Zeitung Frankfurter Rundschau

Kolumne „Bruderküsse“

Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.
Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.

Erschienen
05.11.1993

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
05.11.1993

Bestechend

Ich bin auch einer - obwohl meinen Kindern noch nie aus der Staatskasse Nachhilfestunden bezahlt wurden. Aber das liegt wohl daran, daß ich keine Kinder habe, sonst hätte man, nach Kanthers Plan, sicherlich sofort eingesehen, wie sehr mein Beamtendasein mit vierfachem Umzug die armen Kleinen schulisch belastete.
Schade! Aber könnte ich den staatlich, den beamtenstaatlich gelöhnten Privatunterricht nicht persönlich in Anspruch nehmen? Beamte brauchen keine Belehrung? Müssen nichts hinzulernen, weil sie ja schon ihr großes Können damit bewiesen haben, Beamte geworden zu sein? Sagen Sie das nicht; ich wüßte z.B. gerne, wie ich einen Vermögensausgleich beim Bonner Innenministerium kassieren könnte, wenn ich beim Umzug von Cronenberg nach Berlin meine Wohnstatt ver- und eine viel teurere in Berlin kaufte. Das ist nämlich für Bonner Beamte kein Problem, aber für mich – weil ich weder Haus noch Wohnung besitze, die in Berlin ums Doppelte aufzuwerten wären. Doppelt schade!
Sie meinen, ich hätte da etwas mißverstanden - die Bonner Innenministerialen wollen nur gut sich selbst eindecken mit den Milliarden, die sie verplanen, um Beamte für die schlichte Erfüllung ihrer Pflichten gnädig zu stimmen? An mich gemein deutschen Beamten dächten die gar nicht.
Ja, wenn das stimmt, dann soll sie der Teufel - der kackt sowieso nur auf große Haufen Dreck, und von denen gibt's in Bonn eben sehr viel größere als anderenorts. Aber dieser Beamtenschiß stinkt doch zum Himmel? Deswegen müssen die ja weg von Bonn, diese verluderten Sippschaften, weg mit dem Dreck, mit dem Beamtenstatus, mit den Beamtenrechten.
Andererseits haben wir jedoch alle immer wieder gefordert, daß Beamte nicht bloß maßvoll zurückhaltend nachvollziehen, was Politik und Wirtschaft längst entschieden haben; sondern Beamte sollten ohne Rücksicht auf politische oder wirtschaftliche Opportunitäten ganz danach handeln, was sie für richtig halten.
Mutig treten sie der aufrührerischen Beschwörung entgegen, man müsse radikal sparen. Sie enthüllen Kanzlers Forderung nach Opferbereitschaft aller Arbeitnehmer als politdemagogische Lüge.
Und sie beweisen schlagend, zuschlagend, daß die von jedem Berufstätigen erwartete Flexibilität am besten durch geschickte Beugung und Drehung erfüllt werden kann, durch Rechtsverdrehung und Tatsachenbeugung.
So betrachtet, verdienen die Bonner Beamten eine Beförderung wegen Verdienstes. Genau das haben sie vorauseilend als Gesetzesvorlage formuliert. Dürfen wir sie deswegen schelten? Und nicht vielmehr brüderlich umarmen; das Küssen von bestechenden Beamten gilt nicht als Bestechung, sondern als christliche Fernstenliebe. Warum? Beamte stehen soweit über allen und wirken abstoßend.