Buch Schule Oberhuber

Der Künstler, Rektor, Ausstellungsmacher und sein Programm

Schule Oberhuber, Bild: Berlin: De Gruyter, 2023.
Schule Oberhuber, Bild: Berlin: De Gruyter, 2023.

Reihe: Edition Angewandte

Erschienen
01.01.2023

Herausgeber
Rainer, Cosima | Stadler, Eva Maria

Verlag
De Gruyter

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

ISBN
978-3-9505036-5-4

Umfang
224 S.

Einband
Broschiert

Seite 193-195 im Original

Einheit durch Verschiedenheit. Jenseits von transmedial und interdisziplinär

Zum Selbstverständnis der Universität für Angewandte Kunst Wien

Universitäten waren im Mittelalter die ersten sozialen Institutionen, die die Studenten verschiedener Landsmannschaften, genannt nationes, zu einer Einheit der Lehrenden und Lernenden fügten. Diese Einheit wurde auf natürliche Weise gelockert oder gar aufgehoben durch die Ausdifferenzierung von immer neuen Forschungsgebieten und sie bearbeitenden Fächer. Die kulturelle Prägung der nationes der Lehrenden und Studierenden tat ein Übriges – selbstverständlich auch die Geltungssucht der Stifter und Geldgeber, die die Forschungsresultate für sich reklamierten. Mit der Etablierung von Nationalstaaten und der immer weiter gehenden Abhängigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung von der Wissenschaft reduzierten die Universitäten ihren ursprünglich universalen Geltungsanspruch auf nationale Anerkennung. Dies führte schließlich zu ethnisch/religiös/nationalistisch geprägten Kulturkämpfen, in die so gut wie alle Lehr- und Forschungseinrichtungen einbezogen wurden.

Weltweit gleiche Wirtschaftspraxis, getragen von Kapital, in den Bereichen Verkehrstechnik, Medizin, Warenverkehr erzwang in jüngerer Vergangenheit zwar neue Einheitlichkeit als Aufhebung aller lokalen Unterschiede, aber nur global, also in der räumlichen Einheit der Welt. Hingegen konnte sich das Prinzip der Autorität durch Autorschaft, wie es für die Künste gilt, tatsächlich weltweit etablieren – wenn auch bisher in totalitären Regimen nicht respektiert. Die Autorität von Individuen als Künstlerinnen und Künstlern hat weltweit Aufmerksamkeit erregt, weil es in den außereuropäischen Kulturen keine Vorprägung für die Autonomie der Kunst gegeben hat. Deshalb sind die Künste für alle Bemühungen jenseits der kapitalistischen Vereinheitlichung ein sinnvolles Beispiel für Einheit durch Verschiedenheit.

Wir schlagen vor, im Heiligenkreuzerhof der Angewandten ein Ausstellungsareal zu etablieren, in dem dem Publikum anhand von Beispielen die künstlerische Praxis der „Einheit durch Verschiedenheit“ nahegebracht wird. Das kann ganz einfach beginnen: Kunstwerke/Bildwerke entstehen, indem Künstlerinnen eine Vielzahl von Formen und Farben so zusammenfügen, dass sie eine Einheit, eben die des Werkes, bilden. Die einzelnen Bildelemente müssen sich deutlich voneinander unterscheiden und dennoch die Einheit des gesamten Bildwerks tragen. Das ist das elementarste Beispiel für „Einheit durch Verschiedenheit“. Denn wenn sich die Bildelemente nicht unterscheiden würden, wäre der Gesamteindruck nur ein bedeutungsloses Grau in Grau.

Der bekannteste Ausdruck für „Einheit durch Verschiedenheit“ ist das Gesamtkunstwerk, wobei „gesamt“ eben die Einheit der verschiedensten, zusammenspielenden Ausdrucksformen meint. Im Unterschied zur „Einheit durch Verschiedenheit“ steht die Vereinheitlichung – sei es politisch wie im melting pot des amerikanischen Verständnisses oder stilistisch wie im Stilbegriff des Feudalismus und seiner bürgerlichen Nachfolger. Stühle, Tische, Schränke, Wandbespannungen, Geschirr, Bestecke oder Beleuchtungskörper gleichermaßen zu gestalten hebt ihre Unterscheidbarkeit weitgehend auf und ersetzt die Vielfalt durch Gleichförmigkeit in der Erscheinung.

Ein weiterer Typ von Einheit wird im Begriff der Identität gefasst: als Handschrift der Künstlerin oder des Künstlers oder kulturelles Selbstverständnis der Bürgerinnen und Bürger. Auch hier setzt „Einheit durch Verschiedenheit" erst die Anerkennung des Unterschiedenen voraus.

Wer sich von anderen tatsächlich unterscheiden will, muss das, wovon er oder sie sich unterscheidet, kennen und anerkennen. Auch dafür liefert die Kunst das Beispiel. Die Bedeutung eines Künstlers oder einer Künstlerin ergibt sich aus den Beziehungen zu anderen durch deutliche Unterscheidung. Darin liegt die hohe Anerkennung der Kunst der anderen durch jeden, der sich künstlerisch betätigt.

Anhand dieser und ähnlicher Beispiele wird „Einheit durch Verschiedenheit“ als Programm verständlich, das gegenwärtig besonders für das vereinigte Europa gesucht wird. Europa wird nur leben, wenn alle beteiligten Staaten die Andersartigkeit der anderen durch Kenntnis zu schätzen bereit sind. Wer das nicht will, wird wie bisher üblich die eigene kulturelle Identität über die aller anderen stellen. Unrühmliches Beispiel: Der Versuch der Deutschen zwischen den 1880er- und 1950er-Jahren, sich als überlegene Kultur mit allen Formen der Macht gegenüber Polen, Russen, Ungarn und Österreichern oder Franzosen und Engländern durchzusetzen. Das ist Unterwerfung und nicht Einheit der Ungleichen.

Die Bereitschaft dazu verlangt sehr viel Selbstachtung und Kenntniserwerb. Wir wollen mit Theoriegelände im Heiligekreuzerhof dafür sorgen, dass möglichst viele Europäerinnen und Europäer zu Kennern der europäischen Kulturen werden.