Buch Ernst Volland – Die Kunst des Fake

Ernst Volland – Die Kunst des Fake. Frankfurt a. M.: Westend, 2021
Ernst Volland – Die Kunst des Fake. Frankfurt a. M.: Westend, 2021

Fake als Kunstform der Aufklärung

„Fake News“ sind in aller Munde. Doch was ist ein wirklicher Fake und wo liegt der Unterschied zu einer Fälschung? Der Künstler Ernst Volland beschäftigt sich seit Jahrzenten mit dem Thema Fake. Er beobachtet sie im Alltag, findet sie in den Medien oder entwirft selbst einen Fake. Dafür schickt er vermeintliche Kinderzeichnungen an Politiker und Bischöfe oder schenkt der Nationalgalerie das Bild eines fiktiven Künstlers. Sein Ziel: mit subversiven Nadelspitzen die Mächtigen herausfordern.

Blaise Vincent „Frische Malerei“

Anfang 1982 malte Ernst Volland neun großformatige Bilder für eine kleine Kreuzberger Szene Galerie, die Galerie am Chamissoplatz. Neun Bilder aus dem einfachen Grund, die Galerie verfügte über neun Wände. Volland malte die Bilder innerhalb von zwei Tagen in einem Hinterraum der Galerie, einer ehemaligen Bäckerei, der hin und wieder für Veranstaltungen benutzt wurde. Die Aktion war mit dem Galeristen Werner Tammen abgesprochen. Als Material benutzte er Packpapier, Fensterrollläden, Nessel. Stilistisch hielt er sich an die gerade äußerst erfolgreiche „Junge Wilde Malerei“, die es aus dem Stand von Berlin nach New York schaffte. Zur Eröffnung waren einige Bilder noch nicht trocken. Sie hatten rasch erfundene Titel wie „Der Weg nach Fontainebleau“, ein buntes Panorama, das auf die eine Wand im Raum getackert wurde, und „Der Weg zurück von Fontainebleau“, spiegelverkehrt auf die gegenüberliegende Wand. Auf einem Schildchen stand: Im Besitz der Stadt Paris. Der Name des Fake-Künstlers hieß Blaise Vincent, der Titel der Ausstellung „Frische Malerei“. Blaise klang schön französisch und Vincent stand für Vincent van Gogh. Zur Eröffnung spielte ein junger Mann Kontrabass, dieser wurde auch eingesetzt, wenn der Künstler Blaise Vincent in Erscheinung treten musste, z.B. für einen Atelierbesuch. Blaise Vincent schaffte es bis in die Nationalgalerie. Dort befindet sich das Bild „La duce nuit Kreuzberg“, 1981, 200 x 180 cm. Eine ausführliche Darstellung der Aktion ist zu nachzulesen in: Ernst Volland, Eingebrannte Bilder, a.a.O., S. 262, sowie im Kapitel „BLAISE VINCENT oder FRISCHE MALEREI“ in der vorliegenden Publikation, S. 82-123.

Erschienen
01.01.2021

Verlag
Westend

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

ISBN
978-3-86489-317-9

Umfang
247 S.

Einband
Hardcover

Seite 116-123 im Original

BLAISE VINCENT oder FRISCHE MALEREI

Bazon Brock

Auszug aus einer Rede von Bazon Brock zur Ausstellungseröffnung in der Galerie Rambow, Güstrow, 2. Oktober 2018:

„Die Klagenden unterwerfen sich, weil sie denken, sie seien schwach, sie könnten sowieso nichts anderes tun, als sich zu beklagen und zu jammern. Die anderen gehen in den Konfrontationsmodus über. Das sind die Figuren, die oft karikiert und lächerlich gemacht werden wegen der tragischen Disproportion zwischen der Macht des Einzelnen und dem Konflikt, dem sie ausgesetzt sind. Aber insgesamt hat sich doch seit 1900 in Europa gezeigt, dass der Fortschritt im Sinne dieser Modernitätsbewegung ausschließlich durch die kabarettistische Vernunft getragen wird. Seit den Romantikern gibt es den Begriff der romantischen Ironie, also Aussagen zu entwickeln mit dem Hinweis darauf: Wir erproben mal experimentell, was herauskommt, wenn wir so denken oder uns so orientieren und uns nicht pathetisch distanzieren als diejenigen, die die Wahrheit wollten, aber nicht durchsetzen konnten, sondern wir widerrufen! – Damit sind wir bei einer entscheidenden Leistung der kabarettistischen Vernunft, die u.a. in eine Großaktion von Ernst Volland eingegangen ist.

Wenn Sie da das große Pseudogemälde ‚Blaise Vincent, Sprung von der Siegessäule‘ [Abb. 1] sehen, so ist das ein Beispiel für die Strategie der kabarettistischen Vernunft, die auf den Begriff der wahren Falschheit eingeht. Kabarettistische Vernunft heißt: Ich habe etwas als wahr erkannt, wenn ich weiß, dass es falsch ist, denn die Aussage ‚Dies ist falsch‘ ist ja wahr. Wenn aber ein Großmufti oder Parteihengst behauptet, dass dies die Wahrheit sei, lachen alle. Woher weiß der das? Jeder kann das beliebig widerlegen. Wenn er aber sagt, das ist falsch, dann ist das die Wahrheit.

Diese zentrale Figur der kabarettistischen Vernunft wird heute mit dem Begriff des fake verbunden. Orson Welles hat 1973 mit F for Fake ein berühmtes Werk dazu geschaffen, einen der besten Filme aller Zeiten, den Sie unbedingt ansehen sollten, an dem alle großen Gestalten dieser individuellen Trägerschaften der neuen Bewegung teilnahmen. Auch Picasso hat mitgespielt. Faker sind Leute, die bekennen, dass das, was sie tun, falsch ist. Aber das als falsch Erkannte ist ja wahr. Sodass wahr nur noch das ist, was als Falsches erkannt wurde. Das ist die zentrale Form der Kritik, die die Wissenschaft betreibt. Karl Popper, ein Standardphilosoph, der in den 1950er Jahren von England aus Weltrevolution machte, sagte, Wissenschaftler seien verpflichtet, das, was sie behaupten, die sogenannte Hypothese, als falsch zu beweisen. Wenn ein Wissenschaftler beweist, dass das, was er sagt, falsch ist, dann hat er objektiv einen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte geleistet. Die Wissenschaftler, die behaupten, sie hätten die Wahrheit gefunden, sind Narren, denn es könnte ja nur ein Zufallstreffer gewesen sein. Systematisch Wissenschaft zu betreiben, heißt, Aussagenbehauptungen, Hypothesen zu widerlegen.

So hat Volland in Berlin mit der Ausstellung des erfundenen Künstlers Blaise Vincent ein berühmtes fake gestartet. Es gibt andere Künstler wie etwa Peter Weibel, die fiktive Künstlerbiografien ausstellten und damit vorgeführt haben, wie die gesamte Gesellschaft, vornehmlich die Presse – die ist immer die Dümmste und Professoren sind die Zweitdümmsten – darauf hereinfällt. Diese Aktionen waren bewusst darauf angelegt, das Attitüdentheater der Presse, von Galerien, von Biographieschreibern, von Lohnsklaven aller Art als Erzeugung von Falschheit darzustellen und damit zu zeigen, dass sie die Wahrheit sagen. Davon lebt ja der ganze Kunstbetrieb. Wenn er überhaupt lebt, sonst ist er ja längst in den Markt übergegangen. Es gibt keine Kunst mehr, es gibt nur noch Markterfolge. Es bleibt nur noch, wie die Wissenschaftler zu sagen: Was wir tun – als hypothetische Behauptung –, ist wahr, soweit wir nachweisen können, dass es falsch ist. Es gilt nur: Was als falsch erkannt wird, bezeugt als solches den Wahrheitsanspruch.

Volland hat in vielerlei Hinsicht solche Attitüden der kabarettistischen Vernunft übernommen. Sie sehen da schemenhafte Darstellungen der sogenannten Poetik der Unschärfe. [Abb. 2-4]

Von dem am Weltmarkt erfolgreichsten Künstler Gerhard Richter kennen Sie das als ein Verfahren aus den 1960er Jahren. Richter stammt aus der DDR, wie die zehn großen, in Westdeutschland erfolgreichsten Künstler auch. Er hat dieses Verfahren der Unschärfe im Hinblick auf ein ganz anderes Problem angesprochen: nämlich, dass es in der Malerei Unschärfe erst gibt, seit es die Foto- und Filmoptiken gibt. Denn erst die Filmoptik erzeugte das Phänomen der Unschärfe! In der Malerei gibt es keine Unschärfen. Das sfumato bei Leonardo da Vinci, also der vernebelte, verrauchende Horizont war eine ganz andere, abgeleitete Technik der Begrenzung eines Wahrnehmungsfeldes. Das hatte mit Unschärfe nichts zu tun.

Der Effekt, den Sie hier sehen, ist, dass wir auf kabarettistische Vernunft, auf eine bestimmte Art der Selbstreflexion als Selbstbefragung oder Selbstthematisierung der Schauenden angewiesen sind, nämlich auf den Zusammenhang der kognitiven Verfahren der Vernunft und des Verstandes mit Verweis auf das, was wir tatsächlich wahrnehmen. Was wir wahrnehmen, nennen wir evident. Evidere heißt: Wir sehen nach eigenem Augenschein: Das Bild dort hinten in der Mitte scheint so auszusehen wie das Porträt von Anne Frank. Das Bild rechts daneben sieht so aus wie die Hängeaktion beim Einmarsch in Polen, und die Gesellschaft unten wie die berühmten Lynchjustizszenen aus dem Süden der Vereinigten Staaten. [Bezieht sich auf die oben genannten Abbildungen.]

Wenn Sie sich diese Bilder ansehen, kommt es zum Konflikt zwischen dem, was Sie begrifflich fassen können, nämlich Selbstjustiz des Mobs im Süden der USA, und dem, was Sie namentlich fixieren; während andererseits der Augenschein, die visuelle Bestätigung für dieses Begriffsbild, nur unscharf gegeben, nur eine Annäherung sein kann. Die Frage ist: Ist das eigentlich der Erfolg der Begriffsbildung, dass die Wahrnehmung so weit zurückgedrängt wird, dass sie nur noch auf eine Art von Anschein reduziert wird, oder ist es umgekehrt, brauchen wir den Anschein, um endlich dazu angehalten zu werden, Begriffe zu bilden? In diesem Fall ist es klar: Uns werden zuerst tausendfach in allen Zeitungen Anne Frank und die Erhängungsszenen von Polen bis hin zu den Südstaaten vorgeführt. Das prägt sich uns ein, brennt sich uns ein, wie Volland sagt. Das sind in unser kollektives Gedächtnis eingebrannte Bilder, die dann in eine Ebene zurückversetzt werden, die das Denken und Begriffsbilden dazu herausfordert, sich klar zu machen, was man da eigentlich sieht, wenn man so eine Szene vor sich hat.

Gerhard Richter hat 1977 damit angefangen, indem er die Stammheim-Gefangenen in Bildform in eben dieser Poetik der Unschärfe, ausgerechnet für die Vorstandsräume der Deutschen Bank, reproduziert hat. Das ist die Sozialperversion erster Klasse, das nennt man Pornographie. Es ist nicht berichtet worden, dass irgendeinem Banker aufgefallen wäre, welche kognitiven Dissonanzen zwischen dem, was er sieht, und dem, was er weiß, was er begrifflich gebildet hat, ihm zugemutet werden. Das können Sie leicht verstehen, wenn Sie bedenken, dass das Schicksal der Deutschen Bank in einem immerwährenden Abstieg besteht, aus der Unfähigkeit heraus, das eigene Sehen, Wahrnehmen mit der eigenen Begriffsbildung in Übereinstimmung zu bringen. Die Banker waren völlig abgekoppelt von der sozialen Realität, der Natur, den ökonomischen Prozessen, haben sich auf abstrakte Begriffsschemata kapriziert und schließlich den Kontakt zur Wirklichkeit verloren. Die Weltfinanzkrise war nichts anderes als die Abkoppelung der Denkprozesse von der Wahrnehmung für das Betreiben der Spekulationsvorgänge in Millisekunden, erzwungen durch die neue Computertechnik. Wer abgekoppelt von der Wirklichkeit denkt, muss notwendigerweise in seinem Weltbezug zusammenbrechen.

Das gilt für Deutsche allgemein, warum? Weil das Bewusstsein der eigenen Macht und Stärke, die Verpflichtung auf die Evidenz, auf das, was man sieht, was vor Augen steht, was jedermann erkennt, aufgehoben wird. Das Denken verselbständigt sich, was wiederum zu solchen katastrophalen Hyperkritiken oder Abstraktionsakrobatiken führt, die am Ende nichts bringen.

Wer dagegen Gerechtigkeit fordert im Hinblick auf die Einheit von Evidenz, also auf die Einheit dessen, was ich mit eigenem Augenschein bestätigen kann, und dem, was begrifflich zugeordnet wird, und dann erfährt, dass da eine Dissonanz ist, dass das nicht übereinstimmt, wird sich fragen: Warum ist das so? Werden wir belogen durch die Bilder oder ist die Denkbewegung des Begriffs falsch? Dann kommt man etwa mit der Forderung, auf Gerechtigkeit und auf Wahrheit orientiert zu sein, schnell ins Schleudern. Die Folge sind Ohnmachtserfahrungen. Diese Diskrepanz zwischen Verpflichtung auf Wahrheit oder Gerechtigkeit – griechisch ist das eine Einheit – und andererseits Erfahrung der Ohnmacht stellt das Handlungsprojekt dieser Einzelkämpfer dar. Sie sehen sich gezwungen, über die verlorene Ehre nachzudenken. Diesen Begriff hat Schiller geprägt: der Täter aus verlorener Ehre, dem absolut nicht mehr die Möglichkeit gegeben ist, seinem Gerechtigkeitssinn zu entsprechen und der deswegen als Asozialer oder Krimineller stigmatisiert wird.

In Vollands ‚Eingebrannten Bildern’ wird der Begriff der Unschärfe in diesem Zusammenhang des Widerspruchs zwischen Erfahrung der Ohnmacht und großer Verpflichtung auf Gerechtigkeit und Wahrheit besonders gut dargestellt. Wenn Sie den Band zum Lebenswerk Vollands erwerben, empfehle ich Ihnen die Seite 90, wo Christian Metz, ein Literaturwissenschaftler aus dem Umfeld der Kleistforschung, in geradezu genialer Weise darstellt, wie ein solches Verfahren erschließbar ist, z.B. in Kleists Novelle ‚Verlobung in St. Domingo‘.

In einer Notsituation kommt dort ein junger weißer Mann, der noch nicht vollkommen von der imperialistischen Allmachtsphantasie verseucht ist, mit Haitianern zusammen. Er verliebt sich jenseits der normalen historischen Ordnung – Weiße hie, Schwarze da – in eine Haitianerin. Nun kommen die schwarzen Widerständler zurück, die den weißen Liebhaber sicherlich malträtieren und die Verlobte wegen ihrer Bindung an einen Weißen bestrafen würden. Sie kann die Haitianer überzeugen, dass sie auf ihrer Seite steht und den Weißen in ihrem Bett bereits gefesselt habe. Das akzeptieren die Aufständischen. Sie hat durch die Fesselung sich und ihn gerettet.

Was wir von Volland gezeigt bekommen, ist nicht eine bloße Illustration der Vorgänge, sondern ein Verweis darauf, dass eine anscheinend sträfliche Tat der Rettung von Wahrheit und Gerechtigkeit dienen kann.

Welches sind denn nun, wenn man sie belastet, die Kriterien der Wahrheit und Gerechtigkeit? Das ist sozusagen das wesentliche Motiv dieser Einzelkämpfer: Sie müssen für sich selbst entscheiden. Sie können sich weder auf die Gesellschaft noch auf die Wissenschaft verlassen, die ihnen schon sagen wird, welche Kriterien richtig sind und welche falsch. Das ist einerseits eine hohe Anmaßung und andererseits eine unglaubliche Selbstverpflichtungsleistung; und es ist andererseits der Konflikt zwischen der Ethik im Sinne der Orientierung auf Wahrheits- und Gerechtigkeitsansprüche und der Ästhetik, die alle diese Phänomene der Sinnhaftigkeit repräsentiert und ins Werk setzt.

Das geschieht auf die unterschiedlichsten Weisen. Volland ist kein Künstler, der seine eigenen künstlerischen Interessen in die Öffentlichkeit bringt, damit alle sagen: Oh, ein großer Künstler!, sondern er will sich als Künstler beweisen, indem er glaubhaft macht, dass das, was er sagt, für die Gesellschaft, also Menschen seiner Art, wichtig sein kann, obwohl diese Aussagen von einem kleinen schwachen Individuum stammen und obwohl die Großkollektive die Meinungsführerschaft haben.“

Titelmotiv Prospekt „Sprung von der Siegessäule“. Blaise Vincent
Titelmotiv Prospekt „Sprung von der Siegessäule“. Blaise Vincent
Ernst Volland, L2, 1996, Bild: 140 x 100 cm.
Ernst Volland, L2, 1996, Bild: 140 x 100 cm.
Ernst Volland, Nigger, 2001, Bild: zweiteilig, je 177 x 127 cm.
Ernst Volland, Nigger, 2001, Bild: zweiteilig, je 177 x 127 cm.
Ernst Volland, E9, 1997, Bild: Fotografie, 140 x 100 cm.
Ernst Volland, E9, 1997, Bild: Fotografie, 140 x 100 cm.

siehe auch: