Buch Frankfurter Ring-Fibel

Erschienen
1967

Autor
Brock, Bazon | Seuss, Juergen

Verlag
Ring-Publications Gerold Dommermuth

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

ISBN
B0000BR16S

Umfang
92 Seiten

3 Sich dieser Dinger zu bemächtigen, ihrer teilhaftig zu werden

Wurde die Brust in Analogie zu Hervorbringungen der Natur beschrieben, so wurden auch die Betätigungen an der Brust analog zur Betätigung in der Natur gebildet: in jedem Roman "wandert" die Hand des Verführers übers Hinterteil hoch und herum über die prallen Bluseninhalte. Und die Finger werden dann zart übers fleischige Gelände an seinen höchsten Punkt "spazierengeführt".

In gesellschaftlich unterprivilegierten Gruppen, vom mittleren Mittelstand abwärts, sind Sexualbeziehungen aus Gründen der Gefühlsnot und Sprachlosigkeit sehr stark versachlicht, im schlechten Sinne: die Partner sind nur momentane Nutznießer an einem Sexualobjekt. In diesem Bereich werden die Brüste zu Titten, die durch lange Verhaltenskonditionierung nicht zur Erweckung der Vorlust dienen, sondern unmittelbar zu Realwerkzeugen des Lustgewinns werden. Bezeichnend ist, daß diese Akte in gewisser Weise unseren Vorstellungen von Vergewaltigung gleichen. Das Aufreißen oder schnelle und heftige Öffnen der Kleidung beginnt immer am Decolleté, nie beim Schlüpfer. Auch sind die automatischen, die Reflexbewegungen aus verletzter Scham fast immer Bewegungen der Arme vor die Brust.

Mir scheint darin ausgedrückt, daß sich die Brust als erster weiblicher Körperteil (noch vor den Mundlippen) von seiner naturgeschichtlichen Bestimmung (als Nahrungsspender fürs Baby) befreit hat und eben deshalb auch um so verletzlicher wurde, weil die Annahme nahelag, diesen Körperteil auch außerhalb der naturgeschichtlichen Bestimmung benutzen zu können. So wurde die Brust zum ersten und intensivsten Instrument der befreiten Lust, befreit aus der Koppelung an den Prozeß der Reproduktion der Gattung durch Fortpflanzung.

Die Erweckung der Lust ist eine kulturelle Höchstleistung. Sie ist schwere gesellschaftliche Arbeit gegen die Natur der Sache, gegen die Brust als Milchspender. Jeder Begriff von Aufklärung, der, wie heute zumeist, alle Vorgänge der Produktion von Lust zurückschraubt auf den Ablauf ganz natürlicher Prozesse, ist deshalb reaktionär. Das kann nicht eindeutig genug gesagt werden. Die gesellschaftlich richtige Aufklärung kann sich nicht mit dem Hinweis begnügen, daß Brust schlicht ein Fettgewebe sei, an der Spitze besetzt mit Drüsenausgängen und Schwellkörpern, die sich bei Berührung in besonderer Lage aufrichten können. Gesellschaftlich richtige Aufklärung hat zu sprechen über die Brust als Fetisch, Brust als Instrument der Anpassung, Brust als naturgeschichtliches Organ des Überlebens der Gattung, verengt zum Organ der unterdrückenden Vorherrschaft einer Einzelnen. Die mißverstehende Aufkärung hat den Organaufwand des Menschen zur Naturbestückung langsam abgebaut, sie hat menschliche Liebesarbeit konkretistisch aufs Bienchensummen und Zickleinbocken verengt.

Dieser Verengung ist zum ersten Male der ärztliche Jahrhundertruf: "Machen Sie sich bitte frei" entgegengetreten. Der ärztliche Zugriff auf die weibliche Brust ist die erste moderne Aneignungstechnik, soweit wir diese nur als das Verkürzen der Distanz zwischen ferner Brust und sich nähernder Hand verstehen. Wie uneindeutig diese Annäherungsweise war, zeigt sich darin, daß es sehr lange dauerte, bis sie sich institutionalisieren ließ als wertfreie ärztliche Handreichung. Heute kommt sehr häufig dieses Moment der Zweideutigkeit zum Vorschein, ausgedrückt in Witzen über gattliche Eifersucht und in den schnellen und offenen Bekundungen der Frauen ihren Männern gegenüber, sie hätten beim Arzt nichts gefühlt. Die Anstrengung, solche Versicherung wahrheitsgemäß abgeben zu können, ist für viele Frauen sehr groß und von gewissem masochistischen Lustgewinn begleitet. Die zahlreichen Medizinerwitze legen es den Gatten nahe anzunehmen, daß sie in gewisse Idealkonkurrenz mit den Doktoren zu treten haben, weil das Erlebnisniveau der institutionalisierten Berührung und Annäherung höher liege als das der gattlichen Annäherung. Vor allem in psychischer Behandlung wird so die institutionalisierte Annäherung an den weiblichen Körper zum Ritual, während die gattliche Annäherung zur Konvention wird.

Rituelle Bewegungen können übertragen werden und das geschieht heute sehr häufig. Aus den Doktorspielen der Kinder, die diesen den Vorwand geben, alles tun zu dürfen, ohne selber gemeint zu sein - also auch ohne schuldig zu sein - wird das Doktorspiel der Erwachsenen. Seine populärste Form ist das Tastspiel. Die von Behörden ausgegebenen Anleitungen dazu lesen sich und werden verstanden als Anleitungen zum Lustgewinn. Die Öffentlichkeit ihrer Anwendung setzt zusätzlich Gefühle frei.
In dieser Gegend der Körperlandschaft, an den Brüsten, durften sich bisher die Hände zumeist ohne besonderen Auftrag herumtreiben: wie die Handflächen sich aushöhlten, wie die Finger sich langsam zusammenschlossen, wie sich geschlossene Finger wieder öffneten und sich langsam zum Daumen hin wieder zusammendrückten, wie sich die Hände drehten, wie sich die Handgelenke verkanteten - man durfte die Brüste anfassen:
entweder von hinten unter den Achseln durch mit beiden Händen, wobei die Brüste auf Druck hin über die Handflächen hinausquollen
oder von vorn, zumeist mit einer Hand, schräg den Arm über die andere Brust gepreßt (die zweite Hand hielt den Hinterkopf.)
und auch von unten her schräg nach oben, die Handteller wie Kuchenschieber über Schenkel und Bauchhaut führend …

Es waren stets Hände, die willkommen waren, die erwartet wurden und Erwartung hervorriefen. Wie immer, diese Hände gehörten zur großen Bewegung, in der wir alle täglich ein bißchen Erwartung in Erfüllung überführen wollen. Die Erwartung des Schlimmsten: daß die Knötchen etwas Ernstes zu bedeuten hätten. Und die Erfüllung des Wunsches, noch einmal davonzukommen.

Denn seit einigen Jahren dürfen sich in dieser Gegend die Hände in bestimmtem Auftrag bewegen: tastend, sich an den Fingern zuspitzend, mit den Fingerkuppen abschmeckend, quirlend - Klümpchen bleiben hängen wie naßgewordene Federn in einem Federbett.

Doch die Gatten sind vorsichtig geworden. Man hört von ihnen sehr betont das Urteil: "Den möchte ich aber nicht zu meinem Frauenarzt haben."