Zeitung Frankfurter Rundschau

Kolumne „Bruderküsse“

Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.
Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.

Erschienen
27.08.1994

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
27.08.1994

Mafiawippchen

Wer, unter dem Pseudonym "Wippchen", in der Kaiserzeit aus südöstlichen Kriegsgefilden für deutsche Matrosenanzugträger berichtete, daß sich die Kabarettbrettl bogen, ist immer noch umstritten. Seien wir deshalb dankbar, wenn sich heutige Wippchen gleich selbst identifizieren, wie in der ZEIT vom 12. 8. 94. Unser Wippchen heißt Claus und berichtet aus Sarajewo. Und was?
Ein bosnischer Redakteur habe "erst aus ausländischen Zeitungen erfahren, daß er Muslim sei. Das amüsiere ihn. In der Redaktion hätten sich die Kollegen gegenseitig als Tchetnik, Türke und Papist angepflaumt, bis sie merkten: Die Welt macht mit bei der ethnischen Entmischung." Das behauptet unser Spaziergänger auf Kriegsschauplätzen, aus erster Hand erfahren zu haben. Immerhin "teilte er wenigstens mit den Eingeschlossenen eine kalte Nacht".
Donner auch, daß wir das nicht gleich kapierten: Die Balkanbrüder haben bloß Witze reißen wollen, über die wir nicht lachen konnten; und deshalb wurden sie zu blutigen. Eine wippchenwürdige Variante des "ignoranten Defätismus", dessen uns Claus bezichtigt. Wer nicht rechtzeitig lauthals über Stürmerwitze lacht, wenigstens schmunzelt, wird zum Bürgerkriegstreiber.
Trotz dieser Drohung will es mir nicht gelingen, den klugen Claus nur noch "anzupflaumen", denn seine Multikultiwitze sind von allem Anfang blutig. Sie sind die Pointen einer Mafiaphilosophie, deren intellektuelle Abenteuerlichkeit von der Zensur der political correctness noch notdürftig verschleiert wird.
Denn einerseits beschwört Leggewie eine "bis heute durchgehaltene Mischung des multikulturellen Sarajewo" - das wäre eine Leistung. Andererseits sollen aber die Bürger der Stadt (siehe die angeblich zitierten Redakteure) gar nicht gewußt haben, daß sie multikulturell leben; dazu gehörte ja wohl die Zuordnung zu einer der vielen Kulturen, die dort immer schon so friedlich zusammengelebt haben sollen.
Wenn - wie Leggewie fingiert - die guten Leutchen erst "aus ausländischen(!) Zeitungen erfuhren", daß sie etwa Muslim, Kroate, Serbe, in ihrem Lande also multikulturell seien, dann müßte man ja die Vertreter dieser ausländischen Ideologie wegen Volksverhetzung oder Bürgerkriegstreiberei zur Verantwortung ziehen; also Claus Leggewie, den journalistischen Propagator der Multikultur.
Das klingt zwar auch wieder wie ein Wippchenwitz, ist aber die logische Konsequenz aus Leggewies Argumentation. Allerdings möchte er, wie alle Schreibtischherren, daß andere die Desaster seines Mutwillens ausbaden: "das pazifistisch gewordene Europa, darunter die friedfertigen Deutschen"; alles "ignorante Defätisten", wie er sagt. Ausgerechnet den Deutschen Friedfertigkeit vorzuwerfen und die Europäer des Pazifismus zu bezichtigen, wo sich auf der ganzen Welt die kriegerischen Interventionen der UN als prinzipiell blutige Fehlschläge erweisen, die an den Ausgangslagen nichts ändern, sondern sie verschärfen, zeigt die Multikultipropaganda als Machtgebaren von verantwortungsfreien Polithasardeuren.
Oder eben von Mafioten. Denn die vermögen ihre Bandenstrukturen gerade deshalb so effektiv aufzubauen, weil sie den Minderheiten, die von Multikultiideologen als je einmalige Kulturidentitätsträger mit missionarischer Inbrunst eingeschworen wurden, beliebig Loyalitätsbekundungen abpressen können - gnadenlos und brutal, wie das nur kulturelle Legitimation (siehe NS-Politik) ermöglicht: der Chinesenmafia, der Russenmafia, der Tchetchenenmafia usf.; eine wahre Multikultigesellschaft. Alles keine Pazifisten und schon gar nicht defätistisch - die hauen zu und schießen bei der kleinsten Abweichung von ihrer internen correctness, resp. kulturellen Ehre: Sind die das leistungsstarke Ideal für deutsche Matrosenanzugprofessoren, wie Wippchen sie schon annodunnemals belachte?
Ein Bürgerkrieger, ein Schelm, ein "Hartherziger", wer dabei etwas anderes denkt.