Freundschaft
Nein, die Bonner Republik wird um so stärker gefährdet, je mehr wir den Gerichten aufnötigen, uns politische und soziale Fragen vom Halse zu halten. Denn es ist unübersehbar, daß alle diejenigen nach den Richtern rufen, die auf die ihnen gestellten Fragen keine Antworten wissen und das nicht eingestehen wollen, weil sie sonst ihre Machtpositionen gefährdeten.
Die von Bundespräsident Herzog auf die Szene gerufenen mutigen Bürger wären gerade diejenigen, die sich mit dem Mauschelkonsens, mit der Widersprüchlichkeit programmatisch vorgetragener Problemlösungen, mit den Zwecken, die die Mittel heiligen, nicht begnügen wollten. Ihnen per Gericht den Mund und den Beruf verbieten zu lassen, schwächt die Demokratie, anstatt sie zu stärken. Was hat es den Weimarianern genützt, Hitler sogar für alle deutschen Länder Rede- und Auftrittsverbot zu erteilen? Es wird auch uns nichts nützen, die Radikalen aller Couleur gerichtlich kassieren zu lassen, denn wenn ihnen Bürger auf den Leim gehen sollten, anstatt sich unseren Rezepten dankbar zu unterwerfen, dann tun sie es, weil sie insgeheim überzeugt sind, daß wir nur noch leeres Stroh dreschen und uns hinter Richtern verkriechen.
Leider bieten die jetzigen Appelle, unsere Demokratie mutig zu verteidigen, kaum mehr als die Aufforderung, unliebsame Fragen nicht zur Kenntnis zu nehmen und die penetranten radikalen Frager, einzelne wie Gruppen, als Feinde der Verfassung, des Staates und der Gesellschaft nach Sibirien zu schicken wie Giftmüll. Ob solche Inländerfeindschaft legitimer ist als die Ausländerfeindschaft? Ist immer noch mein Feind, wer nicht mein Freund sein will? Achten wir darauf, daß wir uns nicht selbst zum Feinde werden, weil wir vergessen, daß Freund nur ist, vor dem man laut denken darf, was ihm nicht paßt.