter Rundschau

Kolumne „Bruderküsse“

Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.
Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.

Erschienen
12.03.1994

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
12.03.1994

Stiellos

Neulich im Parlament: der sonor röhrende FDP-Hirsch fördert das Letzte zutage, auf das er sich, auf das mann sich stützen könne, wenn es um die heiligsten Güter geht. Der Rückzug auf die ultima ratio führte wohin? Auf den Stil. Kommen wir auf den Stil, so kommen wir auf den Hund. Der Hund hieß Christo; das nur nebenbei, weil Hirsch Christo Stillosigkeit und - das ist wohl der Gipfel schlechten Stils - PR-Geilheit vorhielt. Nanu? Bezahlen nicht alle Parteien aus öffentlichen Mitteln reihenweise PR-Agenturen, um sich und ihre Volksvertreter ins rechte Licht zu setzen? PR-Kampagnen, die mindestens so stillos sind wie die von Otto Kern und von Benetton. "Es muß Dinge geben, die für private Vergnügungen nicht zur Verfügung stehen", so Hirsch. Dabei ist der vorherrschende Eindruck in der Bevölkerung und bei Fachleuten, daß die Parteien versuchen, Staat und Gesellschaft in ihre private Verfügung zu bringen mit dem Vergnügungsbonus materieller Versorgung ihrer Klientel und mit dem Lustgewinn der Machtausübung ihrer Führer im Strahlenbündel der PR-Sonne.

Unsere Parteien, unsere Volksvertreter - allesamt stillos, wetterte auch Bruderherz Bohrer über lange Jahre, aber was war und was wäre mit einem solchen Vorwurf zu erreichen? Fragen wir den Urheber der Stildebatte, den berühmten Biologen Graf Buffon, der vor der Akademie am 25.8.1753 deklarierte: "Le style est l'homme meme.", zu Deutsch: "Der Stil macht den Mann", gibt dem Individuum Charakter. Der Stil, um den es geht, ist der zugespitzte kleine Pfahl, mit dem man Wachstafeln beschrieb, also Charaktere (Buchstaben) gestaltete. Den Mann charakterisiert demnach sein gestalterischer Zugriff auf die Welt. Nicht erst feministische Gewitztheit enthüllte (Achtung, Christo!) den Stil des Mannes als seinen Stiel oder etymologisch richtig: "Das ist nicht mein Phall" - "Das ist nicht mein Stil."

Da kommen wir der Stildebatte auf's Stöckchen - mal Oberlehrerzeigefinger, mal vorgeschobenes Profil (wie in den PR-geschönten Herrscherbildchen). Der Stil macht den Charakter, und der Charakter manifestiert sich in der Mannhaftigkeit. Folgerichtig, sozusagen per Manipulation = Handbetrieb (igitt, wie stilvoll!) , brachte das PR-Magazin MännerVogue die Stildebatte auf den Höhepunkt: "Juan Carlos von Spanien - Stil haben heißt, im entscheidenden Augenblick seinen Mann zu stehen. Dagegen Constantin von Griechenland - keinen Stil haben heißt, im entscheidenden Augenblick nicht da zu stehen, wo man hingehört."

Die Aufforderung, Stil zu wahren, meint also den Appell, bei der Stange zu bleiben - Position statt Argumentation. Je mehr uns die Argumente abhanden kommen oder wirkungslos werden, desto wichtiger wird es, Potenz zu demonstrieren: als Stil, so wie die Punker, Rocker und Skins, die sich allesamt ganz ausgeprägte Stile zugelegt haben; die stilvollsten Gestalten der Zeitgenossenschaft, die Anti-Parlamentarier schlechthin, denn Parlamente entstanden ja, um die ewigen rituellen Kämpfe stilisierten Imponiergehabes von Machtrollenspielern durch freie Argumentation gemeiner Volksvertreter zu ersetzen. In diesem Sinne ist Demokratie notwendig stillos. Zurück zum Stil? Zurück in die Arena der Platzhirsche? Nicht zufällig ist der röhrende Hirsch das Sinnbild der ultima irratio des Untertans.