Magazin 57. Berliner Kunstblatt

57. Berliner Kunstblatt, 1988
57. Berliner Kunstblatt, 1988

Erschienen
01.01.1988

Verlag
Interessengemeinschaft Berliner Kunsthändler e.V.

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

Issue
57, 17. Jahrgang (ISSN 0170-1665)

Seite 17 im Original

Werk gegen Wirkung - Wirkung gegen Werk

[Siehe dazu auch: Bazon Brock: „1986: Beuys läßt uns allein / Werk gegen Wirkung – Wirkung gegen Werk“, in: ders.: Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre. München 1990, S. 291-294.]

... Joseph Beuys fühlte sich nirgendwo so wohl wie da, wo er so etwas wie Volksbildung, Volkserziehung spürte. Seine Mitstreiter und Manager haben ihn immer wieder gefragt, warum er zu jeder, noch so kleinen Veranstaltung hindüse. Mir antwortete er einmal: Ja, hör’ mal, wenn Du das nicht verstanden hast, daß es eine Gnade ist, daß einem jemand zuhört, dann hast Du auch gar nichts zu sagen! – Das war es, was ihn veranlaßte, ständig auf einer solchen nervenaufreibenden und seine körperlichen Kräfte bei weitem übersteigenden Zahl von Veranstaltungen zu erscheinen. Darunter waren auch solche, von denen er gar nicht wußte, in welchem Zusammenhang er dort etwas hätte ausrichten können. Aber er hat es tatsächlich als eine Art Gnade empfunden, daß ihm jemand zuhörte. Denn das ist nicht selbstverständlich, obwohl die im Kunstbetrieb hochgradig Integrierten den Eindruck vermitteln, daß überall nach ihnen eine Nachfrage herrsche.
Was Beuys an genial Hochfahrendem, dann aber auch wieder kabbalistisch Heiterem, an pathetisch Menschheitsbeglückendem verkündete, das ist im Kern als Reaktion auf die unerwartete Tatsache zurückzuführen, daß ihm jemand zuhören wollte. Beuys hat ja seine Gedanken nicht im stillen Kämmerchen, nicht am Schreibtisch entwickelt, sondern stets unmittelbar, aus der Herausforderung heraus, eine Situation mit Menschen bestehen zu müssen, die von ihm erwarteten, daß er etwas zu sagen habe. Und zwar nicht irgendetwas, sondern etwas, dem gegenüber es sich lohne, zuzuhören und sich damit zu beschäftigen. Das war alles andere als selbstverständlich für ihn, und das ist wahrscheinlich für keinen selbstverständlich, der in ähnlichen Situationen mehr als einmal pro Jahr steckt.

Professor Bazon Brock (Wuppertal) hielt Ende Oktober 1987 einen Vortrag zum Werk von Joseph Beuys im Wiener Volksbildungsverein (VHS Margareten). Die mehr als zweistündigen Ausführungen erläuterten Beuys’ plastisches Schaffen als moderne, aufklärerische Künstlerstrategie zwischen Werk, Wirkung und Publikum. Aus dem ersten Teil von Bazon Brocks Ausführungen werden hier Passagen wiedergegeben. (Zusammenfassung von Jeannot Simmen)

siehe auch: