Zeitung Westdeutsche Zeitung

130 Jahre WZ in Wuppertal

130 Jahre WZ in Wuppertal, Bild: 08.07.2017..
130 Jahre WZ in Wuppertal, Bild: 08.07.2017..

Erschienen
08.07.2017

Erscheinungsort
Wuppertal, Deutschland

Seite 65 im Original

Der Weltort Wupperbogen vermittelt Heimat

In Zusammenarbeit mit dem Pina-Bausch-Zentrum möchte der Philosoph Bazon Brock ein Lehrtheater an historischen Orten organisieren.

Wieso bin ich von Wien ausgerechnet nach Wuppertal gezogen? Weil Johannes Rau, die Baums und Universitäts-Rektor Gruenter mich anstifteten, jenseits der damals aktuellen Kunstszenen Köln, Düsseldorf, Krefeld, Essen, Dortmund, Wuppertal die geschichtliche Tiefenstruktur der Region zu vergegenwärtigen.

Region wurde zur Keimzelle der industriellen Revolution

Warum wurde die Region Barmen, Elberfeld, Solingen, Remscheid zur Keimzelle der ersten deutschen industriellen Revolution, deren Leistungen über den Barmer Engels dem in London lebenden Karl Marx zu seiner Analyse des Kapitalismus vermittelt wurden? Wieso erfand man im Raum Wuppertal sechzig Jahre vor Bismarck und hundert Jahre vor dem Rest der Welt Versicherungen gegen Arbeitsunfälle, Alter, Krankheit? Wieso wurden in Barmen Landschaften der Heilsgeschichte der Christen realisiert? Warum bildete sich eben dort der christliche Widerstand gegen den Nazi-Totalitarismus aus?

Die Antworten auf die Fragen von Johannes Rau nötigten zu einer viel weitergehenden geschichtlichen Erschließung des heutigen geografischen Raumes NRW. Allgemein wird behauptet, die Briten hätten nach dem Zweiten Weltkrieg Nordrhein-Westfalen als politisches Willkürkonstrukt eingerichtet. Seit vierzig Jahren zeige ich, dass die geistige Landschaft des heutigen NRW schon vor zweitausend Jahren begründet wurde. Hier stießen keltische Spiritualität, römisches Rechtssystem und germanische Gesellschaftsordnung hart aufeinander: eine Konstellation, die gerade gegenwärtig in der Begegnung von islamischer Glaubensstärke mit bundesdeutschem Grundgesetz und Bürgerstolz der erfolgreichen BRDler wieder höchst brisant wird.

Wer weiß schon noch, warum der Elberfelder Färbermeister Bayer das Monument einer neuen Weltchemie genau an jenem Ort des Rheines etablierte, an dem nach lokaler Überlieferung der Schatz der Nibelungen verloren gegangen ist? Weil die Chemie tatsächlich zum Rheingold der Moderne werden sollte. Warum wurde die gotische Kathedrale in der Ödnis von Altenberg errichtet? Warum zogen die Leute von der Niffel/Euskirchen nach Thorta/Dortmund, dem Stammsitz der Sachsen, und nach Susa/Soest, um im Tresorraum der heutigen Sparkasse durch ihr Ende einen Weltmythos zu begründen?

Blick in die Zukunft:
Geschichte 2035

Seit dem siebten Jahrhundert sind alle diese Vorgänge dokumentiert und in hochwertige Literatur gefasst. Sie wurden nach 1200 hemmungslos geplündert. Aus der Schwester der Wupper, der Dhün, wurde die Donau, aus Attalos von Siegburg wurde der Hunnenführer Attila, aus Thidrik von Bonn (bis 1260 offiziell Verona/Bern genannt) wurde Dietrich von Bern, obwohl die historischen Figuren nicht zur gleichen Zeit gelebt haben. Schließlich wurden diese Fälschungen durch Germanisten und den Komponisten Richard Wagner zur nationalen Attraktion, auf die sich noch Hitler für sein Wahnsystem glaubte stützen zu dürfen.

Ende der „nationalistischen Schaumschlägerei“

Ich möchte in der vierten Säule des Pina-Bausch-Zentrums mit einem Lehrtheater/Action Teaching in entsprechenden Bild- und Objekt-Inszenierungen auf der Grundlage der von Johannes Rau geförderten Forschungen Ritter-Schaumburgs den Fake der Nibelungen-Sage auf das Maß üblicher Lokalkonflikte zurückführen und damit von nationalistischer Schaumschlägerei ablösen. Die geistige Topographie des Raumes Siegburg, Bonn, Köln, Euskirchen, Leverkusen und nordwärts bis Xanten sowie ostwärts über Essen, Wuppertal, Dortmund, Soest bis nach Paderborn ermöglicht eine Erzählung, die das Leben der heutigen Bewohner dieses Raumes in bisher kaum vorstellbarer Weise bereichern dürfte.

Als Ort der Darstellung dieser Topographie wäre der pavillonartige Umgang um den rechten Patio des Schauspielhauses ideal. Ich würde Ausstattungsstücke aus meinem Vorlass sowie Drittmittel zur Etablierung des Lehr- und Aktionsgeländes einbringen.

An Wochenenden würden Busse, die als „Archäomobile“, ausgestattet sind, die Besucher des Wupperbogens an die realen Plätze der „Topographie des Geistes NRW“ bringen, um vor Ort die Fähigkeit zu trainieren, auf einem jeweils gegebenen kleinen Stück Erdoberfläche die historischen Ereignisse als geschichtetes Geschehen sich vorzustellen; denn Geschichte ist geschichtetes Geschehen in konstanten Raumkoordinaten.

2018 wird sich NRW endgültig aus dem Kohlebergbau verabschieden. Da der Bergbau mit der Hochseeschifffahrt und der Weltraumerkundung zu den Großleistungen der Menschheitsgeschichte gehört, sollte dieser Ausstieg entsprechend gewürdigt werden. Seit dem sechsten Jahrhundert und natürlich erst recht nach dem Einzug der Preußen infolge der Neuordnung Europas nach der Niederlage Napoleons ist der geschichtliche Raum NRW zu einem guten Teil durch die Entwicklung der Bergwerkskunde bestimmt worden.

Kunst, Literatur, Musik und volkstümliche Erzählungen in Konkurrenz zu religiös bestimmten Vorstellungen der unteren Welten beweisen die Faszination, die der Bergbau bis heute provoziert. In meiner „Topographie des Geistes NRW“ wird dieser Faszination gehuldigt.