Buch Das Geheimnis des Geschmacks

Aspekte der Ess- und Lebenskunst

Das Geheimnis des Geschmacks, Bild: Umschlag.
Das Geheimnis des Geschmacks, Bild: Umschlag.

Die Essays dieses typografisch anspruchsvoll gestalteten Bandes gehen der Bedeutung des Geschmaks vom Mittelalter bis zur Gegenwart nach. In den Texten geht es aber auch um die sinnliche Grundaustattung des Homo sapines, um das Essen als erlaubte Lust, um das Verhältnis von Gesundheit und Genuss, die unterschiedlichen Essgewohnheiten der beiden Geschlechter, um Geschmackserziehung und Geschmackskultur, um guten und schlechten Geschmack in der ästhetischen Praxis.

Das Spektrum der Autorinnen und Autoren reicht vom Äshtetik-Professor über Kulturhistoriker, Volkskundler, Psychologen, Soziologen, Kunstkritiker, Literaturwissenschaftler bis zum kulinarischen Journalisten.

Erschienen
2004

Autor
Brock, Bazon | Sichtermann, Barbara | Teuteberg, Hans J.

Herausgeber
Hauer, Thomas

Verlag
Anabas

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

ISBN
3-87038-366-6

Umfang
240 Seiten, 50 s/w Illustrationen, 235mm × 145mm

Einband
Gebunden, ca. EUR 24,80, ca. sfr 43,50

Wer unterscheidet, macht das Unterschiedene bedeutsam und wertvoll

Die Hierarchie, die Realisierung von Geschmackskriterien der Modernität an einem Gegenstand des Alltags, den man immer mitführen kann, lässt sich z.B. an einem Paar goldener Essstäbchen, die wir 1978 vornehmlich für Japaner ediert haben, verdeutlichen. Damals kostete das Paar 1.800 DM, um zu demonstrieren, dass die gesamte Spanne der Modernitätskriterien, also des Geschmacks der Moderne, darin enthalten ist. Herkömmlich würde man sagen: Gold, das ist Luxurieren, das ist das Gegenteil von sinnvollem ökonomischem Verhalten. Aber diese Einschätzung ist ganz unsinnig. Denn wenn etwas aus Gold ist, dann schätzen wir es natürlich entsprechend unserer primitiven Natur, das heißt, wir halten es für wertvoll, und das heißt: Wir schmeißen es nicht weg! Wenn wir aber ein paar goldene Stäbchen, weil sie gülden sind, nicht wegschmeißen, dann werden wir zum Essen keine hölzernen verwenden. Wir werden also nicht dazu beitragen - Millionen, Hunderte von Millionen im asiatischen Raum machen das jeden Tag - durch Nutzung von Essstäbchen die Abholzung südamerikanischer Urwälder zu betreiben. Es ist also zweitens auch ein logo für den ökologischen grundlegenden Gedanken, also ein System des Unterscheidens und des Bedeutendmachens. Und drittens:
Jeder weiß, dass Gold keinen Schmutz annimmt. Ich brauche die Stäbchen also nach dem Essen nicht zu waschen. Es genügt, sie schlicht abzuwischen, und dann sind sie rein - immer hygienisch rein, Es ist ja ganz wunderbar, wie ich die Sache auch betrachte. Ökonomisch z.B. rechnet man durch: Was kostet für jeden Japaner die Überreichung eines Paares goldener Essstäbchen beim Mannbarkeitsfest - bei uns im katholischen Bereich ist das die Firmung, im protestantischen Bereich die Konfirmation - also wenn man ermittelt, was es kostet, jedem Menschen ein paar goldene Stäbchen von Staats wegen zu schenken. Man kommt zu dem ökonomischen Schluss, dass es unendlich viel billiger ist, dieses Verfahren voranzutreiben, als dem bisher bekannten Verfahren weiter zu folgen, also beim Handel mit den bisherigen hölzernen Essstäbchen zu bleiben. Also auch auf die Ökonomie, auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen, ist dies Verfahren unglaublich viel günstiger. Das Wichtigste an diesem Verfahren ist aber die Wertschätzung, das heißt die Orientierung auf die Bedeutung von etwas, weil an ihm so viele Kriterien des Unterscheidens festzumachen sind. Ich wertschätze im Sinne von: "Ich bin kein Wandale." Die Leute, die draußen - Narrenhände hieß das früher - Wände und Tafeln und Denkmäler beschmieren mit Spray, sind Leute, die auf verzweifelte Weise nichts wertschätzen können. Sie können die Dinge, die sie da sehen, nicht an Systeme des Unterscheidens binden, ihnen also gar keine Bedeutung zugestehen. Deswegen, "ex negativo", leugnen Graffiti-Sprayer durch Ausstreichen und Beschmieren etc. die Bedeutung, die andere Menschen den öffentlichen Flächen und Gegenständen geben, weil sie nur aus der Möglichkeit leben, die Systeme des Bedeutend-Machens anderer Leute, z.B. die gotischer Bauwerke für das Bildungsbürgertum, durchzustreichen. Graffiti-Sprayer erreichen durch diese Art des Leugnens, überhaupt noch auf Wert bezogen zu sein. Wertschätzungsstrategien dieser Art sind für die moderne Gestaltung grundlegend.