Hat man schon mal jemanden getroffen, der nicht für den Frieden ist? Alle sind und waren immer für den Frieden. Und wenn sie gerade Krieg führten, umso mehr; denn den Krieg müsse man leider führen, um endlich Frieden zu haben. Also Befreiungskriege, Glaubenskriege, Friedenskriege müsse man eben doch führen. Das sei zwar immer etwas Gräßliches, aber verstehen könne man das schon.
Für dieses Verständnis gibt es Preise, sogenannte Friedenspreise. Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels ist so einer. Den erhält in diesem Jahr Frau Prof. Annemarie Schimmel, von der alle sagen, sie sei eine großartige und einflußreiche Kennerin der islamischen Welt. Also muß sie wohl Verständnis haben für das, was in jener Welt vorgeht, zum Beispiel für das von höchster religiöser Instanz über den Romanschreiber Rushdie verhängte Todesurteil. »So ein Urteil ist immer eine gräßliche Sache«, bekennt die Friedenspreisträgerin – aber irgendwie müsse man schon verstehen, daß gläubige Muslime sich gegen die Beleidigung ihres Religionsstifters zur Wehr setzen.
Wer bestritte das? Wer bestreitet das? Auch bei uns wird die Beleidigung, erst recht die Beleidigung von Staats- und Kirchenoberhäuptern, mit Strafe – vorausgesetzt, das Delikt wird gerichtlich, auf rechtsstaatlich vorgeschriebenen Wegen festgestellt - belegt.
Nun argumentieren ja Muslime, daß auch dem Todesurteil gegen Rushdie eine richterliche Entscheidung zugrunde liegt. Höchste Ayatollahs sind höchste Rechtsinstanzen in einer sakralrechtlich verfaßten Gesellschaft. Das kann man ohne weiteres verstehen, aber gerade dann nicht anerkennen, wenn man weiß, was sakralrechtliche Legitimation bedeutet.
Wer wie Frau Schimmel das Rechtsverständnis strenggläubiger Muslime kennt, muß mit aller Klarheit sagen, ob er diese Rechtsauffassung für sich gelten läßt oder nicht. Eines ist es, verständnisvoll zu bekunden, daß strenggläubige Muslime sich eben dem Sakralrecht unterwerfen, ein anderes aber – und danach wurde Frau Schimmel gefragt –, welches ihre eigenen Präferenzen sind, wie ihr Urteil über das Todesurteil ausfällt.
Wenn sie nicht akzeptieren kann, daß Rushdie für vogelfrei erklärt wurde und jedem eine hohe Belohnung garantiert wird, der ihn lebend oder tot den Ayatollahs ausliefert, dann wird ihr das Verständnis für die Begründung des Todesurteils wenig nützen. Im Gegenteil, sie wird denen, die sie so gut zu verstehen behauptet, umso unglaubwürdiger, ja strafwürdiger erscheinen. Und dann? Wird dann der Frieden, den sie zu stiften bemüht ist, im Martyrium bestätigt?
Wenn Friedenspreisungen dazu führen, die gefährliche Logik des Martyriums akzeptieren zu lernen – und da hat der christliche Okzident mindestens so fatale Erfahrungen wie der islamische Orient – sollten wir sie schleunigst abschaffen.
Erstdruck in: Frankfurter Rundschau, 13.5.1995