Kunstwerke/Bildwerke entstehen, indem Künstler eine Vielzahl von Formen und Farben so zusammenfügen, dass sie eine Einheit, eben die des Werkes, bilden. Die einzelnen Bildelemente müssen sich deutlich voneinander unterscheiden und dennoch die Einheit des gesamten Bildwerks tragen. Das ist das elementarste Beispiel für ‚Einheit durch Verschiedenheit‘. Denn wenn sich die Bildelemente nicht unterscheiden würden, wäre der Gesamteindruck nur ein bedeutungsloses Grau in Grau.
Der bekannteste Ausdruck für ‚Einheit durch Verschiedenheit‘ ist das Gesamtkunstwerk, wobei ‚gesamt‘ eben die Einheit der verschiedensten, zusammenspielenden Ausdrucksformen meint. Im Unterschied zur ‚Einheit durch Verschiedenheit‘ steht die Vereinheitlichung: sei es politisch wie im melting pot des amerikanischen Verständnisses, oder stilistisch wie im Stilbegriff des Feudalismus und seiner bürgerlichen Nachfolger. Stühle, Tische, Schränke, Wandbespannungen, Geschirr, Bestecke oder Beleuchtungskörper gleichermaßen zu gestalten, hebt ihre Unterscheidbarkeit weitgehend auf und ersetzt die Vielfalt durch Gleichförmigkeit in der Erscheinung.
Ein dritter Typ von Einheit wird im Begriff der Identität gefasst: als Handschrift des Künstlers oder kulturelles Selbstverständnis der Bürger. Auch hier setzt ‚Einheit durch Verschiedenheit‘ erst die Anerkennung des Unterschiedenen voraus.
Wer sich von anderen tatsächlich unterscheiden will, muss das, wovon er sich unterscheidet, kennen und anerkennen. Auch dafür liefert die Kunst das Beispiel. Die Bedeutung eines Künstlers ergibt sich aus den Beziehungen zu anderen durch deutliche Unterscheidung. Darin liegt die hohe Anerkennung der Kunst der anderen durch jeden, der sich künstlerisch betätigt.
Das Programm der ‚Einheit durch Verschiedenheit‘ gilt gegenwärtig besonders für das vereinigte Europa, das nur leben wird, wenn alle beteiligten Staaten die Andersartigkeit der anderen durch Kenntnis zu schätzen bereit sind. Wer das nicht will, wird wie bisher üblich, seine kulturelle Identität über die aller anderen stellen. Unrühmliches Beispiel: Der Versuch der Deutschen, sich als überlegene Kultur mit allen Formen der Macht gegenüber Polen, Russen, Ungarn und Tschechen oder Franzosen und Engländern durchzusetzen. Das ist Unterwerfung und nicht Einheit der Ungleichen. Die Bereitschaft dazu verlangt sehr viel Selbstachtung und Kenntniserwerb. Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Europäer zu Kennern der europäischen Kulturen werden.
Bazon Brock gibt die Besucherschule nur einmal, in der Hoffnung, dass sie auch einmalig wird.