"Ein Rückblick auf die Bilderstürme der Vergangenheit zeigt, daß die Geschichte der Bilderstürme selbst als abgeschlossen gelten kann …"
Dieser Bemerkung Martin WARNKEs soll hier widersprochen werden. Zwar äußert sich der Bilderkrieg heute nicht mehr in den bekannten historischen Erscheinungsweisen, zwar scheint heute wegen der Bilderfrage kein Blut mehr zu fließen, den Bilderkrieg aber ausschließlich an seine bekannten historischen Erscheinungsweisen zu knüpfen, scheint mir nicht gerechtfertigt zu sein. Ich glaube, die These vernünftig begründen zu können, daß die historischen Erscheinungsweisen der Bilderstürme nur Ausprägungen einer Problemlage waren, die gegenwärtig in verstärktem Maße wieder Gegenstand unserer Arbeiten in den Feldern Ästhetik, Medienwissenschaft und Wissenschaftstheorie ist. Meine Überlegungen führen mich zu der Schlußfolgerung, daß wir gegenwärtig in einem neuen Bilderkrieg stehen, dessen Konsequenzen weitaus bedeutsamer sein werden, als es je die Resultate eines historischen Bildersturms gewesen sind.
Thematisch ist der heutige Bilderkieg in dem Streit um das Realismus-Problem auszumachen. Die Forderung, die Welt so darzustellen, wie sie ist, geht an der grundlegenden Bedingung künstlerischer Vergegenständlichung vorbei. Realistisch zu malen, heißt aber nicht darzustellen, was man sieht, sondern eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Dargestellten und den Darstellungsformen zu machen bzw. zu unterscheiden zwischen den Wahrnehmungsformen und dem Wahrgenommenen. Das Realismus-Problem liegt darin, daß nur innerhalb bestimmter Wahrnehmungsformen ein Wahrgenommenes erscheint, daß nur im Bild von einem Abgebildeten gesprochen werden kann. Erst die Wahrnehmungsformen, die Bilder, lassen die Welt als etwas außerhalb der Wahrnehmungsformen und Bilder Existierendes erkennbar werden. Auch in dem heutigen Bilderkrieg wird also um den Wirklichkeitsanspruch des Bildes gegenüber dem Abgebildeten gekämpft, und zwar in jeder Werbeanzeige, in jeder Titelbildfotografie, in jedem Fernsehfilm. Beispiel: Die Werbung für ein Waschmittel benutzt Bilder als Beweisstücke für die reale Existenz und Wirkungsweise eines abgebildeten Waschmittels. Die Werbefotografie will in diesem Fall den Wirklichkeitsbeweis durch zwei nebeneinander gestellte Bilder antreten. Das Bild suggeriert, daß es ein weiß waschendes Waschmittel geben muß, wenn man beim Vergleich zweier Bilder feststellt, daß das Weiß auf dem einen heller ist als auf dem anderen. In einem historischen Bilderkrieg ging es um den Gottesbeweis durch den Beweis der Wirklichkeit des Bildes, im heutigen Bilderkrieg geht es um den Weltbeweis durch die Rechtfertigung des Wirklichkeitsanspruchs der Bilder.
Zur Entwicklung der Problemlage will ich eine stichwortartige Darstellung jenes historischen Bilderkrieges geben, der von den radikalsten und zugleich theoretisch bestabgesicherten Positionen der kämpfenden Parteien ausging. Denn in der vorkantischen Zeit hat die Argumentation der Bilderfreunde und Bilderfeinde nie wieder eine derartige Höhe der Reflexion und Radikalität der Praxis erreicht, wie sie für die kämpfenden Parteien im 8. Jahrhundert n. Chr. allgemein kennzeichnend war. Im hundertjährigen byzantinischen Bilderkrieg zwischen 730 und 841 war nämlich der Kampf kein regional begrenztes, thematisch ephemeres Ereignis, wie auch heute der Streit um den Wirklichkeitsbeweis des Bildes in der Werbung oder der Kunst usw. kein auf diese Bereiche unserer Praxis beschränktes Ereignis ist, sondern die Grundlagen unserer Weltaneignung betrifft. Die Auseinandersetzungen wurden vielmehr um die Grundlagen der byzantinischen Kultur, des politischen und sozialen Systems des Oströmischen Reiches und des christlichen Glaubens geführt.