Zeitung Frankfurter Rundschau

Kolumne „Bruderküsse“

Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.
Frankfurter Rundschau, Bild: Bruderküsse.

Erschienen
10.01.1994

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
10.01.1994

Flexperten

"Wiener, die große deutsche Trendzeitschrift, bietet per Trendfax die Trendprognosen von acht internationalen Trendexperten, darunter M. Horx, Trendberater des Trendbüros Hamburg: Die Rezession beginnt erst und mit ihr eine Flut von Verflohmarktung bis hin zum Kompostmodernism; Buddhismus, die unreligiöse Religion, wird zum Thema, weil die Hochphase des Individualismus zu Ende geht; 1994 steht im Bann der Jahrtausendwende. Das wird die Entwicklung eines neuen, fundamentaleren Moralismus und einer Art neo-dekadenten Lebenstils beschleunigen." Irgendwelche Fragen?

Im Trend liegt also, wer einen Müllhaufen vermarktet, eine unreligiöse Religion anbietet und wer seine selbstzerstörerische Rücksichtslosigkeit als fundamentale moralische Handlung auszugeben versteht. Trends, gar neue? Als ob nicht seit siebzig Jahren Nationalsozialismus und Sowjetsozialismus als unreligiöse Religionen bestens analysiert worden wären, ja die gesamte Moderne inkl. der Technikentwicklung ebenso gekennzeichnet worden wären. Die Vermüllung von Kultur und die Vermarktung von Kulturmüll sind zentrale Untersuchungsgegenstände der Kulturtheoretiker seit den 60er Jahren, und wie weit fundamentaler Moralismus immer schon die Dekadenz von Priestern, Führern und Funktionären bemäntelte, ist gar bezeugt, seit man geradezu biblisch zitiert: Sie predigen Wasser und trinken Wein. Das sind ja dolle Trends des Jahres '94. Ungefähr derart, als würde man das Auftreten von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter '94 als Kalendertrend prognostizieren.

Wie man hört, sind die Herren Trendexperten, allen voran Gerd Gerken, für die deutsche Großindustrie tätig. Mercedes Benz und Co lassen sich für 50.000 DM Honorar pro Trendseminar von diesen windigen Schnüfflern den "Aufbruch der Jugend zu einem Glück ohne Schuld" als Leitbild ihrer wirtschaftlichen Planung andrehen oder das "Leben in Computern jenseits unseres Lebens" als Marketingkriterium bzw. die "tagträumerische Technik, künstliche Welten synchron zur echten Welt sehen zu können" als Vision ihres idealen Kunden. Wie muß es um die deutschen Wirtschaftsführer, diese angebliche nationale Elite bestellt sein, daß sie ihre Planungen und Entscheidungen danach ausrichten, daß jemand behauptet, "'94 ist Evolutionsdruck pur, Umverteilung von Märkten" oder "'94 könnte die Farbe Blau zur wichtigsten Farbe werden!" Da sollte man besser gleich Lotto spielen, da werden auch immer die Zahlen gezogen, die beim nächsten Mal nicht mehr gelten. Auf jeden Fall bietet Lotto ein Spielen mit System und Strategie. Das bringt zwar auch nichts ein, hat aber den Vorteil, daß die Lottoscheinstempler nicht Horx heißen und als Gerken grüne Zukunftsgurken blau reden.

Achtung: Fake-Nahrung liegt '94 absolut im Trend, so E. Cornish, Chefredakteur der Zukunftszeitschrift "The Futurist"; dabei gibt es die Plastiksalami und Gummikäse seit Jahrzehnten an jeder Tankstelle. Der Satanskult soll '94 aufblühen? Sein Pesthauch sind die Trendprognosen der Trendexperten.