Buch Frankfurter Ring-Fibel

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Erschienen
1967

Autor
Brock, Bazon

Verlag
Ring-Publications Dommermuth

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

ISBN
B0000BR16R

Umfang
30 S., 35 Bl.

3. Lektion

Je weniger häufig also einer seine Meinungen wechselt und somit die Meinungsknöpfe, desto reaktionärer ist er. Das scheint zu stimmen, denn die Militärs zum Beispiel wechseln ihre Meinungsknöpfe höchstens einmal im Leben und das auch nur erzwungenermaßen: in Deutschland zum Beispiel anno 1945, als plötzlich die Meinungsknöpfe mit den vielfältigen Anbringungen des pervertierten deutschen Kreuzes (Kreuz mit vierfach gebrochenem Rückgrat aus der heilen Kreuzform +, durch Gewalt und Terror erzeugt) abgelegt wurden, wodurch sie allerdings erst für andere eine gewisse Bedeutung erhielten: für die Soldaten der Alliierten, die sie als Trophäen sammelten oder verkauften.

Indem wir die militärischen Auszeichnungen, genannt Orden, als Meinungsknöpfe beschreiben, geben wir für die heutige Erscheinungsform der Meinungsknöpfe eine historische Frühform an. Allerdings, und das ist äußerst wichtig: beim militärischen Orden und seiner Anwendung meint eigentlich nicht der Verordnete und Dekorierte etwas, sondern es wird etwas über ihn gemeint; daß er sich, zum Beispiel, tapfer und ohne zu fragen für irgend was geschlagen hat, ist die im Orden ausgedrückte Meinung der Oberen über den Ordensträger. Auch die Anbringung des militärischen Meinungsknopfes als Orden ist von der des heutigen Meinungsknopfes verschieden: die Anbringung geschieht durch Jemanden unter streng festgelegten und eingehaltenen Umständen und vor allem an einem dafür unumstößlich festgesetzen Ort auf dem Festkleide des Ausgezeichneten. Wird hingegen der Meinungsknopf 'Orden' an einer anderen als der dafür vorgesehenen Stelle angebracht (wie zum Schmuck des Adamsapfels im Film 'Katz und Maus' von GRASS), so handelt es sich erstens um eine Meinungsknopfanmaßung und zweitens um eine unzulässige Meinung (auf Zweckentfremdung beruhend).

Das Volk im weitesten Sinne, welches ohnmächtig zusieht, wie jemand per Orden die Meinung gesagt bekommt, um sich von Stund an von allen anderen zu unterscheiden, honoriert das, indem es sich der Meinung unterwirft: "Der hat recht, denn er hat fünfzig Flugzeuge abgeschossen. Das ist der Generale Meinung nach höchst lobenswert." Aus der Ohnmacht und Ohnmeinung wird die Meinung der anderen. Ohne Macht und ohne Meinung, d.h. ohne Orden und ohne Meinungsknopf, trägt das Volk doch den Meinungsknopf der Meinungslosigkeit. Er ist allerdings aus den Gesichtszügen ablesbar.

Andere historische Vorläufer des heutigen Meinungsknopfes sind z.B. die Weltkriegsmedaille "Gold gab ich für Eisen", was natürlich kaum als Auszeichnung für ein Opfer gewertet werden kann, denn alle Welt wünschte sich einen Eisernen Kanzler und nicht einen Goldigen. Vielleicht wäre es heute an der Zeit, die Republiksmedaille "Eisen gab ich für Gold" auszugeben, weil sich alle Welt den goldigen KIESINGER wünschte und ihn auch bekam. Das wäre inzwischen nun wirklich eine Opfermeinungsauszeichnung.
Als Vorläufer aus nicht zu ferner Zeit darf auch angeführt werden die Fülle der Sammelaktionszeichen, z.B. das Winterhilfswerk und dessen direkte Nachfolger im Zeichen der Aktion "Macht das Tor auf". Gott sei Dank haben die Leute vom Winterhilfswerk inzwischen kalte Füße bekommen.

In der Galerie der Meinungsknopfahnen sollte auch nicht das Phänomen der Hauttätowierungen vergessen werden. Ihrem Zwecke nach sollen Tätowierungen dieser Art dem Mitmenschen erst in einer besonderen Situation die Meinung des Tätowierten nahebringen oder vielmehr nahelegen, denn man muß sich ausziehen, um jemandem seine Meinung sagen zu können; z.B. die Meinung "Ich liebe Eva" oder "Seefahrt tut not" oder "An diesen Anker kannst Du Dich halten, mein Schatz" (wenigstens in den Augenblicken, in denen es darauf ankommt).

Den bedeutsamsten Hinweis als Vorläufer aber verdient die Sitte der amerikanischen Wahlbeispiele, den Namen seines Kandidaten unter der Beteuerung, ihn zu mögen, aufs Revers zu heften. In der Reihe dieser Meinungsäußerungen mittels ans Revers gehefteter Schildchen ist das berühmteste zweifelsfrei "I LIKE IKE", wobei die bestehenden Reserven mit den Mitteln literarischer Überzeugungstechnik unwiderstehlich weggeräumt werden: der gleiche Vokal in drei einsilbigen Worten, so fest und einprägsam und unverwechselbar wie die Kommandos im Umgang mit dressierten Tieren.

Merke und lerne aus Lektion 3: Die Vorläufer der heutigen Meinungsknöpfe entstammen der militärischen oder halbmilitärischen Sphäre. Ihrem Charakter nach gehören dazu Embleme, Fahnen, Orden, Abzeichen, Kordeln und Trophäen, aber auch seemännische Tätowierungen. Dabei ist zu beachten, daß in diesen Formen der Meinungsäußerung und Meinungsdokumentation vor allem etwas über den Träger des Zeichens gemeint wird, wohingegen der moderne Meinungsknopfträger als Zivilist immer selber etwas meint. Man könnte in dieser historischen Sicht sagen: der Meinungsknopf ist ein Orden, den man sich selbst verleiht.