Buch Stephanie Senge: Konsumidealismus

Stephanie Senge: Konsumidealismus, Bild: Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt, 2015.
Stephanie Senge: Konsumidealismus, Bild: Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt, 2015.

Die Berliner Künstlerin Stephanie Senge setzt sich in ihrer künstlerischen Arbeit schon seit vielen Jahren mit der Warenwelt und unserem Verhältnis zu Gegenständen und Konsum auseinander. Sie macht Ikebana aus alltäglichen Objekten, Mandalas mit Produkten aus 100-Yen-Shops und öffentliche Aktionen und Performances zum „starken Konsumenten“ (dazu erschienen: „Stephanie Senge Der starke Konsument Ikebana als Wertschätzungsstrategie“). Dabei geht es ihr nicht um platte Konsumkritik, sondern sie möchte zu einem bewussten Umgang mit den Dingen einladen. In ihrer neuen Serie des „Konsumkonstruktivismus“ bezieht sie sich mit Bildern aus Verpackungen auf Ikonen der konkreten und konstruktivistischen Kunst. Ähnlich wie den Konstruktivisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht es ihr um die Ästhetik des Alltags. In zahlreichen Aktionen, im Buch dokumentiert, macht Senge auf ihr Anliegen aufmerksam. Die Kunst kommt in den Supermarkt und der Supermarkt ins Museum!

Erschienen
01.01.2015

Verlag
Verlag für moderne Kunst Nürnberg

Erscheinungsort
Nürnberg, Deutschland

ISBN
978-3903004252

Umfang
330 S., farb. Abb.

Seite 157 im Original

Nennen und Bekennen

2007 habe ich mich für eine Konsumprozession von Stephanie Senge mit anderen Performancekünstlern/Aktivisten zusammengeschlossen. Mir ging es darum, den Zusammenhang von Monstranz (das Zeigen einer Verpackung mit einem wundertätigen, geheiligten, nicht sichtbaren Objekt) und Demonstranz (das Beglaubigen, Bekennen eines wundertätigen, geheiligten Objektes) zum Thema zu machen; deren Einheit kennzeichnet die intensivste Kulturgeste, die wir aus geschichtlichen Zeugnissen kennen. Beispiele liefern die religiöse Verehrung von Kultobjekten durch die versammelten Gläubigen oder die Ausrufung eines Königs/Parteiführers oder die Einforderung von Arbeit, Brot und Gerechtigkeit – sei es durch Spartakus-Sklaven, Müntzer-Bauern, Bebel-Arbeiter oder Dutschke-Studenten.
Uns interessierte die Frage, ob die heutigen Wohlstandskonsumenten das anthropologisch/kulturhistorische Repertoire solcher Kulturgesten bestätigt oder verändert haben. Denn nach allgemeiner Auffassung stellt der rituelle Konsum den allgemeinverbindlichsten Kult in entfalteten Industriegesellschaften dar (vgl. Kapitalismus als Religion). Sprichwörtlich dafür ist die programmatische Kennzeichnung der euphorischen Selbstvergewisserung jüngerer Zeitgenossen, deren titelwürdiges Programm »Shoppen und Ficken« heißt.
Bei der angesprochenen Straßenaktion war die Frage, ob Passanten die Demonstration als eine Einübung und Bestätigung des Konsumkults S+F verstehen würden oder ob sie vielmehr das Ziel der Aktion als Kritik am Kult erkennen wollten. Denn die Art und Weise der Demonstration ließ beide Schlußfolgerungen gleichermaßen zu. Um das Resultat vorwegzunehmen: Die überwiegende Zahl der Passanten schien eher bereit, die Konsumdemo als pointierte Kritik an Produktherstellern und -anbietern zu verstehen – nicht aber als Aufforderung, das eigene konsumeristische Verhalten in Frage zu stellen. Warum? Wahrscheinlich möchten sie der Verpflichtung auf die Konsumentenhaftung entgehen.
Auf den ersten Blick gehören Konsumdemonstrationen in den Kanon der politischen Widerstandsbewegungen. Das Format ist bestimmt durch die Einheit von Nennen und Bekennen des Gemeinten. Der Zeigegestus – und damit auch die Nachdrücklichkeit des Zeigens – verstärkt sich durch die möglichst große Zahl der Teilnehmer an der Demonstration.
Die Bedeutung wächst in dem Maße, wie es gelingt, die symbolische Repräsentanz der alle ergreifenden und insofern »heiligen Sache« überindividuell, allgemeingültig zu formulieren.
Die Verpackungen von Konsumgütern wollen durch ihre Gestaltung Evidenzverstärkung für die behauptete Einheit von Produktsubstanz und symbolisiertem Gebrauchswert in Bildern und Begriffen bieten. Konsumenten könnten monieren, dass die Einheit nur vorgetäuscht wird, man also unter dem ausgewiesenen Gebrauchswert nicht die entsprechende Substanz geboten bekommt, weil der zu zahlende Preis vornehmlich für die symbolische und nicht für die substantielle Qualität der Konsumgüter erhoben wird. Oder man könnte im Gegenteil mit der Monstranz, dem durch die Demonstration thematisierten Produkt, bekunden wollen, dass gerade durch das Zeigen der Monstranz das Kaufinteresse von Konsumenten auf Produkte gelenkt werden soll – indem auf sie als ökologisch, sozialpolitisch oder ästhetisch korrekt in besonderer Weise aufmerksam gemacht wird.
In diese Orientierung paßt Stephanie Senge ihre Aktionen ein, um mit der Maxime »Du bist, was Du ißt und Du bist deshalb verantwortlich für das, was Du bist« die Fähigkeit des Konsumenten zur Selbstkritik und zur Selbsterkenntnis zu festigen. Es kennzeichnet den »starken Konsumenten«, dass er die ihm zugestandene Freiheit der Auswahl beim Kauf nach Kriterien nutzt, die vorrangig der Produktsubstanz gelten. Das ist einfacher gesagt als getan, denn auch über No-Name-Produkte und in Einfachstverpackung angebotene Waren muß man sich ja verständigen, was wiederum nach Namensgebung oder anderer symbolischer Kennzeichnung verlangt. Gerade wenn Konsumenten durch gezielte Wahl ihren ökonomischen Einfluß auf die Verläßlichkeit der Produktauszeichnung zur Geltung gebracht haben, ist dem veränderten Produktangebot gegenüber wiederum die Frage zu stellen, in welchem Verhältnis Substanz und Kennzeichnung tatsächlich stehen.
Einer solchen Verpflichtung zur permanenten Kritik ist kein Individuum gewachsen. Die Kritik muß institutionalisiert werden, also gilt es, die Konsumenten davon zu überzeugen, dass sie Verbraucherschutzorganisationen und Warentester durch aktive Förderung in ihren Aufgaben stützen und vor allem sich an deren Arbeitsresultate halten.
So weit, so gut. Wichtiger als diese Schlußfolgerung war uns aber die Orientierung an der zentralen Maxime der Moderne »less is more«. Um diese Orientierung zu intensivieren, gründete ich 2007 die Aktionsgruppe »Asketen des Luxus – Konvent der Goldenen Eßstäbchen«, an der sich nachhaltig Wolfgang Ullrich, einer der führenden Kulturwissenschaftler, und Stephanie Senge beteiligten. Zentrales Moment des Programm-Logos ist die phrygische Mütze als Zeichen der geheilten Midas-Nachfolger. König Midas hatte ja wie ein Deutsche Bank-Chef als höchstes Ziel des Daseins die Erfüllung des Wunsches ausgerufen, ihm möge alles, was er anfaßt, zu Gold werden – bis heute Handlungsmotto aller Investmentbanker. Midas merkte schnell, dass man Gold nicht essen und trinken kann, und bat den Gott um Verzeihung für seine dummen Wünsche. Dionysos war gnädig, verpaßte Midas aber eine bleibende Erinnerung, indem er ihm die Ohren langzog. Um dieses Schandzeichen zu verstecken, erfand Midas die besagte phrygische Mütze, die dann die französischen Revolutionäre von 1789 zur Warnung vor jeder Kultureselei des falschen Wünschens trugen.
Es kommt unserer psychischen Disposition entgegen, wenn der Verzicht auf unmittelbare Trieberfüllung durch einen gewissen Luxus kompensiert werden kann – Luxus verstanden als Bedeutungssteigerung:
Einschränkung schärft den Sinn für das Wenige als Köstlichkeit. Askese meint ja im wörtlichen Sinne Einübung in Reduktion als Steigerungsform. Den Asketen des Luxus können deshalb goldene Eßstäbchen zum Sinnbild ihrer Strategie werden. Goldene Eßstäbchen würde niemand wegwerfen wie die hölzernen, für deren tägliche Bereitstellung Urwälder abgeholzt werden: ein ökologischer Effekt des Luxurierens. Den ökonomischen Effekt kann man sich leicht ausrechnen.
Auf den medizinischen Vorteil des Gebrauchs goldener Eßstäbchen verweist die Tatsache, dass Gold keine Bakterien oder andere Verschmutzungen annimmt, was in feuchtheißen Klimata jederzeit zu erwarten ist. Und schließlich bietet die äußerst reduzierte, aber klare und distinkte Gestaltung der Eßstäbchen hohen ästhetischen Genuß.
Jüngst hat Peter Sloterdijk mit seinen Überlegungen, die unter dem Titel »Du mußt dein Leben ändern« publiziert wurden, gezeigt, dass für Kulturen insgesamt das Prinzip Luxurieren durch Askese grundlegend ist. Diesem Ziel der Wertsteigerung durch Einschränkung folgt Stephanie Senge in immer neuen Aktivitäten. Sie bietet ihrer konsumeristischen Klientel künstlerische Anleitung, wie man lernt und übt, den Sachverhalten und Objekten unseres Alltagslebens höhere Wertschätzung entgegenzubringen. Mit solchen Fähigkeiten ließe sich dann dem allgemeinen Vandalismus als Verlust der Wertschätzungskraft entgegentreten. Zentral für diesen Aktionstyp ist das oben angesprochene Verhältnis von Monstranz und Demonstranz oder eben das von Wesen und Erscheinung oder das von Substanz und Akzidenz der Produkte. Senge bietet ihrem Publikum an, die Kennzeichnung oder symbolische Repräsentanz auf den Verpackungen der von ihnen gekauften Produkte durch Übermalung so zu ändern, dass die Nutzer mit größerem Erfolg ihre eigene Kritikfähigkeit erleben können. Konsumdemo heißt in diesem Sinne Selbstvergewisserung der Konsumenten, dass sie erfolgreich ihr Verhalten als Verbraucher umgestellt haben. Es entspricht pädagogischer Erfahrung, dass die Bestätigung des Lernerfolgs am besten die Bereitschaft fördert, sich weiter zu bemühen.

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