Buch Die Welt zu Deinen Füßen

Den Boden im Blick: Naturwerk - Kunstwerk - Vorwerk

Die Welt zu Deinen Füßen, Bild: Titelseite. + 6 Bilder
Die Welt zu Deinen Füßen, Bild: Titelseite.

Den Boden im Blick
Warum küßt der Papst den Boden?
Warum werden rote Teppiche ausgerollt und Blumen gestreut? Wurden Sie auch schon mal ermahnt, hübsch auf dem Teppich zu bleiben oder hat man Ihnen bereits die Welt zu Füßen gelegt.

Offensichtlich hatte der Boden, auf dem wir stehen, immer schon eine elementare kulturelle Bedeutung. In Antike und Mittelalter bildete man kosmische Ordnungsvorstellungen, Weltmodelle und die Ornamente der Schöpfung auf dem Boden ab. Die Aufmerksamkeit für den Boden schwand gerade dadurch, daß man ihn in den modernen Zivilisationen von Unrat und Unebenheiten befreite, ihn betonierte und aphaltierte. Die zivilisatorische Uniformierung unserer Böden hat inzwischen eine Gegenbewegung hervorgerufen.
In Architektur und Design richtet sich heute der Blick wieder auf den Boden.

Zu den Trendsettern in diesem Bereich gehört der Teppichbodenhersteller Vorwerk, der mit Künstlern wie Robert Wilson, Rosemarie Trockel und Jeff Koons völlig neue Wege in der Bodengestaltung beschreitet.

Der bekannte Alltagsästhetiker Bazon Brock nimmt in zwölf Kapiteln je einen Entwurf aus Vorwerks Flower Edition zum Anlaß, um an Beispielen aus der Kunstgeschichte, der Architektur und Kultivierung der Natur die Welt zu unseren Füßen zu thematisieren.

Erschienen
01.01.1999

Autor
Brock, Bazon

Herausgeber
Vorwerk-Teppichwerke in Hameln

Verlag
DuMont

Erscheinungsort
Köln, Deutschland

ISBN
3-7701-4483-X

Umfang
239 S. : überw. Ill. ; 29 cm

Einband
Pp.

Seite 142 im Original

Im Garten der höfischen Liebe

„Nehmt Herrin, diesen Kranz!" / So sagte ich zu einem schönen Mädchen. / „Dann schmückt Ihr den Tanz mit den schönen Blumen in Euerm Haar. / Hätt ich Gold und Edelstein, dann müßten sie auf Fuer Haupt - / wie Ihr mir glauben werdet. / Wirklich, ich meine es ehrlich!" / Und sie nahm das Gebotene an / wie ein junges Mädchen annimmt, das wohlerzogen ist: Sie errötete, / und die Farbe der Hose kam zu der der Lilie." / Was Walther von der Vogelweide als Ausdruck höfischer Gesittung anspricht, verstand sich nicht von selbst. Die kampflüsternen und tatendurstigen jungen Rabauken mußten zum Dienst an der Dame erst erzogen werden. Der Illustrator des französischen „Romans" „Les Echecs Amoureux" schildert in offener Landschaft zu Füßen einer mächtigen Burg (linker Bildhorizont) die Begegnung eines jungen Ritters und seines Lehrers mit einer höfischen Dame, die gerade aus dem Portal eines ummauerten Gartens tritt. Sie ist sehr auffällig kostbar gekleidet und hält in ihren Händen eine langhalsige Laute. Zu ihren Füßen das Schoßhündchen, Marien (=Glücks)käfer und einige Büschel von Wildblumen. Ihr äußerst skeptischer Blick gilt dem Jüngling, dessen Männlichkeit sich bisher auf die Hantierungen mit einem auffällig platzierten Jagddolch und die Bändigung eines kraftstrotzenden Bluthundes beschränkte. Nun soll er offenbar von seinem Erzieher einer anderen Ausprägung seiner Virilität zugeführt werden: der Liebe. Er wird der Frau konfrontiert, die ihrer „Natur" gemäß einen zivilisierenden Einfluß auf die ungestüme Lebensäußerungen hat. Der ummauerte Raum, also auch der Gartenraum, war das Zeichen der Zivilisation, in der die göttliche Ordnung der Natur durch die kultivierende Arbeit des Gärtners sichtbar gemacht wurde. Zu dieser Ordnung gehört beispielsweise, daß die Natur gegen jede ihner krankhaften Abweichungen ein Kräuterlein wachsen läßt. Seit Karl der Große anordnete, daß jeder höfische, klösterliche, sogar bäuerliche Garten mindestens 73 Heilpflanzen enthalten sollte, wurde der Garten zum Sinnbild der ausgeglichenen natürlichen Ordnung gegenläufiger Kräfte. Mit der Darstellung der drei antiken Göttinnen im Inneren des Gartens werden die gegenläufigen Kräfte auch Natur der Frau und ihrer sozialen Rolle ins Gleichgewicht gebracht. Die höfisch gesittete Dame vereinigt in sich Sinnlichkeit der Venus, erzieherische Kraft zur Vollendung hoher Zielsetzungen, für die Pallas Athene namentlich ausgewiesen ist, und den familiären den der häuslichen Ökonomie, die durch Juno, die Ehefrau des Götterchefs Jupiter, verkörpert wird. Das Motiv des Gartens, der Natur und Mensch mit dem Ideal der sittlichen Ordnung konfrontiert, entstammt vorchristlichen Zeiten, wie das Hohelied des Königs Salomo belegt: „Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born. Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zyperblumen und Narden, Narde und Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Bäumen des Weihrauchs, Myrrhen und Aloe mit allen besten Würzen. Ein Gartenbrunnen bist du, ein Born lebendiger Wasser, die vom Libanon fließen. Stehe auf, Nordwind, und komm, Südwind, und wehe durch meinen Garten, daß seine Würzen triefen. Mein Freund kommt in seinen Garten und esse von seinen edlen Früchten." (Hohes Lied 4, 12-5,1) Dieses hohe Ideal war nur äußerst selten zu erreichen. Entweder verzehrte sich die brennende Liebe selbst, wie sie René d'Anjou 1460 schildert: "Amor sieht sich gezwungen, das Herz des liebeskranken René dem unstillbaren Verlangen zu opfern; oder die venusische Sinnlichkeit löste sich aus der sozialen Kontrolle und familiären Verantwortung. Sie wurde zur käuflichen Ware (zur Abbildung oben: Vermeers Bordellszene, 1656), deren Genuß nicht zur Befriedigung führt. Deshalb beherrscht sie die Vorstellungen umso mehr und läßt die Pflichten gegen alle natürliche Ordnung vergessen. „Die Köpfe voll Musik und Weiberhauben / denkt kein Mensch an die Verteidigung der Stadt; / die sonst mit lautem Allahruf / Lorcas Wälle mit Wurfspießen spickten, / kosen jetzt in lockerer Liebeslust / mit Maurinnen aus Cartagena / auf weichen, seidenen Teppichen. / Fajardo, hast du heute nur Lanzen, und Bogen, so zeige ich dir ein / Pförtchen, durch das kannst du Vera in deine Gewalt bringen." (Lope de Vega, Felix; aus: Der erste Fajardo, in: Erobertes Jerusalem, 1609)

Abbildung:

S.142: Les Échecs Amoureux, Maître d'Antoine Rollin, 1410, Bibliothèque nationale, Paris. 

"Der Liebe Schach", um 1410. Die Inschriften zu den drei Frauen im Garten weisen sie als Pallas, Juno und Venus aus. Die Turminschrift über dem Eingang zum Garten lautet "Natur". Im Fundament des linken Gartenturms die Inschrift "arduit" - so gesittet möge die Liebe entflammen.