Magazin Stilwerk Magazin

Stilwerk Magazin, Bild: Frühjahr Sommer 2018. © stilwerk.
Stilwerk Magazin, Bild: Frühjahr Sommer 2018. © stilwerk.

Erschienen
01.04.2018

Herausgeber
Alexander Garbe

Erscheinungsort
Hamburg, Deutschland

Issue
Frühjahr Sommer 2018

Seite 8-9 im Original

Kolumne Bazon Brock

Luxurieren als soziale Strategie

Schon vor vierzig Jahren habe ich dem japanischen Staat vorgerechnet, dass es in jederlei Hinsicht vorteilhaft wäre, jedem Einwohner ein Paar goldene Essstäbchen zu schenken. Warum? Japaner benutzen zu jeder Mahlzeit frische Holz- oder Plastik-Essstabchen, weil im feuchtwarmen Klima die Keimentwicklung auf benutzten Stabchen kaum unterbunden werden kann. Urn den Nachschub an hölzernen Essstäbchen zu sichern, schlug und schlägt man in Süidamerika Urwaldriesen. Diesen irrwitzigen, zerstörerischen Konsequenzen der Konsumsicherung entginge man, wenn jeder Asiate vom fünften Lebensjahr an ein Paar goldene Essstabchen benutzte.

Zum einen: Gold nimmt keine Bakterien an, und somit sind goldene Essstäbchen unter allen klimatischen Bedingungen stets hygienisch einwandfrei. Zum anderen: Es wäre ökologisch höchst wünschenswert, die Rodung der Urwälder zu stoppen. Auch würde es sich ökonomisch rechnen, goldene Essstäbchen zu benutzen, statt dreimal täglich, wenn auch nur für Cent-Beträge, neue Stäbchen zu erwerben; denn je nach aktuellem Goldpreis hätten sich nach zehn bis fünfzehn Jahren die Investitionen in goldene Stäbchen ausgezahlt. Kaum jemand würde Essstäbchen aus Gold so leichtsinnig wegwerfen wie solche aus Holz oder Plastik – und so bliebe den Japanern über Jahrzehnte die Ausgabe für täglich neue Bestecke erspart.

Dieses Beispiel zeigt, dass Luxurieren in jeder Hinsicht eine sehr sinnvolle soziale Strategie sein kann – jedenfalls dann, wenn man selbst oder kompetente Fachberater zu erkennen vermögen, dass Premiumwaren nicht nur teuer, sondern auch gestalterisch oder kunst- und kulturgeschichtlich wertvoll sind. Denn solche „Luxus"-Anschaffungen lohnen sich für das ganze Leben, weil sie mit den Jahren zu Antiquitäten werden, die bekanntlich immer höhere Preise erzielen als günstige Neuwaren, die bestenfalls zu Secondhand-Angeboten werden. Ganz sicher erbt jeder von uns lieber höherwertige Antiquitäten als durch Gebrauch verschlissene Durchschnittsware. Und da „Vererben" eine der entscheidenden generationeniibergreifenden Verbindlichkeiten bezeichnet, ist das Weitergeben des Kostbaren die erfolgreichste Stiftung von kulturellem Bewusstsein.

Auch im Nahrungsmittelbereich lautet die Devise: Es fördert die Gesundheit und die Schönheit, -weniger zu essen, dafür aber hochwertigere Produkte zu wählen. Für eine solche Wahl benötigt man Wissen. Das Modernitatspostulat „less is more" sagt also auch: Bildung zahlt sich aus. Das Bessere vom Guten unterscheiden zu können, zeigt den Grad der Bildung von uns Konsumenten an.

Vielen Bewunderern des Ökonomischen Fortschritts durch Massenkonsum nach dem Zweiten Weltkrieg dürfte auf den ersten Blick nicht einleuchten, dass die Generalmaxime der Moderne „less is more" heißen soll. Wann und wieso ist weniger mehr? Nehmen wir das Beispiel Wohnraum. Auch hier gilt: Ein Raum wirkt optisch größer und attraktiver, je weniger raumfressende Möbelmonster des Typs Gelsenkirchener Barock das Zimmer verstopfen. Wenige Möbel heigt aber auch, dass sich der Blick auf Einzelobjekte konzentriert, die in ihrer gestalterischen und materialen Hochwertigkeit umso anspruchsvoller sein müssen. Man muss luxurieren. In diesem Sinne modern sein zu wollen, heißt zu verstehen, dass Luxurieren die sinnvollste soziale Strategie für all diejenigen ist, die mehr aus weniger gewinnen wollen.