Magazin Kunstforum International

Bd. 106, Künstler – Paare (I)

Kunstforum International, Band 106, Titelseite
Kunstforum International, Band 106, Titelseite

Erschienen
1989

Herausgeber
Bianchi, Paolo

Verlag
KUNSTFORUM International

Erscheinungsort
Köln, Deutschland

Issue
BD. 106

Seite 154 im Original

Anna & Bernhard Johannes Blume

Anna und Bernhard Johannes Blume (beide geb. 1937) leben und arbeiten in Köln und Hamburg. Beide kamen über Umwege zur Kunst und haben viele Jahre als Kunstpädagogin bzw. Kunst- und Philosophielehrer an Gymnasien gearbeitet. Vor dem Kunststudium hatte Anna Blume eine handwerkliche Ausbildung, und Bernhard Johannes Blume war Kino- und Dekorationsmaler. Seit 1980 arbeiten sie zusammen an einem "lebenslänglichen Fotoroman". Ihre Arbeit ist darauf ausgerichtet, das Alltägliche und Selbstverständliche in eine künstlerische Aussage einzubeziehen. Die kleinbürgerliche Lebenswelt im trauten Heim wird zum Ort verrückter Erfahrungen, in denen die Objekte sich verselbständigen, in fataler oder tragikomischer Weise zu handeln beginnen. Daraus entstehen Energiefelder, die Wirklichkeitsbezug und -abbildung verändern, den Raum entgrenzen und das Selbstbildnis zum Akt ekstatischer Entfremdung werden lassen (vgl. KUNSTFORUM Bd. 96, S. 232ff).

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ANNA & BERNHARD BLUME, Gegenseitigkeiten, einmal zerschnittene und neu zusammengeklebte Gegenseitigkeitsportraits von 1988, System Polaroid SX 70

Zum einen haben die beiden Künstler seit Anfang der 80er Jahre alle größeren Projekte gemeinsam erarbeitet, obwohl sie vor dieser Werkphase ausgeprägte Individualstile entwickelt hatten; zum anderen ist die Phase der gemeinsamen Arbeit so fruchtbar, weil in sie in bestimmter und deutlich ablesbarer Weise die individuellen Konzepte und Arbeitsstile gleichermaßen eingegangen sind: Die unterschiedlichen Ansätze potenzieren sich in der gemeinsamen Arbeit. Es ist bemerkenswert, daß beide Künstler neben ihren gemeinsamen Projekten ihre individuellen und gegeneinander deutlich abgrenzbaren Arbeitskonzepte weiterverfolgen (beide in erster Linie im Medium der Zeichnung).

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ANNA & BERNHARD BLUME, Gegenseitigkeiten, einmal zerschnittene und neu zusammengeklebte Gegenseitigkeitsportraits von 1988, System Polaroid SX 70

Da die gemeinsamen Arbeiten der Blumes gegenwärtig und vielleicht noch auf längere Zeit - allein schon wegen des nur gemeinsam bewältigbaren Arbeitsquantums - ihr Hauptwerk darstellen, muß die Rezeption darauf abheben, die individuellen Anteile an der gemeinsamen Arbeit stets präsent zu halten, das heißt, die gemeinsame Arbeit einmal aus der Sicht der Künstlerin und zum anderen aus der Sicht der Künstlers zu erschließen; das Gemeinsame wäre dann gerade der unübersehbare Wechselbezug der Konzepte. Das Gemeinsame liegt für die Arbeiten also nicht in den gemeinsamen Auffassungen, sondern darin, daß diese Auffassungen erst gegeneinander abgesetzt ihre besondere Prägnanz herausbilden. Das Gemeinsame ist nicht die Summe der individuellen Anteile; das Gemeinsame ist der Differenzpunkt, von dem die Besonderheiten erfahrbar werden.

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ANNA & BERNHARD BLUME, Gegenseitigkeiten, einmal zerschnittene und neu zusammengeklebte Gegenseitigkeitsportraits von 1988, System Polaroid SX 70

Beiden Künstlern geht es in der Entwicklung ihrer individuellen Konzepte um die Frage, was künstlerische Wahrnehmung und Gestaltung in der Konzentration auf die selbstverständlichen und für selbstevident gehaltenen Phänomene der Alltagswelt auszurichten vermögen. Beide antworten darauf gleichermaßen, daß künstlersiche Wahrnehmung und gestalterische Formulierung des Unspezifischen und Redundanten dazu führen müssen, das Selbstverständliche zum Thema zu erheben, was nur durch Problematisierung möglich ist.

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ANNA & BERNHARD BLUME, Gegenseitigkeiten, einmal zerschnittene und neu zusammengeklebte Gegenseitigkeitsportraits von 1988, System Polaroid SX 70

In den gemeinsamen Arbeiten der Blumes bringt Anna Blume die kleinbürgerliche Lebenswelt ein, die als vollständig verrückt erscheint, wenn sich in ihr die angeblich problemlos selbstverständlichen Formen verselbständigen, sobald sie abstrakt gesehen werden, das heißt, sobald die alltäglichen Verrichtungsrituale nicht mehr als in ihren Funktionen gesichert erlebt werden. Bernhard Blumes eigener Anteil an den gemeinsamen Arbeiten setzt sich prägnant gegen die Position seiner Frau ab: Sie verwandelt das Selbstverständliche in chaotische Bedrohung durch Aufkündigung ihrer Rolle; er versucht verzweifelt, seine Rolle festzuschreiben als künstlerischer Jedermann, der auf Biegen und Brechen (und diese kontrafaktische Behauptung ist zugleich tragisch und komisch) in die konkret vergänglichen und historisch bloß konventionellen Formen den Anspruch allgemein verbindlicher Ideen und Prinzipien hineinzuzwingen versucht.

Das Künstlerehepaar Blume ist in seiner gemeinsamen Arbeit derart fruchtbar, weil es in ein und derselben Arbeit die beiden extremen Haltungen heutiger Menschen zur Geltung bringt. Den Abschied vom Prinzipiellen und Allgemeinen (Anna Blume) und die bewußt kontrafaktische Behauptung, daß der Mensch sich erst bewähre, wo er das historisch Konventionelle und Beliebige als Repräsentanten kosmisch allgemein gültiger Ideen und Energien herbeizuzwingen versucht. Die Souveränität beider Künstler ist daran ablesbar, wie wenig sie sich einerseits den fundamentalistischen Gottsucherbanden zur Verwirklichung des Weltreichs der Ideen und andererseits den Unterhaltungsidioten als amüsierten und dennoch gelangweilten Euphorikern der eigenen Bedeutungslosigkeit anschließen.