Zeitung Frankfurter Rundschau

Kolumne „Bruderküsse“

Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.
Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.

Erschienen
22.04.1995

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
22.04.1995

Heldenplatzen

"Der Geist ist immer lebensfeindlich; es gibt keinen Geist, der das Leben bejaht!" Macht das Sinn? Schwerlich - aber herumphilosophiert haben die Herren Klages & Co. mit diesem Unsinn, bis das pralle Leben in SA-Uniform und BDM-Kostüm den Geist ausgetrieben hatte.
"Kunst ist immer staatsfeindlich; es gibt keine Kunst, die den Staat bejaht", sagt der Generaldirektor des deutschsprachigen Staatstheaters schlechthin. Macht das Sinn, vor allem, wenn damit Künstlern von Goethe bis Furtwängler schlicht abgesprochen wird, je Kunst produziert zu haben?
Wir wüßten schon gern, was der mit einer halben Million pro Jahr vom Staat gelöhnte Chef eigentlich sagen wollte. Sicherlich wollte er den Staat nicht dazu auffordern, sofort das sich selbst als staatsfeindlich denunzierende Theater zu schließen, oder auch nur die köstlichen Subventionen und Pensionen seiner Mitglieder auf Durchschnittswerte herabkürzen - fordert doch der Herr Direktor, wie alle seine Kollegen unentwegt, der Staat müsse seine Fürsorge für die Künstler erheblich steigern, denn schließlich sei er ja laut Verfassung auch ein Kulturstaat.
Wollte der hochmögende Theaterdenker und Schauspiellenker etwa sagen, "es gibt ja historische Beispiele für staatliche Eingriffe in die Freiheit der Kunst; aber wir werden dagegen ankämpfen, uns staatlich bevormunden zu lassen; denn das ist unser Beitrag zur Erhaltung der Meinungsfreiheit und zur Erfüllung unserer Demokratenpflicht, auf die Lenkung des Staates einzuwirken"?
Aber offenbar meinte er das nicht; denn er lehnt nicht nur einen die Künste bevormundenden Staat, sondern den Staat als solchen ab, egal welcher Verfassung oder Ordnung er genügt.
Ja, es muß aber wenigstens doch ein Staat insofern gegeben sein, als er Staatstheater unterhalten soll, oder nicht? Eine Schlußfolgerung liegt nahe: Der Staat, das bin ich resp. mein Theater. Der Staat ist das Theater der Kunst. Der Staat ist ein Kunstwerk, wenigstens als Staat im Staate. Und wie alle große Kunst deshalb ernstgenommen werden sollte, weil sie am radikalsten gegen ihre eigenen Geltungsansprüche angeht und jede großartige Leistung durch eine nächste in Frage stellt, so ist die Kunst in dem Maße stets staatsfeindlich, wie sie kunstfeindlich ist, also die Kunst in Frage stellt, z. B. als Welterlöserin oder Lebensstifterin.
Das könnte Peymann gemeint haben!
Um damit was zu sagen? Daß das Burgtheater keine große Kunst produziert, solange es sich nicht selbst liquidiert und einen solchen Staatsdirektor nach Belieben walten läßt; oder mit bekannten Argumenten: Der Beweis für die wirklich große Kunstleistung des Burgtheaters wäre erst erbracht, wenn der Staat das Theater wegen Staatsfeindlichkeit schließen ließe. Wo gäbe es sonst einen Maßstab? Kritik? Pah - heute hui, morgen pfui. Publikum? Alles Dummköpfe, denn sonst hätten sie längst den Staat zerschlagen, vor allem den österreichischen.
Zehn Jahre kämpft Peymann um die staatliche Anerkennung als Staatsfeind; fast wäre es ihm gelungen. Minister Josef Hesoun wollte ihn schon ausweisen, da, wieder nichts. Der Minister mußte gehen, Peymann blieb. "Hesoun hat mir viele Freunde gemacht." Gegen einen Staatsgeneraldirektor kommt ein bloßer Staatsminister nicht an. Es ist zum Platzen, oder wienerisch zum Ploatzen. Zum Heulen dieser Geist als Widersacher der Wiener Gesellschaft. Zum Kotzen dieses Theatergetue als Widerstand gegen den Staat, als der man sich gerade selber aufführt. Aber am widerlichsten ist es, sich zum Opfer zu stilisieren, sich als entarteter und verfolgter Künstler zu suggerieren, um so unantastbar seine totalitären Machtgelüste auszuleben.
Oder war das alles nur ein genialer Versuch, das Aufführungsverbot von Thomas-Bernhard-Stücken in Österreich zu umgehen, indem Peyman sie permanent außerhalb des Burgtheaters inszeniert?