Buch Bildersturm und stramme Haltung

Texte 1968 bis 1996

Bildersturm und stramme Haltung - Titelseite
Bildersturm und stramme Haltung - Titelseite

Bazon Brock steht mit seinem Denken und Schreiben für die Erhaltung des Momentums der Moderne in postmoderner Zeit ein, in unübersichtlichen Lagen, in dekonstruierten Räumen. Moderne ist dabei in des Wortes striktester Bedeutung zu fassen, als radikale Entfernung tradierter Wurzeltriebe ohne funktionalen Wert. Dazu gehört in erster Linie die Verabschiedung von der Würdeformel Kunst als unangreifbarer Kategorie des theologisch Transzendenten, mindestens des bewundert Erhabenen; das umfaßt aber auch die Einbindung eines jeden ästhetischen Gegenstands in das Schreiben , und sein er noch so banal und alltäglich. Schon die Differenzierung der beiden letzten Begriffe – daß das Banale nicht unbedingt alltäglich und das Alltägliche schon gar nicht banal sei – formt ein Perpetuum mobile unter vielen im Brockschen Denken.

Erschienen
2001

Autor
Brock, Bazon

Herausgeber
Sachse, Rolf

Verlag
Verl. der Kunst, Philo Fine Arts

Erscheinungsort
Dresden, Deutschland

ISBN
3364003955

Umfang
223 S. ; 17 cm

Einband
Pp. : EUR 15.00

2.2.5. Vergegenständlichung als sprachphilosophisches Problem

Übersetzt auf gegenwärtige künstlerische Hervorbringungen sieht dieses Bestimmungsschema folgendermaßen aus:
Alle Beziehung des Menschen zur Welt kann nur gegenständlich sein. Das schließt auch die Beziehung eines Menschen zu anderen ein. Solche Gegenstandsebenen sind Instrumente der Weltaneignung, formale und nichtformale Sprachen sowie die materialen Resultate menschlicher Arbeit. Daß alle Formen sozialer Kommunikation über die Gegenstandsebene laufen, ist noch verhältnismäßig leicht zu verstehen, denn wir bewegen uns immer in materiell und gegenständlich begrenzten Räumen. Unser Verhalten selber ist Bestandteil der Kommunikation, alle unsere Aktionen sind von sinnlicher Wahrnehmung begleitet. Daß aber auch nur wortsprachliche Kommunikation zwischen Menschen, die gleichsam im leeren Raum und ohne gegenseitige Wahrnehmung stattfindet, gegenständlich ist, hat erst die Sprachwissenschaft darstellen können. In einem solchen Fall ist die Gegenstandsebene die Sprache.

Dieser Vergegenständlichungszwang ist von der kritischen Theorie noch als materialistisch begründbare Verdinglichung kritisiert worden. Die kritische Theorie war noch von einer Form der Entäußerung des Menschen ausgegangen, die unausgesprochen mit dem Schöpfungsmodell als Ursprung rechnete. Das muß auch dann betont werden, wenn statt Schöpfung naturevolutionärer Prozeß gesagt wird, der im Widerspruch zu den historisch-materialistischen Formen der Arbeit als Begründung der Hervorbringung steht. Verdinglichung meint eben die unstatthafte Vergegenständlichung des Wesens, des gedanklich Erschlossenen, der theoretischen Erkenntnis. So würden unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen unserer Lebenssicherung die Menschen gezwungen, sogar die Liebe, den Glauben und den Gedanken an das Ende aller Tage zu verdinglichen, um Liebe, Glaube, Hoffnung zum Gegenstand der Tauschbeziehungen machen zu können. Diese kritische Kritik scheint nicht haltbar, denn nicht alle Vergegenständlichung ist schon Verdinglichung. Grundsätzlich gilt: Nicht erst die besonderen ökonomischen Bedingungen der Lebensbewältigung erzwingen Vergegenständlichung, Vergegenständlichung gehört vielmehr zur Grundbedingung unserer Weltaneignung.

Künstlerische Hervorbringungen sind exemplarische Vergegenständlichungen, soweit wir annehmen, daß sie noch in hohem Maße von der Beziehung auf den Urheber des Bildes bestimmt sind, von seinem Anspruch, als einzelner noch die Totalität der Welt zu erfahren. Dieser Anspruch des einzelnen sozialen Subjekts 'Künstler' wird nicht dadurch widerlegt, daß er sich in seiner Weltaneignung sowohl einer sich nicht ihm verdankenden Entwicklung der Instrumente und Sprache bedient, und auch nicht dadurch, daß es eben als soziales und nicht als formales Subjekt in Erscheinung tritt. (Formales Subjekt als das Ich der philosophischen Reflexion.)

Diese Grundbedingung muß gewußt sein, wenn in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Bestimmung des Bildes gefordert wird, künstlerische Hervorbringungen seien untauglich zur Beförderung der Weltaneignung, weshalb die künstlerische Produktion eingestellt werden sollte. Die Welt müsse real verändert werden, anstatt nur immer wieder die Darstellung der Welt zu verändern.

Aber: Außerhalb der Darstellung läßt sich nicht einmal sinnliche Wahrnehmung erreichen, da bereits unsere Wahrnehmungsformen Vergegenständlichungen sind. Der Beweis dafür liegt darin, daß Menschen mit dem gleichen physiologischen Wahrnehmungsapparat am gleichen sinnlichen Material unterschiedliche Wahrnehmungen tätigen. Wahrnehmung ist in erster Linie soziale Wahrnehmung, also Wahrnehmung durch kulturelle und soziale Vergegenständlichungen. Bilderzeuger zu sein, ist keine Frage der Entscheidung für Realitätsveränderung oder Veränderung der Wahrnehmungsformen.

Realitätsveränderung läuft insofern u.a. über die Veränderung der Wahrnehmungsformen, als erst durch wahrnehmbare Vergegenständlichungen veränderte Formen der Weltaneignung realisierbar werden. Damit ist gesagt, daß realistisch zu malen eben nicht heißen kann zu malen, was man sieht und was die Welt ist, sondern im Bild einen deutlichen Unterschied herauszuarbeiten zwischen dem, was man sieht, und dem, wie man sieht. Erst im Bild ist die Welt abgebildete. Erst in den Wahrnehmungsformen ist die Welt wahrgenommene. Das Realismusproblem gilt also nicht der Beziehung zwischen Bild und Realität, sondern der Beziehung zwischen Abbild und Abgebildetem, zwischen Zeichen und Bezeichnetem, zwischen Wahrnehmungsform und Wahrgenommenem, wobei grundsätzlich ist, daß Bild und Abbild, Wahrnehmungsform und Wahrgenommenes, Zeichen und Bezeichnetes zumindest in ihrer schwächsten Einheit, der Materialität des Bildes, aufeinander verwiesen sind.