Zeitung Die WELT

Erschienen
01.03.2017

Verlag
Axel Springer AG

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

„Wer ist der beste Freund der Dame?“ – „Gott!“

Eine Legende kehrt zurück: Die Zeitschrift „Die Dame“ wird im Axel-Springer-Verlag wieder aufgelegt. Margit J. Mayer spricht mit Bazon Brock, dem Philosophen der Ästhetik, über die Dame an sich.

Ein Gipfeltreffen in gelehrter Schlagfertigkeit: Die Stilinstanz Margit J. Mayer und der Philosoph und Ästhetikprofessor Bazon Brock unterhalten sich darüber, was die Premierministerin, die Chefsekretärin, die Übermutter und die Venus-Beauftragte gemeinsam haben. Es ist der Versuch, anlässlich des Comebacks der Zeitschrift „Die Dame“, ein zeitloses Phänomen zu ergründen.

Margit J. Mayer: Herr Professor Brock, ich schlage vor, dass wir uns dem Thema ganz leichtfüßig nähern: War Marlene Dietrich eine Dame?

Bazon Brock: Sie hatte sehr wohl die Attitüde einer Dame, nämlich diese ungeheure Distanziertheit. Selbst wenn sie als Pin-up-Girl im Dienste der Militärpropaganda unterwegs war, blieb die Dietrich unnahbar. Genau wie ihr schwedisches Pendant, Greta Garbo. Das Kernland für unser Thema ist aber sicher England, nicht nur wegen der Anrede Lady oder Dame als weiblichem Rittertitel. Und das Schöne ist, dass die jetzige Regierungschefin den klassischen Typus der Dame exakt repräsentiert.

Mayer: Um Karl Lagerfeld zu zitieren: tolle Beine.

Brock: Als man Theresa May auf ihre Beine ansprach, sagte sie: „Nun, ich zeige sie, weil ich sie habe.“ Unsere Frau Kanzlerin macht ja immer Hosen drüber.

Mayer: Bei Frau Merkel ist dieser offensive Umgang mit körperlichen Attributen nicht möglich.

Brock: Da geht es nicht, korrekt. Also: Theresa May ist das aktuelle Muster oder Modell einer Dame. Und wir stellen fest: Aha, zum ersten Mal seit Langem ist eine lupenreine Dame Führerin einer Regierungsmannschaft, also eines Landes. Das kam ja doch ziemlich überraschend. Margaret Thatcher war ja eher der Typ „ehrgeizige Sekretärin des Chefs“ oder so was. Oft völlig unsouverän und deshalb so aggressiv in ihrem Auftreten nach außen.

Mayer: Verzeihung, aber wie passt das jetzt zu dem, was Sie bei unserem Vorgespräch erklärt haben: dass es, aus den verschiedensten Gründen, eigentlich keine Damen mehr gibt?

Brock: Ganz hervorragend. Denn: Es gibt eine dringende Notwendigkeit, im anthropologischen Bereich etwas nachzuholen, was in Archäologie und Kunstgeschichte längst betrieben wird. Dort geht es in den 1750er-Jahren damit los, die Vergangenheit zu vergegenwärtigen. Da werden die Griechen und Römer im Antikenmuseum präsent gehalten; genauso wie die Figuren auf Gemälden von Tizian oder Rubens in den Sammlungen der Herrscher, aus denen dann unsere Kunstmuseen entstanden sind. Zugespitzt kann man sagen: Das Vergangene ist in unserer Kultur das Einzige, was nicht vergeht.

Mayer: So etwas Vergangen-Unvergängliches ist also die Dame.

Brock: Genau. Im Vergangenen liegt eine Kraft, die es uns ermöglicht, den in die Zukunft gerichteten Aufgaben der Gegenwart besser gewachsen zu sein. Denn wie sich gezeigt hat, funktioniert am Ende nur diese Form der affektiven Appellstruktur. Darum geht es beim Typus Dame. Der um das Jahr 1000, 1100 beginnt, mit den Madonnendarstellungen, die damals im Tympanon der Kirchen aufkommen ... Können Sie mir überhaupt folgen?

Mayer: Keine Sorge, ich habe mal Philosophie und Kunstgeschichte studiert.

Brock: Aha, na gut. Also: Damals begannen die Bildhauer, über den Kirchentüren nicht nur Christus oder den Gottvater darzustellen, sondern auch Maria. Oft mit Jesuskind, aber auch allein und mit großem ikonografischem Pomp inszeniert, etwa als Mariä Himmelfahrt. Damals wird aus dem Marienkult ein neues Frauenbild abgeleitet. Das dann, historisch parallel, im säkularen Minnekult die Dame hervorbringt. Also eine Frau, deren suggestive Attraktivität Bewunderung erzeugt, ohne dass je die Erfüllung eines Begehrens ihr gegenüber erreicht werden kann. Die Attraktion der höfischen Minne bestand ja gerade darin, dass die Dame prinzipiell unerreichbar war. Dass jegliche Aneignung des Mannes, durch Grapschen oder auch mehr, von vornherein ausgeschlossen war.

Mayer: Wie bei der Madonna.

Brock: Die Madonna können Sie nur über das Gebet erreichen. Sie zwingt zur ständigen Kontrolle der Reaktion auf die Reize, die sie als Frau auslöst. Durch Distanziertheit.

Mayer: Könnte es sein, dass dies ein entscheidender Unterschied ist zwischen unserer Kultur und der von islamischen Ländern?

Brock: Ja, im heutigen Islam gibt es keine derartige Kontrolle durch die Frau. Sie wird im Gegenteil erniedrigt, zur Befehlsempfängerin männlicher Dummheit. Männer kennen nur Unterwerfung oder Dominanz, also entweder Herrschen oder Kriechen. Alles andere hat man den Frauen zu verdanken.

Mayer: Wer waren die Damen des 19. und 20. Jahrhunderts?

Brock: Um 1900 sind Frauen wie Virginia Woolf oder Edith Sitwell der Inbegriff der Dame. Wobei die Sitwell noch eine dritte Komponente einbringt: die Tradition der English Eccentrics. Das waren völlig autarke Angehörige des Hochadels, die durch ihre Ländereien Geld hatten und dann die berühmte Grand Tour mitmachten, also gebildet wurden durch die Aneignung der europäischen Geschichte und des gesamten Humanismus.

Mayer: Hatte Edith Sitwell nicht eine zu große Nase dafür?

Brock: Aber was denn – die Physiognomie spielt dabei keine Rolle. Das war schon lange aufgegeben, bereits im 15. Jahrhundert war man darüber hinweg. Schauen Sie sich nur die Porträts der italienischen Renaissancefürsten an, mit Nasenwarze und allem.

Mayer: Exzentrik, also auf die Spitze getriebene Individualität, ist demnach nicht ein Zeichen von Dekadenz ...

Brock: ... sondern eine Potenz. Das genaue Gegenteil von Dekadenz. Man kann sagen: Eine Dame ist der Typ der Frau, die das gesamte Potenzial, das in Frauen steckt – psychisch, physisch, sozial –, voll ausgebildet hat. Sie kann nicht mehr instrumentalisiert werden, denn sie selber gibt den Maßstab vor. Also: Die Dame verkörpert die Einheit von Person und Projekt. Lebensentwurf und Biografie werden bei ihr eins mit der gesellschaftlichen Rolle und vor allem mit der Mission.

Mayer: Klingt nach einem superharten Job.

Brock: Na, ein Job ist das schon gar nicht! Bei der Dame spricht man von Beruf. Wobei Sie recht haben: Viele der historischen Damen empfanden ihre Aufgabe als extreme Pflicht. Wenn sie ein Abendessen gaben, mussten sie ja durch Blickkontakt, durch Haltung und Verhalten ständig regulierend auf diese Horde von Flaschen einwirken, die da als Gäste kamen.

Mayer: Und wer ist der größte Feind der Dame? Anders gefragt: Gibt es in Ihrer Sozialsystematik auch einen Typus, der der Dame dringend an den Kragen will?

Brock: Der größte Feind der Dame ist natürlich der Funktions-Macho. Jemand, der sich aus der Funktionsrolle heraus gegen solche Leute wendet. Sie vor Gericht zerrt, Skandale produziert, Gerüchte streut. Weil diese Frauen ja allen Männern weit überlegen sind. Allein schon aus dem Grund, dass Frauen im Unterschied zu ihnen die göttergleiche Fähigkeit besitzen, Leben zu geben, also ein Kind zu gebären. Die Männer hinken immer hinterher. Natürlich sind sie deswegen neidisch, werden bockig und versuchen alles Mögliche, um diese Frauen zu sabotieren. Erinnern Sie sich an den Herrn Trump, wie er während des TV-Duells immer hinter Hillary Clinton hin und her lief? Das war die typische Szene. Man wartete darauf, dass er sie gleich eigenhändig von hinten erwürgt. Oder dass er tut, womit er sich ja anderweitig gebrüstet hat: Er muss ihr nur in den Schritt fassen, und schon wird sie weich ... Dieses TV-Duell war dramatisch, bis an die Grenze des Erträglichen. Man wollte als Zuschauer hinspringen und rufen: Halten Sie diesen Idioten auf!

Mayer: Michelle Obama hätte sich umgedreht und Kontra gegeben.

Brock: Noch besser wäre Oprah Winfrey gewesen. Die übrigens sehr weit gekommen ist in allem, was eine Dame ausmacht. Gut, also, wir stellen fest: Der größte Feind der Dame sind schwache Männer, die diese Konkurrenz nicht ertragen können.

Mayer: Und wer ist ihr bester Freund?

Brock: Man würde eigentlich meinen: Gott selbst. Weil die Dame ein menschliches Ideal darstellt.

Mayer: Was wären die anderen Frauentypen in dem idealen Reigen, zu dem die Dame gehört?

Brock: Ein anderer wichtiger Typus ist die italienische Mamma, die russische Matka, die jüdische Mamme. Also die Übermutter. Und, als ein Gegenmodell, die Hure. Oder sagen wir lieber: die Venus-Beauftragte.

Mayer: Vielleicht noch die Haushälterin im weitesten Sinn? Also jemand, der den Laden am Laufen hält, wie eine Chefsekretärin?

Brock: Das ist ein notorisch unterschätzter Typus, die exzellente Garantin der Normalität. Beweglich, fleißig, unermüdlich. Sitzt sechs Stunden am Computer, kocht wie eine Göttin und kann alles managen, was auch immer sie anpackt. Wobei dieser Typus mit dem Wort Sekretärin eigentlich unterbestimmt ist.

Der Text ist ein gekürzter Vorabdruck aus der im März wieder erscheinenden Zeitschrift „Die Dame“.

DIE DAME, Bild: 1/2017.
DIE DAME, Bild: 1/2017.