Buch Bildersturm und stramme Haltung

Texte 1968 bis 1996

Bildersturm und stramme Haltung - Titelseite
Bildersturm und stramme Haltung - Titelseite

Bazon Brock steht mit seinem Denken und Schreiben für die Erhaltung des Momentums der Moderne in postmoderner Zeit ein, in unübersichtlichen Lagen, in dekonstruierten Räumen. Moderne ist dabei in des Wortes striktester Bedeutung zu fassen, als radikale Entfernung tradierter Wurzeltriebe ohne funktionalen Wert. Dazu gehört in erster Linie die Verabschiedung von der Würdeformel Kunst als unangreifbarer Kategorie des theologisch Transzendenten, mindestens des bewundert Erhabenen; das umfaßt aber auch die Einbindung eines jeden ästhetischen Gegenstands in das Schreiben , und sein er noch so banal und alltäglich. Schon die Differenzierung der beiden letzten Begriffe – daß das Banale nicht unbedingt alltäglich und das Alltägliche schon gar nicht banal sei – formt ein Perpetuum mobile unter vielen im Brockschen Denken.

Erschienen
2001

Autor
Brock, Bazon

Herausgeber
Sachse, Rolf

Verlag
Verl. der Kunst, Philo Fine Arts

Erscheinungsort
Dresden, Deutschland

ISBN
3364003955

Umfang
223 S. ; 17 cm

Einband
Pp. : EUR 15.00

Seite 189 im Original

13 Deutsch kaputt

Die Bahn gibt ein Beispiel? Jawohl. Zum 1.1.94 liquidiert sie das Deutsche Reich endgültig durch Verwandlung in eine Aktiengesellschaft. Deutsch hieß nämlich die Bundesbahn, und das Reich vergegenwärtigte ausgerechnet die DDR-Bahn. Alle Spuren des historischen Gespenstes wollten sie löschen oder sprengen; warum selbst Ulbricht es nicht fertigbrachte, die Reichsbahn umzutaufen, um die tagtägliche Erinnerung ans Reich loszuwerden - weiß das jemand? Bisher witzelte man nur, die DDR habe es bei der Reichsbahn belassen, damit sie für den maroden Zustand ihres wichtigsten Verkehrssystems nicht verantwortlich gemacht werden konnte. Jetzt bleiben uns noch zwei Begriffskombinationen, in denen das Reich heutige Realitäten betitelt: der Reichsbund und der Reichstag. Aber auch deren Stunden sind gezählt, was man über Begriffskombinationen mit "deutsch" oder "Deutschland" nicht sagen kann. Wieviel Ärger hätte man sich ersparen können, wenn BRD und DDR nach dem Muster der Bahn fusioniert worden wären - vielleicht zur mitteleuropäischen Bundes-AG? Die Aktienmehrheit hätten wir den Anrainern überlassen, resp. Rücksiedlern, Einwanderern und Asylsuchenden, damit sie sich für das Unternehmen auch verantwortlich hätten fühlen können.

Wer fühlt sich jetzt für die Verwendung des Begriffes "deutsch" noch verantwortlich? Etwa der Kanzler, wenn er von unserem schönen deutschen Vaterland schwadroniert, daß selbst seine Klientel diesen Begriffskitsch für einen marktschreierisch-plumpen Versuch hält, eine Nullgröße zu verkaufen? Die Beschwörung der schönen deutschen Heimat durch die Betonmischerriegen war schon peinlich genug. Aber ein Bankrotteur als Vaterlandsbeschwörer - ist das vielleicht die effektivste und raffinierteste Austreibung des Deutschseins? Das würde zumindest den "Europäer Kohl" glaubwürdiger machen und ihm die, wer weiß, wer weiß, politisch nutzbringende Duzbrüderschaft des grünen Jürgen Trittin einbringen. Der Herr Minister konstatierte, die ganze Gesellschaft sei heute eine Verbrecherorganisation von Rassisten, Nationalisten und Imperialisten. Daß er seine Leistung als Regierungsmitglied so unmißverständlich offenlegt, ist beispielhaft, denn wo bekennt sich jemand so eindeutig als Rassist, Nationalist und Imperialist, um zu begründen, warum es gilt, diese Gesellschaft möglichst schnell und möglichst spurenlos (siehe Ulbricht) aufzulösen? Nur Trittin versteht den Kanzler wirklich: Mit 200 Milliarden Staatsschulden, mit über vier Millionen Arbeitslosen, mit der Zerschlagung des sozialen Netzes, mit der totalen Einstellung politischen Handelns mangels Bewegungsspielraums und mit Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit im allseits besungenen GATT-Kapitalismus sind wir der Auflösung von Begriff und Sachverhalt "Deutsch, Deutschland" wirklich so nahe, daß nur noch unbelehrbar naive Phantasten oder Wahnsinnige das deutsch betitelte Erbe zu verantworten bereit wären.

Diese Voraussetzung erfüllen eigentlich die Wissenschaftler, und da hat sich neulich auch so eine dreißigjährige Max Planck-Koriphäe zu Wort gemeldet. Auf die Frage des Fernseh-Reporters nach den bisher nicht abschätzbaren Folgen der Aussetzung von genmanipulierten Organismen antwortete das Bürschchen: "Die Verantwortung übernehme ich." Das macht ihn zum wahrhaft großen Wissenschaftler wie seine Vorbilder, die überall auf der Welt A-, B- und C-Technologien so verantwortlich einsetzten, daß selbst die russische Regierung verkünden kann, mehr als 3000 verseuchte Gebiete und ein paar 100 000 geschädigte Menschen gebe es nun wirklich nicht. So wird man daran erinnert, daß alle großen Wissenschaftler, die Göttergleichen und Satansbrüder, Deutsche sind, die Mitte des 19. Jahrhunderts triumphal proklamierten, daß jedwede Erlösung nur durch Untergang zu verwirklichen ist - auch und gerade die Erlösung von deutschem Deutschsein.

Vielleicht denken Sie daran, wenn Sie sich Silvester von Explosivkörpern erleuchten lassen, liebe Brüder und Schwestern des lustvollen Katastrophenfeuilletonismus.