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next: Das Magazin für Vorausdenker, Bild: pwc, Dezember 2016 © pwc.
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Der Text sowie ein Video mit Bazon Brock finden sich online unter:

http://www.next.pwc.de/2016-04/stilkritik.html

Erschienen
01.12.2016

Issue
Nr. 4/2016

Seite 28 im Original

„Alles ist Sache des Geschmacks, vorausgesetzt, man hat einen.“

Eine Stilkritik der Unternehmenskultur

Geschmack zu haben heißt, unterscheiden zu können. Zu unterscheiden heißt, Bedeutung und Sinn zu schaffen. Bedeutung steckt nicht in den Dingen wie der Keks in der Schachtel, sondern wird durch Differenzieren erreicht. Um zu differenzieren, braucht man Kriterien der Unterscheidung. Kunsthistoriker, Pflanzenkundler, Automobildesigner wie alle anderen Professionen haben je eigene Kriterien. Wer für seine Arbeit Bedeutung reklamiert, muss also eigene Kriterien der Unterscheidung entwickeln – er kann sie nicht von anderen übernehmen oder sie sich von Werbeagenturen, Einrichtungshäusern oder Propagandapsychologen vorgeben lassen. Führungskräfte, die Zeitmangel oder Mitbestimmungszwänge für den Verzicht auf eigene Kriterien vorschützen, beweisen nur, dass sie keinen Geschmack haben, also zu begründeter Unterscheidung unfähig sind. Also zur Führung nicht geeignet.

So weit, so klar. Ist nicht aber das Desaster in den Geschmackskulturen vieler Großunternehmen, die nicht von Unternehmern geführt werden, gerade das Resultat zu starker, ja autokratischer Durchsetzung entscheidungsfreudiger Manager? Sie kündigen immer wieder „eine neue Unternehmenskultur“ an – ohne sie tatsächlich ausweisen zu können. Der Begriff „neue Kultur“ scheint seine Funktion bereits mit dem Wortgeklingel erfüllt zu haben. Andere leere Bedeutungshülsen sind „Modernisierung“, „Kreativität“, „Initiativkraft“, „Globalisierungszwänge“ und Ähnliches. Oder aber, ganz avantgardistisch, „neurocommercializing“ oder „evolutionstheoretisch begründete Entwicklung“. Damit will man belegen, es gebe allgemeingültige Kriterien der Gestaltung, um ein gewünschtes Verhalten von Menschen zu erreichen, die in entsprechend gestalteten Räumen arbeiten und mit entsprechend designten Objekten hantieren.

Wenn dem so wäre, würden ja gerade durch die Standardisierung alle spezifischen Kriterien der Unterscheidung gelöscht. Und damit ginge der Bedeutungsverlust einher, den jeder beklagen sollte, der in die modernistisch uniformierten und aufgehübschten, Weltoffenheit und Weltläufigkeit signalisierenden Businesszentren eintritt.

Kurios: Als Privatiers fühlen sich alle Zeitgenossen besonders beseelt, sinnenfroh und ausgeruht in Restaurants, Clubs, Hotels, in „freier Natur“, die gerade nicht solchen Standardisierungen entsprechen. Warum? In nicht antizipierbaren Umgebungen ist unsere Vorstellungskraft, Assoziationsdynamik und Bereitschaft zu bilderreichen Analogien und kühnen Metaphern besonders gefordert. In solchen Umgebungen merken wir, dass Lebenswelten nicht durch deren materiale Ausrüstung bestimmt werden, sondern durch unsere Abenteuerlust, Entdeckerfreude und Mitteilungsfähigkeit.

Verallgemeinerndes Fazit: Unternehmenskultur ist nicht eine Frage des Designs des Firmengehäuses, sondern der Haltungen, Wertvorstellungen und Sinnorientierungen der Mitarbeiter. So wie Urbanität nicht das Resultat von Stadtgestaltung ist, sondern sich in den Verhaltensweisen der Bewohner zeigt. Es nützt gar nichts, den Mitarbeitern zu suggerieren, sie könnten in modernistisch gestylten Arbeitsumgebungen quasi automatisch ihre Leistung trotz großem Stress erhöhen.

Das Stressargument hat es in sich. Denn heutzutage entsteht Stress ja gerade durch Unterforderung der geistigen und seelischen Kräfte bei monotonen Wiederholungen der immer gleichen Arbeitsabläufe, so spezielle Kenntnisse diese auch erfordern mögen. Sie erschöpfen jeden, weil sie auf bloßer Wiederholung des immer gleichen Tuns beruhen, ohne je an ein Ende zu kommen, aus dem sich eine neue oder umfassendere Aufgabe ergäbe. Als einziges Ziel bleibt die eigene Lebenssicherung und Verdienststeigerung.

Damit würdigt man, im Negativsog verstärkt, die eigene Arbeit zu einem in sich nicht mehr sinnvollen Tun herab. In die Firmen werden so Motivationen und Haltungen eingeschleppt, die entweder mafiotischen Exklusivgesellschaften oder dem Individualvandalismus der Räuberhauptmannsgesinnung entsprechen.

Solchen Tendenzen begegnet man nicht durch Atmosphärisierung des Großraumbüros nach dem Muster der Senator Lounges, in denen sich auch der Durchschnittstyp zur autonomen Persönlichkeit hochfühlen kann, weil er nach eigener Entscheidung Getränke konsumieren, Freizeitkleidung probieren und die Gossip-Grüppchen stimulieren darf. Wie wäre es, wenn man, statt vom Kreativitätspathos bei globalen Modernisierungszielen zu sprechen, darauf abheben würde, dass alle Veränderungen, das heißt: erfolgreiche Routinen störende Veränderungen, nur gerechtfertigt sind, wenn sie die bloße Existenz des Unternehmens auch noch in zehn oder gar zwanzig Jahren sichern sollen – woran jeder Mitarbeiter nur dann Interesse hat, wenn er mit langfristiger Zugehörigkeit zum Unternehmen rechnen kann? Hire and fire ist keine Führungsmaxime, sondern die Rechtfertigung von angeblich „schöpferischer Zerstörung“.

Das führt zum nächsten Vorschlag: Wöchentlich möge die Unternehmensführung während der Arbeitszeit mit der Belegschaft gemeinsam die Wirtschaftskommentare einschlägiger Medien und von Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlern lesen. Die Mitarbeitergemeinschaft ambitionierter Firmen würde enorm gestärkt und damit ihre Leistung optimiert, wenn sich Chefs aller Ebenen als urteilsfähig erwiesen, indem sie die Weisheiten angeblich höchster Geisteskräfte an simpler Logik messen. Beispiel: Da werden Wissenschaftskoryphäen mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft ausgezeichnet und verursachen prompt Milliardenschäden, sobald sie ihre Weisheit selbst in Wirtschaftspraxis übersetzen. Der Chef stärkt seine Mitarbeiter, der ihnen zu erklären vermag, dass solche haltlosen Machenschaften wie generell in der „Finanzkrise“ aus dem Allmachtwahnsinn von Investmentbankern entstehen, die sich von der realen Wirtschaft abgekoppelt haben und sich in der Politik mit der Meinung durchsetzen, nur das Kapital müsse noch arbeiten, alle andere Arbeit sei antiquiert und als überflüssig zu vernachlässigen. Unter dieser Voraussetzung würde jeder Mitarbeiter akzeptieren, dass sich die eigene Firmenleitung vor Machtwillkür zu schützen weiß, also den Betrieb nicht als Spekulationsmasse betrachtet, aber deswegen auch auf Begrenzung von Forderungen bestehen muss.

Weitere höchst effektive Vorschläge des Autors dieses kleinen Beitrags werden gegen entsprechendes Honorar zur Verfügung gestellt. Der Autor wettet sogar auf den Erfolg seiner Vorschläge (und, wie der Leser bemerken wird, setzt er sich so der Spekulation aus, die er eben noch problematisierte). Das Honorar dient ausschließlich dem Erhalt seiner „Denkerei“ in Berlin, von der er keinerlei Bezüge erhält. Hier werden besagte Vorschläge erarbeitet unter der Maxime, dass Probleme nur durch das Erzeugen neuer Probleme „gelöst“ werden können. Und das ist keine Lösung. Probleme, die diesen Namen verdienen, werden nicht gelöst, sondern bemeistert. Das hieß einst, Probleme zu managen.