Zeitung Frankfurter Rundschau

Kolumne „Bruderküsse“

Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.
Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.

Erschienen
23.07.1994

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
23.07.1994

Guter Wille

Wollen wir dem heutigen Tag gleich einen Namen geben, zum Beispiel Tag der deutschen Hybris? Denn heute zieht Hans Koschnick als Beauftragter für den Wiederaufbau in die bosnische Stadt Mostar ein. Damit anerkennen wir in gefälligem Selbstverständnis unsere Zuständigkeit für den Wiederaufbau der Ruinen, die ein ebenso selbstgefälliges Machtgebahren der jugoslawischen Völker mutwillig schuf und immer noch schafft. Die Tarnung Koschnicks als Beauftragter der Europäischen Union wird nichts nützen; er ist in Mostar der Deutsche, und was das heißt, könnten wir seit Monaten der dortigen Presse entnehmen.
Die Erwartungen, die seine Auftraggeber in ihn setzen, sind so irreal und naiv, daß sein Scheitern absehbar ist. Aber wie man die Deutschen kennt, werden sie auch diesmal das Ausmaß des Scheiterns und seiner Folgen zum Beweis der Größe ihres guten Willens erheben, denn Hoffnung und guter Wille können niemals scheitern, solange sie bestehen, lehren vornehmlich die Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels.
Aber auch einem guten Willen muß ein Wille zugrunde liegen, wir müssen wissen, was wir wollen, bevor wir sagen können, das sei gut. Wen immer man fragt, unsere Regierung, die EU oder die internationale Kontaktgruppe aus USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland - nirgends weiß man, was man in Jugoslawien eigentlich will, außer den guten Willen zum Frieden zu demonstrieren. Und so bleibt es dabei, daß der gute Wille nur die Macht- und Ratlosigkeit kaschieren soll, die man sich nicht einzugestehen traut. Genau das aber und das allein könnten wir aus den jugoslawischen Machtkämpfen der Nationalismen und den 43 weltweiten Desastern des Machtwahns lernen.
Statt dessen favorisieren wir weiterhin die Sieger und stiften die Verlierer an, ihrerseits zu siegen, denn wir huldigen der Macht, weil wir sie auch uns selbst zuschreiben wollen; und Macht beweist sich erst in ihrer Durchsetzung. Der abstrakte gute Wille ist der reine Machtwille, der Wille zur Macht schlechthin in der Form eines Ideals, das jedermann vorbehaltlos akzeptieren kann.
In unserer Geschichte jedenfalls haben die Menschen guten Willens mindestens so viel Unheil gestiftet, wie sie beheben zu wollen vorgaben. Der gute Wille zur Selbstverblendung versetzt zwar Berge aber er versetzt sie nur und trägt sie nicht ab.
Das wird der persönlich tapfere Hans Koschnick in seinem Talkessel Mostar schnell erfahren, wenn er es nicht ohnehin weiß. Warum läßt er sich dann als Galionsfigur des Willens zur Ordnungsmacht Deutschland, gar der Weltmacht Deutschland inaugurieren? Um das Dennoch allen Scheiterns zu retten? Du hast keine Chance, dennoch nutze sie. Es geht zwar nicht, dennoch versuche es. Das mag zwar christlich und heroisch sein und von jener Tragik, die großer Literatur zugrunde liegt, aber Politik ist gerade kein bühnenreifes Drama heroischer Selbstverblendung, mit der sich ihre Protagonisten nachträglich rechtfertigen könnten; denn tragische Katastrophen verstehen sich von selbst, dafür sorgen schon die Menschen guten Willens.