Buch Sie stellen mir Fragen, die ich mir nie gestellt habe

Männergespräche

Timo Frasch: Sie stellen mir Fragen, die ich mir nie gestellt habe. Männergespräche. Frankfurt a. M., 2019.
Timo Frasch: Sie stellen mir Fragen, die ich mir nie gestellt habe. Männergespräche. Frankfurt a. M., 2019.

Erschienen
01.01.2019

Autor
Timo Frasch, Bazon Brock u.a.

Verlag
Frankfurter Allgemeine Buch

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

ISBN
978-3-96251-075-6

Umfang
236 Seiten; 21 cm

Einband
Halbgewebe

Seite 57 im Original

Die Wahrheit ist eine schmutzige Menschenfalle

Interview F.A.S, 20.04.2014

Der Kunsttheoretiker Bazon Brock sagt: Der Westen ist nicht der Sieger der Geschichte, und der Machtpolitiker Putin hat das begriffen.

Herr Brock, es soll heute um das Begriffspaar Wahrheit und Lüge gehen. Beginnen wir mit einem Thema, das für einen Kunsttheoretiker wie Sie von Interesse sein wird: Sebastian Edathy. Der hat seine Bestellungen von Bildern nackter Jungen mit seinem angeblichen kunsthistorischen Interesse erklärt. Halten Sie das für eine glatte Lüge?

Behauptungen dieser Art sind nie gelogen, sondern Rationalisierungen, das heißt, wir versehen unsere Handlungen nachträglich mit Gründen.

Aber die müssen doch plausibel sein.

Bei Edathy scheitert es tatsächlich an der mangelnden Evidenz. Er schneidet sich mit seinem nachgeschobenen Motiv auch ins eigene Fleisch, denn gerade in der antiken Kunst wurden Jünglinge rein pornografisch dargestellt. Die Alten haben damals entdeckt, dass alle Bildwirkung pornografisch ist, weil sie darauf hinausläuft, einen bestimmten Impuls zu vermitteln. Also: „Du sollst kaufen!“, „Du sollst wählen“, oder: „Du sollst begehren!“ Aus dem Wahrnehmen des Bildes wird eine Handlung initiiert. Dass Edathy diesen Zusammenhang nicht kennt, zeigt, dass er von der ästhetischen Bildwirkung keine Ahnung hat, sich also auch nicht dafür interessieren kann.

Zweiter Fall: die Krimkrise. Es scheint, dass da zwei völlig verschiedene Konzepte von Wahrheit aufeinandertreffen.

Überhaupt nicht. Putin handelt völlig rational, und zwar in unserem Sinne. Es ist erstaunlich, wie er den Westen mit dessen eigenen Argumenten auskontert. Der Westen wurde auf diese Weise unglaublich blamiert.

Warum?

Weil er kein Verständnis für den Begriff des Politischen hat.

Was ist denn Ihrer Meinung nach Politik?

Es geht dabei nicht um Definitionen, sondern um das, was der Fall ist, also um Macht. Für den Westen heißt das: Man kann sich nicht gegen etwas wehren, was man selber zur nachträglichen Rationalisierung des eigenen Verhaltens ständig anwendet. Putin hat kapiert, dass er sich genau der Verfahren bedienen muss, die ihm der Westen vorgibt.

Was meinen Sie damit? Der Westen hat ihm schließlich nicht vorgegeben, die Krim zu annektieren.

Um dem Vorwurf zu entgehen, er sei ein Diktator, befleißigt er sich westlicher Argumente: demokratische Legitimation, Wiedervereinigung, Selbstbestimmungsrecht. Das Zynische daran ist, dass wir durch Putin erkennen, wie völlig haltlos das ist, was wir hier treiben. Er hätte das alles doch nicht tun können, wenn nicht die EU mit geradezu zuhälterhaftem Getue versucht hätte, die Ukraine in ihr Bett zu ziehen. Weiß hier niemand, dass der ‚Kiewer Rus‘, dass Kiew die Mutter Russlands ist?

Viele in der Ukraine wollen in dieses Bett, und viele haben Angst vor Putin, weil er eine Machtpolitik betreibt, die man zumindest im westlichen Teil der Welt überwunden glaubte.

Nicht, wer Macht ausüben will, ist eine Gefahr für die Menschheit, sondern wer sie nicht ausüben will, zumal dann, wenn das betrügerisch kaschiert wird mit Ideologien, Frömmigkeiten oder, was das gleiche ist, mit der Wahrheit. Das Ziel aller Politik muss es sein, niemandem zu erlauben, für sich den Besitz der Wahrheit zu reklamieren. Die Wahrheit ist eine schmutzige Menschenfalle, und Politik ist die Instanz, die die Wahrheit zu zähmen hat. Die Fanatiker à la Platon, die nur der Wahrheit und nichts als dieser verpflichtet zu sein glauben, legitimieren Mord und Totschlag im Namen der Wahrheit.

Wollen Sie ernsthaft behaupten, dass es Putin um die Kritik an einem wie auch immer gearteten Totalitarismus der Wahrheit geht?

Natürlich, Putin ist ein Kritiker der Wahrheit. Die Wahrheit, die er kritisiert, lautet: Wir im Westen sind die Sieger der Geschichte, und die anderen, Russen oder irgendwelche Leute jottwedee, glauben noch an Gespenster. Die Überlegenheit von Putins Position besteht darin, dass er nicht politisch korrekt agiert, sondern Machtpolitik betreibt. Machtpolitik heißt: Verantwortung für die großen politischen und historischen Dimensionen zu übernehmen und das Hantieren mit Begriffen wie Völkerrecht, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie als das zu erweisen, was es ist. Nämlich,: Rationalisierung, bestenfalls. Oder Ideologien oder – und das ist das wichtigste – Utopien. Denn Utopien bieten die Argumente für die Kritik an der unmenschlichen Wahrheit.

Damit reden Sie doch einem kompletten Relativismus, wenn nicht Nihilismus das Wort. Wahrscheinlich würden sie selbst noch Kim Jong-un dafür geeignet finden, dem Westen seine Grenzen aufzuzeigen.

Das ist ja gerade einer, der demonstriert, in welchen Wahnsinn man gerät, wenn man sich im Besitz der Wahrheit wähnt. Im Übrigen fröne ich nicht einem Relativismus. Denn relativ heißt, alles gewinnt seine Bedeutung in Bezug zu etwas anderem. Auch Macht ist notwendigerweise nur im Hinblick auf Gegenmacht überhaupt bestimmbar. Macht braucht Gegenmacht, man nennt das Balance of Power.

Oder Kalter Krieg.

Jedenfalls ist das Gleichgewicht seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr gegeben. Da fing das Globalisierungsaffentheater an, der Siegesrausch des Westens, der ihn keine Grenzen seines Potentials mehr anerkennen ließ. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet die 68er vollständig rehabilitiert wurden. Sie wurden zur erfolgreichsten Generation aller Zeiten, weil ihre Gegner alles realisierten, was sie erwartet hatten: Den Geltungsanspruch der USA weltweit ganz erheblich zu reduzieren; die Macht der Ohnmacht zu demonstrieren; die westlichen Ideologien zu desavouieren et cetera et cetera. Die Bürgerrechte werden ausgesetzt, um sie angeblich zu retten. Die Landschaft wird durch Energiemaschinen in unglaublicher Standdichte vernichtet, um die Landschaft angeblich durch nachhaltige Energiegewinnung zu bewahren. In diesem Wahnsinn der Begriffsjongliererei ist der Westen ohnmächtig geworden und hat seinen Siegerinfantilismus so weit getrieben, diesen sogenannten Verzicht auf Macht als humanitäre Tugend auszugeben.

Sie nennen es Ohnmacht, andere loben es als militärische Zurückhaltung. Was sollten Amerika und die Nato Ihrer Meinung nach in der Krimkrise denn tun? Einmarschieren?

Den Mund halten, weil doch sowieso alle nur ihren Vorteil suchen, also mit den Russen handeln auf Teufel komm raus. Nie hat sich irgendein Händler geschert über die Menschenrechtsverletzungen in China, Afrika oder sonstwo. Den Leuten das einzureden, sabotiert hier den letzten Rest von Verbindlichkeit.

Der Westen hat aus Ihrer Sicht also kein Deut mehr Recht, sich im Besitz der Wahrheit zu glauben, als etwa Russland?

Verstehen Sie doch: Die Wahrheit ist das Synonym für Irrsinn. Das ist die Erfahrung aller Zeiten. Wer sich im Besitz der Wahrheit glaubt, ist ein psychopathischer Fall. Der Westen jongliert ausschließlich mit psychopathischen Wertigkeiten. Er soll sich mit den Fakten beschäftigen! Und wenn man zum Beispiel die Maastricht-Verträge aus Opportunitätsgründen bricht oder Grundprinzipien des Rechtsstaats per Gesetz liquidiert, wie das im Sommer 2012 mit dem Gesetz zur Sicherung der Leistungsfähigkeit von Versicherungen geschehen ist, dann soll man das als politisch gewollt darstellen, sich aber nicht beschweren, wenn andere in ähnlicher Weise handeln. Ganz sicher sind die kollektiv begangenen Rechtsbrüche à la EZB-Bankenrettung et cetera für erheblich mehr Menschen von Bedeutung als die mögliche Wiedervereinigung Russlands und der Krim.

Sie haben gesagt, Macht gebe es nur in Bezug auf eine Gegenmacht. Das bedeutet doch, dass es Lüge auch nur in Bezug auf die Wahrheit gibt, wenn also der, der lügt, die Wahrheit kennt. Mithin muss es die Wahrheit doch geben. Oder etwa nicht?

Nicht die pathetische Wahrheit als etwas jenseits unserer Verständigung über das Argumentieren mit der Differenz von wahr und falsch Gegebenes – die Unterscheidung ist eine Denknotwendigkeit, mit der aber nicht festgelegt ist, was im einzelnen wahr ist oder nicht.

Die Gegenmacht, von der Sie vorher sprachen, kann doch auch in der Geschichte liegen, Stichwort „Drittes Reich“. Was spricht denn dagegen, wenn wir dazugelernt und für uns erkannt haben, dass es Dinge gibt, Demokratie, Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit, die dem friedlichen Zusammenleben von Menschen zuträglich sind?

Zuträglich ist der Streit, griechisch ‚Polemik‘, über diese Fragen, aber nicht die Behauptung, eine Partei könne den Streit für sich entscheiden. Was haben Sie von der Rechtsstaatlichkeit, wenn Verfahren 10 Jahre und länger dauern? Wo bleibt der Rechtsstaat, wenn etwa Rechtsanwälte irrsinnig hohe Honorare dafür bekommen, einem Klienten überhaupt den Zugang zur Rechtsprechung zu ermöglichen? Und wo bleibt der Rechtsstaat im emphatischen Sinne, wenn Dutzende von engagierten Rechtsanwälten einen streitbaren Sachverhalt so umfassend darstellen, dass kein Richtergenie die Sachlage tatsächlich vollständig beherrschen kann?

Ein Beispiel, bitte.

Nehmen Sie den Hoeneß-Prozess. Ein ganz toller Fall von Rechtsstaatlichkeit. Ein kurzer Prozess trotz kurzristiger Veränderung der Sachlage verhindert gerade, was er zu klären gehabt hätte, nämlich: Woher kam das Spielgeld des „bayerischen Giganten“ Hoeneß? Offensichtlich hält selbst die Kanzlerin es für eine rühmliche, besonders anerkennenswerte Ausnahme, dass Herr Hoeneß dem Urteil zu entsprechen gedenkt. Merkel ließ hochoffiziell ihren nachdrücklichen moralischen Respekt vor dem Handeln des Uli Hoeneß verkünden. Was heißt da Anerkennung des Rechts durch die Macht?

Wenn Sie dergleichen in Russland äußern würden, müssten Sie womöglich mit Repressalien rechnen. Von der vergeblichen Hoffnung auf einen fairen Prozess ganz zu schweigen.

Ich sehe da keinen großen Unterschied zu entsprechenden Rationalisierungen am Hof Putins. Ihr Argument gibt mir ja gerade Recht. Vor noch nicht langer Zeit hieß es, wenn es Ihnen hier nicht passt, gehen Sie doch rüber.

Hobbes hat gesagt, die Macht und nicht die Wahrheit schafft das Gesetz. Das müsste Ihrem Begriff von machtpolitischem Realismus ziemlich nahe kommen.

Schon Max Weber und viele andere Großköpfe haben gesagt, der Unterschied zwischen einer Mafiabande und einer Regierung besteht nur darin, dass das Treiben der einen legal und das der anderen illegal gilt. Die Weltgeschichte unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse, Wahrheit und Lüge, Demokratie und gelenkter Demokratie, Recht und Willkür, sondern zwischen Legalität und Illegalität. Das heißt: Die einen töten Menschen oder lassen sie töten ohne Gerichtsurteil (amerikanischer Präsident werden die zum Beispiel genannt). Historisch gesprochen, aber dennoch völlig unsinnig, schützt der „Führer“ das Recht, weil er sein Handeln als legales von dem illegalen Handeln anderer unterscheidet. indem er das gleiche Handeln anderer als illegal bezeichnet. Eine schöne rechtsstaatliche Bescherung.

Max Weber sagt auch: Der Staat habe das Monopol auf legitime Gewaltsamkeit. Ist nicht das der entscheidende Unterschied?

Nur unter der Voraussetzung, dass er sich selbst dieser Regel unterwirft. Gewalt auszuüben als Repräsentant des Staates muss eben auch parlamentarisch kontrolliert werden, also durch die Gegenmacht.

Hatte Jean-Claude Juncker Recht, als er sagte, es gebe Situationen, in denen es notwendig ist, dass man das Volk belügt?

Da hat er sich zum ersten Mal als Politiker erwiesen. So wie Wehner oder Strauß, die großen Aufklärer. Wenn Strauß was sagte, wussten alle, ihn selbst eingeschlossen, dass man auf der Hut sein musste. Strauß machte den Leuten klar, mit dem Urteil über mich werdet ihr nicht so schnell fertig, da ihr jederzeit damit rechnen müsst, dass ich aus machtpolitischem Kalkül zu lügen gezwungen bin. Das ist eine aufgeklärte Haltung, weil er ganz offen zu verstehen gibt, dass Wahrheit und Lüge in der Politik nur im außermoralischen Sinne gelten. Das ist machtpolitischer Realismus. Die Politiker in der EU haben sich offensichtlich durch moralische Selbstglorifizierung verdummt.

Sind sie dümmer als Putin?

Man hoffte immer, sie seien auch nur Gauner. Aber inzwischen glaube ich das nicht mehr, sondern ich glaube, sie sind wirklich dümmer, eingeschläfert worden durch die eigene Suggestion, der Westen habe den Endsieg errungen.

Halten Sie Putin dann für einen Gauner?

Es entspricht dem natürlichen Verständnis von überlegener Intelligenz, dass die Handelnden wie etwa Rechtsanwälte oder Fußballer nicht bei ihren „Fouls“ erwischt werden.

Merkel und Steinbrück können, wenn man Ihnen folgt, nicht dumm sein. Die haben den Bürgern auf dem Höhepunkt der Bankenkrise versichert, Eure Sparguthaben sind sicher. Das war eine Lüge, die dadurch, dass sie geglaubt wurde, in den Rang der Wahrheit aufstieg.

Theologisch ist das die pia fraus, die fromme Lüge, die segensreich eingesetzt werden kann. Das muss auch der Arzt gegenüber dem Todkranken tun. Generell gilt: Was immer man für wahr hält, wird durch die Konsequenzen des Dafürhaltens wirklich. Gespenster gibt es nicht, wer aber an sie glaubt und aus Furcht vor ihnen sein Haus verrammelt, schafft damit eine wirkliche Gegebenheit. Andererseits, liebe Frau Merkel, liebe Börsianer, liebe Psychologen: Zu wissen, nur der Glaube hält uns, pflanzt bereits den Zweifel an der Verbindlichkeit des Glaubens.

Auf die Politik übertragen heißt das doch, der Politiker muss manchmal lügen, darf es aber nicht zu erkennen geben. Das widerspricht aber dem, was Sie vorher über Strauß sagten.

Der Richter, der seine Vorurteile kennt und seine Konflikte benennt, ist vertrauenswürdig. Der Richter, der Arzt, der Poltiker, der behauptet, er folge nur dem Gesetz, den legitimierenden Verfahren, er habe gerade keine Vorurteile oder egoistische Beschränktheiten, ist nur ein unaufgeklärter Dummkopf.

Carl Schmitt hat mal gesagt: Wer Menschheit sagt, der lügt. Würden Sie sagen, wer Wahrheit sagt, der lügt?

Nein, das wäre sehr schön. Es muss aber heißen: Wer lügt, sagt die Wahrheit.

Das sind doch philosophische Taschenspielertricks, die Sie da vorführen.

Das war auch der Einwand von Platon gegen die Sophisten.

Er hat ihnen vorgeworfen, für Geld jede schwächere Sache zur stärkeren zu machen, Kraft ihrer argumentativen Fähigkeiten.

Wenn es Argumente sind, dann ist es ja richtig, dann muss man sie ja gerade anerkennen. Nein, diese platonischen Wahrheitsfanatiker sind schlicht Erpresser gewesen, die die Überlegenheit derer zurückweisen wollten, die etwas um zu taten – um das Leben zu verbessern, um die Lebensanstrengungen zu verringern oder Verträglichkeit zu fördern Aber das wollten die anderen eben nicht wissen. Die Wahrheit sollte bedingungslos sein. Nicht umsonst hat Platon die Künstler, deren wichtigste Aufgabe es ist, die Wahrheit zu kritisieren, aus seinem „Staat“ rausgeschmissen.

Kennt man doch von Putin.

Eben damit zeigt er aber, dass es um die Macht geht und nicht um die Wahrheit.

Es gibt seit Längerem Forderungen nach einer neuen europäischen Erzählung.

Es gab ja mal eine große europäische Erzählung. Eben Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit etc. Aber das wurde ja von uns selbst sabotiert: Rechtsstaatlichkeit durch kollektiven Rechtsbruch, Sozialstaatlichkeit durch Globalisierung. Globalisierung ist ja nichts anderes als die Standards der europäischen Erzählung zu sabotieren, indem man sagt, wir dürfen und wollen als lupenreine Demokraten gar nicht versuchen, weltweit unsere Standards durchzusetzen, also geben wir sie gleich auf. Wenn man das den Leuten sagt, dann sind sie immer noch erstaunt. Früher waren sie bass erstaunt, wenn man ihnen Märchen erzählte, heute sind die Tatsachen das Sensationellste.. Da erzählt Frau Göring-Eckardt von den Grünen, wir müssten aber bei den Stromautobahnen Nord-Süd strikt darauf achten, dass durch sie die Landschaft nicht zerstört wird. Eine tolle Logik des Verzichts auf eben diese Forderung, denn Leute ihresgleichen lieferten durch die totalitäre Etablierung der Windräder Gründe dafür, warum eben die Zerstörung der Landschaft nicht zerstört werden dürfe – und das Ganze wird auch noch als Triumph des freien Marktes gefeiert, indem man nicht-marktwirtschaftliche Bedingungen subventionierter Gewinnmacherei gleich auf 20 Jahre garantiert . Wo ist da die Marktwirtschaft? Das ist doch alles gar nicht „wahr“. Und Herr Putin macht uns das jetzt alles klar. Gott sei dank gibt es wieder jemanden, der dem Westen in seiner selbstüberhöhenden Ideologie gewachsen ist!

Die Energiewende ist eben ein komplexes Problem.

So ist es. Und die Politiker müssen den Leuten endlich wieder sagen, am Ende werden die Probleme viel größer sein als jetzt. Denn wir haben keine Problemlösungskompetenz, sondern nur Problemschaffungskompetenz. Alles andere ist angemaßt. Unter Menschen wurden Probleme bisher nur gelöst durch die Schaffung neuer Probleme. Wenn man sagt, Strom wird knapp und man baut Atomanlagen, dann hat man mit den Atomanlagen größere Probleme als mit dem Ausgangsproblem der Stromknappheit.

Dann können wir den Fortschritt doch bleiben lassen.

Fortschritt besteht gerade darin, unsere Gegenkräfte für den Weiterkommen zu nutzen. Das lehrt die Seefahrt: Kreuzen gegen den Wind, das ist Fortschritt – gegenüber dem bloßen sich vom Wind treiben lassen.

Claude Levy-Strauss hat gesagt, die Liebe zur Wahrheit sei ersetzt worden durch das Know-How.

Leider ist auf das Know-How auch kein Verlass, weil es sich ständig ändert. Die Welt kann unserem Know-How nicht unterworfen werden, denn als wirklich haben wir zu akzeptieren, was sich unserem Willen nicht beugt. Alles andere ist Psychopathologie. Das Wirkliche ist die Gegenmacht, die unserem Belieben Grenzen setzt, also auch dem Know-How. Ein staunenswerterweise verschwundenes Flugzeug macht eine Sensation, weil die Zeitgenossen es nicht mehr aushalten wollen, solche Zumutungen als Einspruch der Wirklichkeit zu akzeptieren. Da tun sich Abgründe auf, die man gern mit Know-How planieren würde. Aber die Welt, in der wir leben, ist voller schwarzer Löcher, und zwar nicht nur im buchstäblichen Sinne. Wenn Sie in Ihr Büro zurückgehen, sollten Sie bedenken, wie unwahrscheinlich glückhaft es ist, da auch wirklich anzukommen. Alter Spruch: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.

siehe auch: