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Interview mit dem Denker im Dienst Bazon Brock in der Denkerei am Oranienplatz - von Liz Stumpf
Manche Menschen bedürfen keiner Einleitung. Bazon Brock erklärt sich selbst und wird doch nie vollends verstanden werden.
Ruhmsucht: Wollen Sie den Menschen wieder zum Denken verhelfen oder aus welcher Motivation heraus haben sie die Denkerei eröffnet?
Bazon Brock: Nein, die Denkerei hat nur einen einzigen Sinn, nämlich zu zeigen, dass alle Aussagen, die wir über die Welt treffen ernstgenommen oder berücksichtigt werden müssen, sofern die Aussagenden ihre Aussagen auch auf sich selbst beziehen. Also Urteile müssen immer den, der urteilt mit einbeziehen, sonst sind die Aussagen nichts wert. Also die Faschisten, die Kommunisten, die Idioten – das bedeutet gar nichts. Denkerei heißt nichts anderes als: Denke darüber nach, dass die Urteile über die Welt, die du fällst dich selbst einbeziehen müssen.
Ruhmsucht: Wie stehen Sie zu Berlin?
Bazon Brock: Es ist natürlich der geschichtsträchtigste Ort in Deutschland. Man wird jeden Tag mehrmals an bestimmten Orten aufgefordert sich auf die historischen Hintergründe zu besinnen. Man sieht sozusagen die Legionen der Toten hier herum marschieren. Wenn man sich auf den Pariser Platz begibt, hätte man sozusagen fünf Etagen Volksversammlung, wenn man all die Toten lebendig werden ließe.
Das ist die Stadt, in der man am häufigsten genötigt wird, sich auf mehr zu beziehen, als auf sein kleines, beschränktes Leben
Ruhmsucht: Sie sind ein großzügiger Mensch und schenken gerne, auch gerne mal Kritik. Wem wollten Sie schon immer mal ihre Meinung direkt ins Gesicht sagen?
Bazon Brock: Ich glaube, dass ich allen, die ich irgendwie erreichen kann direkt sage, was ich meine. Aber das ist nicht nur ein „beliebiges Meinungsäußern gegen irgendjemanden“, sondern man würde sagen, ein „zur Vernunft bringen“ und da gibt es natürlich viele Adressaten. Ich möchte zum Beispiel dem Herrn Schäuble, Frau Merkel und Co. sagen: „Ihr könnt nicht Konkursverschleppung als Rettung Europas ansehen. Ihr könnt nicht das Brechen des Rechts als Rettung Europas ansehen.“ Das Recht brechen im Hinblick auf die Bestimmungen der EZB, auf die Maastricht- Verträge, auf European Stability Mechanism – was ja wirklich der Höhepunkt der Idiotie ist! Der ESM darf für Griechenland nicht angewendet werden, weil Großbritannien und Schweden als EU Mitglieder – aber nicht zur Eurogruppe gehörend – natürlich sagen: „Wieso sollen wir für die zahlen? Wir sind ja nicht im Euro.“ Daraufhin vereinbaren die anderen Euroländer mit denen: „Nominell sagt ihr mal schön ja und wir geben euch die Garantie, dass ihr nichts zahlen müsst.“
Es ist verlogen, verbohrt, absurd, in jeder Hinsicht. Im normalen Zivilleben müssten die alle längst im Gefängnis sitzen, denn die haben die Konkursverschleppung Griechenlands dermaßen vorangetrieben mit Gesetzesbrüchen am laufenden Band
Eigentlich kann man sagen, rundum gibt es niemanden in Politik und Wirtschaft, der diesen Wahnsinn der letzten sieben Jahre nicht verständnisvoll begleitet hat und sagt „Das ist eben unser Schicksal“. Die Herren an der Spitze, die verlieren nichts, die haben ihre Fabriken und Häuser. Was soll denen schon passieren? Es sind die Millionen normaler Steuerzahler, denen es an den Kragen geht – und die halten still. Die sagen nix. Die haben sich schon wieder, wie einst und immer, verführen lassen zu ihrem eigenen Untergang. Die bewundern die Merkel zum Teil auch noch. Die bewundern ihren Schlächter. Und die müssen das, weil sie dumm sind. Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.
Ruhmsucht: Was wäre Ihrer Meinung nach eine sinnvolle Lösung für die Griechenlandkrise?
Bazon Brock: Die Anerkennung, dass die Euro-Konstruktion prinzipiell verfehlt ist, weil man ohne eine politische Einigung keine monetäre Einigung herstellen kann. Dass die Konstruktion Europa verfehlt ist. Dass das Resultat dieser Europapolitik ist, dass man in Griechenland heute schärfere Kritik an Deutschland findet, als je zur Hitlerzeit. Das muss man sich mal vorstellen, was das heißt! Im Frieden wird ein größeres Hasspotential zugelassen für die Defizite, deren entwürdigender Schmähcharakter größer ist, als er je in der Geschichte war. Wie soll man sich da auf ein Europa verlassen? Das geht ja nicht. Also mit anderen Worten:
Die vernünftige Lösung ist: Jetzt fangen wir von vorne an
Unter Ausnutzung dieser Erfahrungen. Und das ist ja das was alle wollen. Jetzt müssen die Schulden gestrichen werden, aber unter der Bedingung, dass das Konsequenzen hat. Mit solchen Leuten kann man nicht zusammengehen. Das ist sehr einfach und es gibt auch keine andere Lösung.
Ruhmsucht: Sie sehen also den Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone als einzige Lösung an?
Bazon Brock: Ja, nicht nur Griechenlands! Es sind ja viele Kandidaten dabei, die sich diesen Schmähungen anschließen. Die Hälfte der Bevölkerung in allen Ländern ist auf der Seite der Griechen. In Portugal, in Spanien – überall gibt es Podemos- Bewegungen. Die ganze rechte Szene, auch in Finnland und Dänemark, überall. Das Aufkommen der Rechten ist doch der Beweis des Scheiterns dieser Europapolitik. Und das mitten in Frieden und Prosperität. Stell dir mal vor, was passiert, wenn es keine ausreichende Versorgung der Bevölkerung gibt, wenn die Häuser brennen. Ja, das will man sich wirklich nicht vorstellen. Jetzt, mitten im satten Leben, haben wir solche ideologisch tödlichen Auseinandersetzungen. Wegen nichts!
Was wird dann erst passieren, wenn es wirklich um die Wurst geht?
Ruhmsucht: Sie erhielten von Ihrem Professor an der Universität den Spitznamen Bazon, das ist Griechisch und heißt der Schwätzer. Gibt es heute noch jemanden, der Sie bei Ihrem bürgerlichen Namen nennt?
Bazon Brock: Das ist kein Spitzname aus dem Studium. Das war nur eine Bestätigung. Es war schon viel früher, schon auf dem Gymnasium, der Fall. Das ist auch kein Spitzname. So denkt man im Deutschen über so etwas nach. Man würde nie sagen der Spitzname des Indianers X war “große Eule”. Bazon ist kein Spitzname, sondern ein kennzeichnender Cognomen. Ein Name, in dem das Wesen repräsentiert wurde. Und ich sollte mich in der Figur des Vorsokratikers sehen und damit eben auch in der Tradition der Rhetorik. Gorgias war der größte Rhetoriker im Athen des fünften Jahrhunderts und dessen Positionen kamen alle aus dem vorsokratischen Denken. Das heißt also nicht in systematischen, philosophischen Zusammenhängen, sondern auf den Fall, das Ereignis hin gesprochen. Was für eine Stellung nimmt man zu dem und dem Fall, zu dem und dem Problem, zu dem und dem Sachverhalt ein? Das ist das Entscheidende. Seine intellektuelle Äußerungsfähigkeit einzusetzen, um etwas zu erreichen, das ist das, was mit Bazon gemeint war bei den Vorsokratikern. Alles, was sie taten war einem bestimmten Zweck zugeordnet, nämlich der Frage, was die Motivation ist, unter der jemand spricht.
Und heute noch mit meinem Geburtsnamen angesprochen werden? Nein, ich glaube das ist gegenwärtig nirgends der Fall.
Ruhmsucht: Begreifen Sie sich noch als Jürgen Joachim Herrmann oder haben Sie diesen Namen vollkommen abgelegt?
Bazon Brock: Nein, also das habe ich, glaube ich, vollkommen abgelegt, weil mir weder die germanische, noch die christliche Tradition irgendetwas sagt. Hermann ist germanisch, Johannes christlich und Jürgen bezieht sich auf den Georgsmythos [St. Georg ist ein christlicher Heiliger, der der Überlieferung nach eine Königstochter vor einem Drachen rettet, indem er ihn tötet, Anm. d. Red.]. Für mich persönlich spielt weder die Johannesjünger-Geschichte, noch die Drachentöter-Geschichte, noch die germanische Heldenfigur eine Rolle. All diese Traditionen lassen sich für mich nicht mehr gebrauchen, denn wenn ich darauf einginge bedeuteten sie etwas ganz anderes, als das, was sich die Leute vorstellen. Herrmann, der Cherusker, der die Römer besiegt hat – dabei war es umgekehrt: Hermann, der Römer, der versuchte den Germanen endlich römische Rechtspositionen beizubringen und deswegen ermordet wurde. Römische Offiziere, wie Hermann und sein junger Neffe traten gegen den Repräsentanten Roms an, also gegen den Diktator Varus, und ließen ihn umbringen. Die Tragödie besteht darin, dass die mit den Errungenschaften Roms zu beglückenden Germanen, sich freiwillig für die Barbarei entschieden haben.
Die Germanen, die mit dreißig Jahren an Nierenversagen starben, weil sie dauernd mit dem Hintern in der Nässe saßen, anstatt römisch auf Bodenheizung zu schlafen
Anstatt Fußbodenheizung und medizinische Versorgung auf den höchsten Standards der denkbaren Form zu genießen, haben sie sich geopfert. Also all diese Dinge sind mir völlig fern.
Ruhmsucht: Sie haben ja schon ein eindrucksvolles Alter erlangt und bezeichnen sich selbst auch humoristisch als „Wundergreis“. Wie alt fühlen Sie sich wirklich?
Bazon Brock: Naja, die Bezeichnung „Wundergreis“ ging darauf zurück, dass man allgemein von Wunderkindern spricht. Wir hatten auf Grund der Kriegssituation nie die Chance, ein Wunderkind zu sein. Wir mussten mit acht Jahren komplett in die Realität eintauchen, mit kriegerischen Auseinandersetzungen, mit Lagerhaltung und so fort. Deswegen sagte man sich: Vielleicht hat man dann die Chance als Wundergreis. Und das ist in der Tat heute für viele so, auf Grund der besseren medizinischen Fürsorge, der besseren Ernährung und der besseren sozialen Gegebenheiten. Sehr viele Leute werden sehr alt. Das heißt, sie kriegen die Chance im Alter zu realisieren, was ihnen vorher nicht möglich war. Die Leute entdecken plötzlich grandiose Fähigkeiten auf den verschiedensten Ebenen, die sie in ihrem bisherigen Leben niemals ausleben konnten. Die allgemein bestaunte Lebendigkeit von heute Achtzigjährigen – ich bin ja jetzt im achtzigsten Lebensjahr – ist so etwas wie ein Wunder. Und deswegen ist es angemessen zu sagen: „Wundergreis“.
Ruhmsucht: Und wie alt fühlen Sie sich?
Bazon Brock: Ja, das weiß ich nicht so genau. Ich hatte kürzlich einen Vigilanztest [Als Vigilanz bezeichnet man die Reaktionsbereitschaft über einen längeren Zeitraum in monotonen Situationen, diese kann in Schlaflaboren getestet werden. Zellvigilanz ist ein von Bazon Brock verwendeter Neologismus, Anm. d. Red.] auf Zellebene, dabei kam 57 raus.
Weshalb ich mir gleich ein Nummernschild habe machen lassen mit BB57. Weil das ja hieß, Sie haben das Alter eines Siebenundfünfzigjährigen, von der Zellvigilanz her
Aber sagen wir mal so, ich würde meinen ich fühle mich wie Sechzig. Also ich kann immer noch drei Tage die Woche unterwegs sein und dann einen Tag noch hier eine Veranstaltung machen und eine noch dort. Das funktioniert ja alles noch. Ich fühle mich nicht mehr jung, aber durchaus noch fähig das durchzuhalten, was ich mir vornehme, weil es wichtig ist.
Ruhmsucht: Sie haben mal gesagt: „Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muß aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht ist ein Verräter.“ Wie stehen Sie heute zum Tod? Ist er die letzte Übung des Scheiterns?
Bazon Brock: Nein, das ist sozusagen die große Form der Zustimmung. Das einzige, was die Menschheit gemein hat und gemein haben wird ist, dass, im Sinne der biologischen Evolution, der Tod der Individuen die Voraussetzung für das Überleben der Gattung ist. Insofern als er alle trifft, ist er das einzig wirklich demokratische Regime, das es gibt.
Im Tode sind alle gleich. Und das ist doch ein erfreuliches Ereignis. Im Tode zeigt sich endlich mal die Demokratie
Sonst gibt’s das nirgends. Mit Ausnahme der Tatsache, dass wir alle gleich sind im Hinblick auf das, was wir nicht wissen, was wir nicht können und was wir nicht haben. Aber das wird ja nicht anerkannt. Also Aufklärung gibt’s hier nicht, weil niemand stolz ist auf das, was er über sich weiß an Unvermögen und an Begrenztheit. Und das ist die einzige Form der Aufklärung. Ich weiß, dass mit meinen Mitteln nichts erreichbar ist. Ich kann mich also kontrollieren. Ich werde nicht allmachtswahnsinnig, wie unsere Politiker und Wirtschaftsunternehmen. Masters of Universe. Noch ein Gesetz und schon ist das Problem gelöst. Noch ein paar Milliarden, schon gibt’s das Problem nicht mehr. Das ist alles vermeidbar, wenn man Demokrat ist. Und die wirklich evolutionär erfreuliche Tatsache ist, dass wir einen Beweis für die Demokratie als einzig zustimmungsfähiges Phänomen gewinnen, und das ist der Tod. Was abgeschafft werden muss, ist der Tod, der nicht auf die Gleichheit hinausläuft. Wenn einer mit Achtzehn stirbt, ist das ja gerade nicht die jedem Leben am Ende gegebene Chance, sich in das große gleichsetzende Verfahren einzubeziehen. Kurzum, der natürliche Tod ist gemeint und nicht der außerordentliche Tod auf der Straße, auf dem Schlachtfeld oder auf dem Operationstisch, der muss abgeschafft werden.
Ruhmsucht: Hat jeder Mensch das Potential ein außerordentlicher Denker zu werden?
Bazon Brock: Natürlich hat das jeder, er braucht nur aufrichtig zu sein. Das heißt, er darf nicht durchgehen lassen, was offensichtlich unbegründet ist. Aber um das zu erkennen, muss man ausgebildet sein. Das heißt die naive Zustimmung – „Das ist doch evident“– die führt leider in die Irre.
Man muss eben gelernt haben seinen Sinnen und seinem Verstand nicht zu trauen und muss die Vernunft einschalten, die als Kontrollorgan für die bloße Verstandestätigkeit auftritt
Dazu braucht man eben schon eine Ausbildung. Aber der Potenz nach hat das jeder Mensch.
Ruhmsucht: Was ist die größte Freude für Sie?
Bazon Brock: Vor einem Auditorium zu stehen und in den Augen der Zuhörer zu sehen, dass bei denen was ankommt.
Ruhmsucht: Schön. Danke. Das war die letzte Frage.
Bazon Brock: Ach, das war’s schon? Das ist ja süß. Süß!
Ruhmsucht: Dann hätte ich noch eine letzte Bitte an Sie und zwar: Malen Sie sich selbst!
Bazon Brock: Mich selbst zu malen, das wäre eigentlich… Warte mal, wenn man sich das vorstellt: Das ist der Tisch und darauf liegen diverse Bücher und Heftchen und Utensilien. Und wenn ich mich so richtig sehe… Ja, das müsste ich sein… Eine große rollende Kugel, die hier ständig – das ist der Bauchnabel – Einbrüche erlebt. Und zwar nicht schwangerschaftsgefüllt, sondern:
Brock, ein Bauch angefüllt mit Luft, um gleich zu platzen. Ein Wutanfall reicht. Achtung Explosionsgefahr!
Also das ist glaube ich mein dramatischstes Gefühl: Luftballon aufgeblasen und gleich platzt er. Eigentlich ist das noch nicht das richtige Gefühl… Herkömmlicher Weise würde man ja meinen, das sei ein gutes Polster, um nicht gegen die harten Kanten des Lebens zu stoßen, wie hier gegen den Tisch. Nein, es ist eigentlich mehr: Bauch als Symptom… sich selbst zu verdauen, das heißt Autoimmunprozesse. Autoaggression. Wenn man das von innen so sieht. Nun habe ich natürlich in der Wirbelsäule sowieso ein Problem. Halswirbelsäule, Rücken, Brust – alles ein Problem. Wirbel L4, L5, hinauf bis zu C2, C3, die alle in diese Richtung wirken. Sozusagen von hinten in die Weichteile drücken. Und dann sagen die immer: „Was ist denn bloß los? Sie haben eine Vergiftung durch Calciumpyrophosphatkristalle.“ Wie stellt man sich das vor? Hier reibt jetzt Kristall an Sehne, Muskel, Nerv, Nerv und dann hier Entzündung. Das hier ist die Kampfzone. Und hier sind die Kristalle. Ganz wüste Dinger. Sechser Entzündung. Daher Cortison. Und das setzt einem ja wirklich zu.
Ruhmsucht: Also definieren Sie sich ein Stück weit auch über ihre Krankheit?
Bazon Brock: Natürlich! Ausschließlich würde ich meinen. Das ist die Selbstdarstellung. Ein riesengroßer Bauch, der droht mich selbst ganz zu verschlingen, aufgrund dieser Autoimmunerkrankung.
Ruhmsucht: Vielen lieben Dank für das Interview!