Buch Ästhetik als Vermittlung

Arbeitsbiographie eines Generalisten

Ästhetik als Vermittlung, Bild: Umschlag.
Ästhetik als Vermittlung, Bild: Umschlag.

Was können heute Künstler, Philosophen, Literaten und Wissenschaftler für ihre Mitmenschen leisten? Unbestritten können sie einzelne, für das Alltagsleben bedeutsame Erfindungen, Gedanken und Werke schaffen. Aber die Vielzahl dieser einzelnen bedeutsamen Werke stellt heute gerade ein entscheidendes Problem dar: Wie soll man mit der Vielzahl fertig werden?

Das Publikum verlangt zu Recht, daß man ihm nicht nur Einzelresultate vorsetzt, sondern beispielhaft vorführt, wie denn ein Einzelner noch den Anforderungen von Berufs- und Privatleben in so unterschiedlichen Problemstellungen wie Mode und Erziehung, Umweltgestaltung und Werbung, Tod und Geschichtsbewußtsein, Kunstgenuß und politischer Forderung gerecht werden kann, ohne als Subjekt, als Persönlichkeit hinter den Einzelproblemen zu verschwinden.

Bazon Brock gehört zu denjenigen, die nachhaltig versuchen, diesen Anspruch des Subjekts, den Anspruch der Persönlichkeit vor den angeblich so übermächtigen Institutionen, gesellschaftlichen Strukturen, historischen Entwicklungstendenzen in seinem Werk und seinem öffentlichen Wirken aufrechtzuerhalten. Dieser Anspruch auf Beispielhaftigkeit eines Einzelnen in Werk und Wirken ist nicht zu verwechseln mit narzißtischer Selbstbespiegelung. Denn:

  1. Auch objektives Wissen kann nur durch einzelne Subjekte vermittelt werden.
  2. Die integrative Kraft des exemplarischen Subjekts zeigt sich in der Fähigkeit, Lebensformen anzubieten, d.h. denkend und gestaltend den Anspruch des Subjekts auf einen Lebenszusammenhang durchzusetzen.

Die Bedeutung der Ästhetik für das Alltagsleben nimmt rapide zu. Wo früher Ästhetik eine Spezialdisziplin für Fachleute war, berufen sich heute selbst Kommunalpolitiker, Bürgerinitiativen, Kindergärtner und Zukunftsplaner auf Konzepte der Ästhetik. Deshalb sieht Bazon Brock das Hauptproblem der Ästhetik heute nicht mehr in der Entwicklung von ästhetischen Theorien, sondern in der fallweisen und problembezogenen Vermittlung ästhetischer Strategien. Diese Ästhetik des Alltagslebens will nicht mehr ‚Lehre von der Schönheit‘ sein, sondern will dazu anleiten, die Alltagswelt wahrnehmend zu erschließen. Eine solche Ästhetik zeigt, wie man an den Objekten der Alltagswelt und den über sie hergestellten menschlichen Beziehungen selber erschließen kann, was sonst nur in klugen Theorien der Wissenschaftler angeboten wird. Solche Ästhetik zielt bewußt auf Alternativen der alltäglichen Lebensgestaltung und Lebensführung, indem sie für Alltagsprobleme wie Fassadengestaltung, Wohnen, Festefeiern, Museumsbesuch, Reisen, Modeverhalten, Essen, Medienkonsum und Bildungserwerb vielfältige Denk- und Handlungsanleitungen gibt. Damit wird auch die fatale Unterscheidung zwischen Hochkultur und Trivialkultur, zwischen Schöpfung und Arbeit überwunden.

Erschienen
1976

Autor
Brock, Bazon

Herausgeber
Fohrbeck, Karla

Verlag
DuMont

Erscheinungsort
Köln, Deutschland

ISBN
3-7701-0671-7

Umfang
XXXI, 1096 S. : Ill. ; 25 cm

Einband
Lw. (Pr. nicht mitget.)

Seite 977 im Original

Band V.Teil 2.14 Sag mal guten Tag auf Poesie – Du bist doch Dichter!

Vereinzelte Texte seit 1971

Einsamkeit

Über die Köpfe hin sprechend

Viele Menschen sind sich so entfremdet, daß sie vor einen Spiegel treten können, um sich selbst die Wünsche von den Augen abzulesen.

Achte auf Dich, kämme Dein Haar, rasiere Dich. Adieu.

Die Zeit bröselt solchen Sinn in unseren Taschen zu kleinen vergessenen Resten, die sich einfinden, wenn wir das Futter nach außen stülpen. Und in diesen zermalmten Überbleibseln des Gewesenen findet sich immer ein Wunder, wenn auch nur ein solches von wenigen Zentimetern Ausmaß.
Lassen wir sie nicht verkommen.

Es darf nichts umkommen sagte die Großmutter und ließ sich vom Wolf auffressen.

Vor der Schlacht tritt der erregte Offizier vor die Truppe und sagt feierlich: "Soldaten, jetzt geht es Mann gegen Mann!"
Infanterist X.: "Zeigen Sie mir doch, bitte, welches mein Mann ist. Vielleicht kann ich mich gütlich mit ihm einigen."

Ein Schriftsteller zu seinem Kollegen: "Seit wir uns das letztemal gesehen haben, hat sich meine Leserschaft verdoppelt!" Der Kollege: "Ich gratuliere. Ich wußte gar nicht, daß du geheiratet hast!"

Eine sehr alte Dame muß einmal wegen verschiedener Beschwerden den Arzt aufsuchen. Am Ende der Untersuchung meint dieser: "Ja, ich kann Sie leider nicht jünger machen!"
"Herr Doktor", meint die alte Dame, "ich will ja nur älter werden!"

Ein Freund zu CATO d.Ä.:
"Es ist ein Skandal, daß man Dir kein Standbild in Rom errichtet hat; ich werde einen Ausschuß dafür gründen."
"Nein", sagte Cato, "mir ist's lieber, die Leute fragen: 'Warum habt Ihr kein Standbild für Cato'?' anstatt: 'Warum habt Ihr eins?'"

Meine Großmutter ließ auf die Toiletten zu Hause Servietten legen, damit auch die Toilettengänger während des Sitzens die rechten Knie bedecken konnten.

Als Oscar WILDE schon in der Agonie lag, befahl ihm der Arzt zu pfeifen, um seine Reaktionsfähigkeit zu prüfen. WILDE hatte aber nie pfeifen gelernt.

Ich bewundere den Mut und den Weitblick meiner Eltern, mich in diese Welt gesetzt zu haben.

Die vorzeitige Bereitschaft zur Kunst kennzeichnet die Künstler als Fallobst.

Nullum crime sine poeta.

WUNDERLICH kannte den Mann, der seit 1935 dieses Paar Schuhe besaß, aber sie nicht tragen konnte, weil seine Füße zu klein waren. Er wartete, daß sie wüchsen. Dann schenkte er sie WUNDERLICH, der nun darauf wartet, daß seine Füße durch Altersschrumpfung kleiner werden, damit er die Schuhe tragen kann. Mir passen sie.

Touristen in den steinernen Zeugnissen einer antiken Gesellschaft. Fragt eine den Fremdenführer: "Kennen Sie ein historisches Ereignis, das mit diesen Ruinen verbunden ist?" "O ja, Madame, vor 50 Jahren soll ein Tourist meinem Vorgänger 50 Dollar Trinkgeld gegeben haben."

Früher, so wird berichtet, begaben sich die Denker des öfteren, ja alltäglich auf öffentliche Plätze, um Toditi zu sagen, so ist es und das ist das! Derartige waghalsige Auftritte bekamen dem Wirklichkeitssinn der Denker sehr gut. Pflegten sie diese Gewohnheit noch heute, anstatt Fachbereichstagungen abzuhalten, dann hätten sie sich manchen Streit sparen können, zum Beispiel den um den hermeneutischen Zirkel: Sie hätten dort, nämlich auf den Märkten, Seiltänzern zusehen können, die sich an langen schweren Stangen festhalten, obwohl sie sie selber tragen. Was heißt da noch hermeneutischer Zirkel, wenn doch jeder, der's versucht, feststellen kann, daß er mit Stange besser einen Abgrund überwindet als ohne.
Daß in den vergangenen Jahren der Drahtseilakt auf öffentlichen Plätzen kaum noch vorgeführt wird, ist sicherlich nicht auf erfolgreich geübte Kritik am hermeneutischen Zirkel zurückzuführen, so wissenschaftsgläubig gerade die Kleinstadtbevölkerung auch sein mag, sondern?