Zeitung Frankfurter Rundschau

Kolumne „Bruderküsse“

Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.
Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.

Erschienen
12.02.1994

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
12.02.1994

Händereiben

Eigentlich sollen es Blitzschläge sein, die die Welt erhellen: die amnesty international-Reporte, die Menschenrechtsberichte des amerikanischen Außenministeriums. Wir zucken zusammen und flüchten in die Vermutung, doch bloß einem Donnerwetter des Polit-Theaters beizuwohnen wie die Zuschauer einer Inszenierung von Einar Schleef. Schleef läßt stampfen und wallen, und wir winden uns in Peinlichkeit über die Naivität, mit der ein Künstler uns den Glauben an die Autorität seines moralischen Urteils einhämmern will. Die Menschenrechtsberichte beschwören die Dramaturgie der Empörung, und wir winden uns in Peinlichkeit vor der Naivität, mit der sich Humanisten und Aufklärer als Politrhetoriker demontieren.
Kann man denn zugleich bundesrepublikanischen Richtern und Staatsanwälten vorwerfen, sie griffen immer noch nicht hart genug gegen Straftäter durch, die "in rechtsextremistischen Haßvorstellungen befangen" seien; um zugleich zu beklagen, daß "einige staatliche Maßnahmen gegen Gewalt die Frage aufwerfen, ob es sich mit den Menschenrechten vereinbaren läßt, rechtsextreme Bücher, Symbole und Rockmusik zu zensieren und Neonaziorganisationen zu verbieten"? Kann, man die UNO bezichtigen, sie mißachte sträflich ihre Pflicht, in weltweiten Bürgerkriegen die Menschenrechte zu garantieren, um ihr aber Einmischung und Parteilichkeit vorzuhalten, sobald sie aktiv wird?
Zwar "verurteilt" amnesty international Verbrechen, die Terrororganisationen beider nordirischer Lager permanent begehen; die härtesten Vorhaltungen richtet ai aber gegen die Londoner Regierung in ihrer Rolle als Vermittlerin zwischen nordirischen Katholiken und Protestanten. Die "anhaltende Feindseligkeit der nordirischen Katholiken gegen die englische Armee" sei der englischen Regierung zuzuschreiben, die "nicht genügend unternommen habe", ihre eigene Unparteilichkeit zweifelsfrei darzustellen. Beweis? Die katholische Bevölkerung betrachte die Armee als eindeutig parteiische Kraft. Aber auch die protestantische Partei wehrt sich bis zum Exzeß gegen die Vermittlerrolle Londons; die englische Regierung verrate die Protestanten um des lieben Friedens willen.
Die Berichte von amnesty international und anderen werden kontraproduktiv, wenn so gut wie alle Länder auf gleiche Weise der Menschenrechtsverletzungen bezichtigt werden. Die Diktatoren und Terroristen dürfen sich die Hände reiben, wenn mit Autorität behauptet wird, die Kritiker der Elche seien selber welche. Diese Autorität zerstört sich nun mit jeder ihrer Bekundungen! Eigentlich müßte es eine Tragödie sein, es bleibt aber nur ein schaler zynischer Witz auf Kabarett-Niveau, daß man heute Asylbewerber und Einwanderer vor der Bundesrepublik am besten abschrecken kann, indem man Menschenrechtsberichte über dieses Land zitiert.