Magazin Horizont

Erschienen
20.04.2017

Verlag
Deutscher Fachverlag

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
16/2017

Seite 22 im Original

„Designer lügen nicht“

See Conference: Der Keynote-Speaker Bazon Brock formuliert provokante Thesen über Fakes, Disruption und die Selbsteinschätzung der Kreativen

Von Fabian Wurm

Auf der Bühne der See Conference am Freitag dieser Woche in Wiesbaden streiten Designer, Forscher, Künstler und Programmierer. Kommunikationsdesign im Zeitalter der Digitalisierung ist ihr Thema, der Blick über die Grenzen der Disziplinen Programm. Keynote-Speaker Bazon Brock sorgt bereits vorab für Zündstoff und formuliert starke Thesen.

Sie sind als Keynote-Speaker der See Conference angekündigt. Digitale Kommunikation ist Ihre Sache aber nicht?

Das ist aber harmlos gesagt. Ich gehöre in der Tat nicht zu jenen, die da naiv glauben, dass die Digitalisierung Freiheit schafft und Frieden stiftet.

Werden Sie in Wiesbaden die Rolle des Mahners spielen?

Mittlerweile habe ich mich ja mit einigen Neuerungen der digitalen Welt durchaus arrangiert. Ich nutze beispielsweise Twitter. Nach Ansicht maßgeblicher Neurowissenschaftler funktionieren Teile des menschlichen Gehirns ähnlich wie ein digitaler Computer und nicht wie ein Analogrechner. Das Digitale ist also ohnehin nichts dem Menschen Fremdes.

Ihnen aber schienen die digitalen Medien lange Zeit fremd zu sein. In einem Gespräch mit der „FAZ“ haben Sie das Internet als „Hölle der Neuen Welt“ bezeichnet.

Ja, sogar als Gefängnis, als Gulag! Das waren selbstverständlich Reaktionen auf die allgemeine Euphorie. Es hieß doch: Jetzt könnte jeder zum Sender werden. Die alte Aufteilung zwischen Produzierenden und Rezipierenden werde schwinden. Jeder würde jedem in aller Welt sein Herz ausschütten. Und Liebe und Einigkeit kämen über die Welt ...

... und das Gespräch aller mit allen könne beginnen. Ist das nicht ein großes Versprechen?

Hören Sie auf! Je größer die Reichweite und das Potenzial der Vernetzung, desto dominanter wird das privatistische Geschwätz. Das ist fatal. Denn alle Kommunikation zielt auf den Genuss der Anwesenheit des anderen. Warum gehen wir so gerne auf Tagungen wie den See-Kongress in Wiesbaden? Weil sie die Möglichkeit bieten, sich mit Fremden leibhaftig auszutauschen, und tatsächlich Lebensfreude erhöhen. Das fällt im Netz weg. Es ist wirklich ein Totenreich.

Das klingt wie rückwärtsgewandte Technikkritik und Kulturpessimismus.

Irrtum! Der Rekurs auf das Alte ist die einzige Möglichkeit, vom Neuen zu reden. Denn uns fehlen ja die Begriffe für das Neue. Das zeigt die Macht der Vergangenheit. Das ist in der Politik so, in der Kunst und im Design. Die Konservativen haben das gar nicht kapiert, denn sie überschlagen sich vor Begeisterung für die neuen Technologien. Die euphorisierten Grünen ebenso, die Liberalen ohnehin, selbst die Linken – alle. Nichts Böses scheint mehr möglich.

Sie halten das für naiv?

In der Tat. Ein Netz ohne Verantwortungsbereitschaft kann jederzeit als Kontrollinstrument eingesetzt werden. Die Vernetzung selbst besagt nämlich gar nichts. Sie kann strategisch genutzt werden, um andere übers Ohr zu hauen. Was sich jetzt durchsetzt, dient doch nur dazu, den Leuten die Kröten aus den Taschen zu ziehen. Alles Alte scheint spurlos zu verschwinden. Die Bücher, die Zeitschriften, die Debatten. Und Sie sagen: Technikkritik, Kulturpessimismus! Dass ich nicht lache. Alles Neue ist stets barbarisch. Was einst Krupp war, ist nun Apple. Früher nannte man es Krieg, heute reden wir von Disruption.

Deshalb hat der Art Directors Club (ADC) Disruption ja auch zum Thema seines großen Festivals gemacht, das Anfang Mai in Berlin stattfindet.

Damit folgt der ADC dem modischen Gegacker von Leuten, die keine eigenen Gedanken haben und nichts von Geschichte wissen. Den Zusammenhang von Zerstörung und kulturschöpferischer Kraft behaupten Künstler und Ökonomen seit Nietzsche und Wagner. So hat der Goethe-Biograf Friedrich Gundolf 1914, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, gesagt: Wer stark ist zu schaffen, der darf auch zerstören! Und der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter erkannte, dass im Industrie-Zeitalter die permanente Zerschlagung des Alten Voraussetzung kapitalistischen Wirtschaftens ist. Mit anderen Worten: Das ist alles schon diskutiert worden. Aber heute glauben viele, dass die Menschheit mit dem digitalen Zeitalter in eine neue geochronologische Epoche eingetreten ist: in das Anthropozän. Endlich seien wir mit Mitteln der Digitalisierung in der Lage, die gesamte Schöpfung zu beherrschen. Alles Quatsch! Das ist ein Maß an Selbstüberschätzung und Kritiklosigkeit, vor dem selbst der Thomas Mann'sche Teufel im Doktor Faustus kapitulieren würde.

Sie sicher nicht! Werden Sie in Wiesbaden vor Selbstüberschätzung warnen?

Ja, in Wiesbaden will ich die Zuhörer verpflichten, aus dem Zirkus der Selbstbeweihräucherung auszusteigen. Wer meint, man müsse sich nur kreativ und schöpferisch nennen und dann sei alles von göttlicher Qualität, der irrt gewaltig. Das ist ein gefährlicher Realitätsverlust. Eine Form von Selbstermächtigung, die wir derzeit auch bei diversen Politikern erleben. Wir müssen uns endlich zu dem bekennen, was wir sein sollten: Fachleute, die mit ihrer Arbeit die Orientierung der Menschen in ihrer Lebensumwelt ermöglichen. Das heißt Design.

Welche Aufgabe haben Designer im Zeitalter der Digitalisierung?

Sie haben die verantwortliche Aufgabe, technische Geräte wie Computer, aber auch Autos, so zu gestalten, dass wir sie intuitiv bedienen können. Das ist die Aufgabe von Kommunikations- und Interfacedesignern, aber auch Produktgestaltern. Sie entwerfen Leitsysteme und Displays. Sie müssen die Oberflächen von Geräten – die Interfaces – so gestalten, dass wirklich jeder sie bedienen kann. Designer lügen nicht. Das können sie sich gar nicht erlauben, denn sie müssen die Funktionstüchtigkeit garantieren, andernfalls sind sie Scharlatane.

Der Nutzer ist in der Regel kaum mehr in der Lage, zu begreifen, was in den Geräten vor sich geht.

So ist es. Dafür habe ich einmal einen Begriff geprägt: Kommunikation ohne Verstehen.

Ist der Designer folglich in erster Linie Vermittler und Übersetzer?

Noch viel mehr. Der Designer ist eine Schlüsselfigur der Moderne. Ohne seine Arbeit befänden wir uns wie unsere Vorfahren orientierungslos im Urwald, dem Ozean Germaniens. Der Himmel ermöglicht ja nicht immer Orientierung. Also musste jemand Leitsysteme entwickeln und Geräte konstruieren, um die Längen- und Breitengrade präzise zu bestimmen.

Aber es waren doch keine Designer, die diese Instrumente konstruierten?

Doch, durchaus. Ein Leonardo da Vinci etwa war Ingenieur, Mechaniker, Designer und vieles mehr in Personalunion. Zu Leonardos Zeit war der Konstrukteur einer Maschine zugleich ihr Gestalter. Erst im Zuge des technischen Fortschritts durch die Industrialisierung schlugen die Ingenieure und die Gestalter von Produkten getrennte Wege ein. Designer wurden zu Abenteurern.

Im Gegensatz zu den Ingenieuren?

Genau das sage ich. Der Ingenieur setzt sich mit den Gegebenheiten der physikalischen und mathematischen Welt auseinander. Er ist als Techniker ein Anwendungsspezialist. Der Designer dagegen wagt sich in das Reich der Möglichkeiten. Er hat nur eine Chance: Er muss sein Gebrauchsgut für eine ihm unbekannte Welt schaffen, für die scheinbar undurchdringliche Wirklichkeit. Der Designer sorgt also für das to fit into einzelner Elemente, die wie beispielsweise Puzzlesteine in ein Gesamtbild oder in ein größeres Ganzes als Objektensemble oder ein Bild-Text-Gefüge eingepasst werden. Weil er im Dienst des Nutzers steht, kann er kein freier Künstler sein.

Trotzdem gibt es immer wieder Designer und Werber, die sich zwischen Kunst und Kampagne bewegen. Charles Wilp etwa, Michael Schirner und Christan Boros.

Ja, Christian Boros und Michael Schirner haben bei mir studiert. Die haben kapiert, dass die Kunstszene eine besondere Form der Beachtung verspricht. Künstler beziehen ihre Autorität durch Autorschaft, sie fügen sich keinem Herrscher, keinem Markt und keiner Regierung. Ganz anders als jene, die Werbefeldzüge und Kampagnen planen: Sie dienen als eine waffentragende Truppe allen möglichen Herrschaften, Unternehmern und Politikern. Werbeleute sind Soldaten. Aber sie wollen es nicht sein, weil es verpönt ist.

Werber selbst bezeichnen sich allerdings als Kreative – zumindest, wenn sie als Art-Direktoren arbeiten.

Ja eben. Das zeigt doch das ganze Missverständnis. Sie sollten sich mit all ihrer Fachkenntnis und ihren besonderen Fähigkeiten auf das stürzen, was sie können: nämlich Produkte in unterschiedlichen Medien herausstellen. Werber sind Propagandisten. Propaganda ist übrigens kein Schimpfwort, sondern ein Fachbegriff, den die römisch-katholische Kirche eingeführt hat: Sacra congregatio de propaganda fide, zu Deutsch etwa Heilige Kongregation für die Verbreitung des Glaubens. Auch Martin Luther war Propagandist. Ein Werber für den protestantischen Glauben.

Lüge, Propaganda, da fehlt nur noch der Begriff Manipulation – ist das nicht ein reichlich antiquiertes Bild von Werbung, das Sie zeichnen?

Nein, nein, ich nehme seit Mitte der 60er Jahre Werbung als eine Kommunikationsform über Gegenstände des Alltagslebens sehr ernst. Die moderne Werbung ist intelligent und lässt keinen Zweifel daran, dass sie nicht wahr ist. Sie zielt darauf ab, uns Einsicht in unsere Abhängigkeiten zu ermöglichen – das ist durchaus aufklärerisch.

Sie meinen: Die Lüge kann die Wahrheit befördern? Wir reden ja alle von Fakes.

Aber haben keine Ahnung! Der Lügner verweist auf die Wahrheit. Das ist doch klar. Ein aktuelles Beispiel: In den USA haben derzeit die Print-Medien, die „New York Times“ etwa, Rekordauflagen. Ich will nicht behaupten, dass sie allein der Wahrheit verpflichtet sind, aber in Zeiten von Fake-News wächst das Bedürfnis, Informationen nicht mehr ausschließlich aus dem Netz zu beziehen. Das ist ein Schritt zu kritischer Erkenntnis.

Abb.:

Verlegerfreund: Uni-Dekan Brock spricht 1987 zur Ehrenpromotion von „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein

Mitstreiter der Künstler: Brock (2.v.l.) mit Wolf Vostell, Brock, Eckhart Rahn, Joseph Beuys, Tomas Schmit, 1965

Lob dem Sänger: Brock mit Udo Lindenberg

Zeig Dein liebstes Gut: Mitarbeiter des Internationalen Designzentrums Berlin formieren sich, Brock vorneweg, 1977

Hegel im Kopfstand rezitierend: Brock [1965 in Wuppertal]

Brock-Frühwerk: ein gelbes Blechschild, den handelsüblichen Hinweistafeln nachempfunden [Aufschrift: „der Tod muß abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muß aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter“]

Bazon Brock und Udo Lindenberg, Bild: Ausstellung "Lustmarsch durchs Theoriegelände", ZKM Karlsruhe 2006.
Bazon Brock und Udo Lindenberg, Bild: Ausstellung "Lustmarsch durchs Theoriegelände", ZKM Karlsruhe 2006.
„Zeig Dein liebstes Gut – zeig Dein Liebstes gut.“ Bürger kuratieren Ausstellungen., Bild: Bazon Brock mit Mitarbeitern des Internationalen Designzentrums Berlin; Kongress »Lebensformen der 20er Jahre« des IDZ, Berlin 1977 © Ludwig Binder.
„Zeig Dein liebstes Gut – zeig Dein Liebstes gut.“ Bürger kuratieren Ausstellungen., Bild: Bazon Brock mit Mitarbeitern des Internationalen Designzentrums Berlin; Kongress »Lebensformen der 20er Jahre« des IDZ, Berlin 1977 © Ludwig Binder.
Kopfstand, Aktion „24 Stunden-Happening“, Bild: Villa Jährling/Galerie Parnass, Wuppertal 05.06.1965. Foto © Ute Klophaus.
Kopfstand, Aktion „24 Stunden-Happening“, Bild: Villa Jährling/Galerie Parnass, Wuppertal 05.06.1965. Foto © Ute Klophaus.
Literaturblech „Der Tod muß abgeschafft werden…“, Bild: Theoretisches Objekt 1967.
Literaturblech „Der Tod muß abgeschafft werden…“, Bild: Theoretisches Objekt 1967.

siehe auch: