Ausstellung Wa(h)re Kunst / Die Warenwunder tut die Madonna nur im Museum

Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, Berlin (21.03.-14.04.1996)

Aids der Wünsche - Die Verpackung als Verhütung, Bild: Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Deutsches Historisches Museum, Berlin (21.03.-14.04.1996). + 5 Bilder
Aids der Wünsche - Die Verpackung als Verhütung, Bild: Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Deutsches Historisches Museum, Berlin (21.03.-14.04.1996).

Besucherschule mit Bazon Brock am 22., 23, 24.03.1996 von 15-18 uhr

Termin
21.03.1996

Veranstaltungsort
Berlin, Deutschland

Veranstalter
Deutsches Historisches Museum

Bazon Brock zeigt Souvenirs, Lehrmittel, Theoretische Objekte, Devotionalien, Weihegeschenke aus den Museumsshops der Welt

In einer schönen Lachsacknummer der siebziger Jahre versuchte der Komiker Otto Waalkes beim „Wort zum Sonntag“, feministische Bilderstürmerinnen zu beruhigen: Der Schlips des gutbürgerlichen Mannes verweise keinesfalls auf das Potenzzentrum, zeige also nicht zum Hoden, sondern zum Boden. Ein witzigintelligenter Designer setzte auf den Narren Otto anderthalb Philosophen. Er schuf die Krawatte als Memento mori.

Eine wie üblich nach unten zugespitzte, also richtungweisende Krawatte aus mausgrauer Seide bedruckte er mit einem Apfelbild und dem Schriftzug „Dies ist kein Apfel“. Diese Anspielung auf Magrittes Feststellung, daß eine gemalte Pfeife keine (b)rauchbare sei, sagt also, daß dies keine bloße Krawatte ist, sondern?

Angesichts eines vom Baum fallenden Apfels bestätigte sich für Newton, daß der Apfel nicht weit vom Stamm fällt; zugleich leuchtete ihm das Gesetz der Schwerkraft ein. Er läßt alles zu Boden fallen, was sich aus ihm erhebt. So wird aus der schnöden Krawatte ein zeichenhafter Sterblichkeitsanzeiger, den der groß- wie kleinbürgerliche männliche Mensch zur einleuchtenden Demonstration des Bewußtseins eigener Vergänglichkeit trägt. Die Newton-Magritte-Krawatte gehört zu den typischen Artikeln, wie sie in den Museumsshops der Welt in hunderterlei Gestalt angeboten werden. Diese neue Objekt- und Warenklasse erfreut nicht nur kindliche und reifere Gemüter bildungsbeflissener Museumsbesucher, vielmehr sollen durch den regen Verkauf solcher Kunstgegenstände die Haushalte der Museen stabilisiert werden. Nur wenige Branchen haben derzeit so große Zuwachsraten wie diese Shops. In Zeiten ständiger Kürzungen der Kulturetats animieren die Stadtväter ihre Museumsleitungen, freien Unternehmergeist zu entwickeln, also für den laufenden Betrieb Geld zu verdienen.

Nach illustren amerikanischen Vorbildern verchartern sie ihr anspruchsvolles, mehr oder weniger auratisches Kulturambiente an Private, die vor träumenden Faunen oder expressionistischen Angstschreibildern die glanz- und eindrucksvollsten Events inszenieren: Modenschauen zum Beispiel, auch Firmenjubiläen oder Preisverleihungen. Wesentlich erfolgreicher noch verspricht die Einrichtung von Shops in so gut wie jedem Museum zu werden. Wie das geht und was das bringt, haben das Bauhaus-Archiv in Berlin oder das Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal vorgemacht. Auf kleinstem Raum im sonst ungenutzten Foyer des Von-der-Heydt-Museums opfern vierunddreißig Mitglieder des Fördervereins ehrenamtlich je drei Stunden Zeit pro Woche und verdienen so dem Träger des Museums gut und gern eine halbe Million pro Jahr, ohne die das Museum schon längst nicht mehr funktionstüchtig wäre. Allerdings sind diesen gemeinnützigen Wohltaten enge und durchaus präzise festgelegte juristische Grenzen gesetzt, die man bisher nur mit mehr oder weniger raffiniert ausgeklügelten Spitzfindigkeiten zu unterlaufen vermochte. Ein grotesker Zustand, den jetzt eine Initiative der Kunsthalle in Emden zu bessern hofft. Bisher sind viele wirtschaftliche Aktivitäten mit den Rechtsformen des Museums, beispielsweise als gemeinnützigem Verein, nicht zu vereinbaren. Der legendäre Bauhaus-Archiv-Vater Hans Maria Wingler kam schon 1974 auf den Dreh, eine Bauhausshop GmbH zu gründen, deren alleiniger Gesellschafter der eingetragene Verein Bauhaus-Archiv ist.

Andauernden Querelen sind Museumsshops ausgesetzt, soweit sie Artikel verkaufen, die auch in benachbarten Geschenkartikelläden angeboten werden. Die nämlich müssen zum Beispiel an Sonn- und Feiertagen schließen – ein erheblicher Wettbewerbsnachteil, wie sie klagen. Wie auch immer die Initiativen zur Verbesserung der rechtlichen Situation von Museumsshops ausgehen – es bleiben zwei bedenkliche Probleme. Da ist zum einen die Furcht der Museen, mit zunehmenden Wirtschaftserfolgen (ihrer Shops) immer weniger öffentliche Mittel zu erhalten – gegen diese Aushöhlung der Kulturpflichtigkeit von Gemeinden, Städten und Ländern protestieren gegenwärtig Hunderte von Künstlern, Museumsleuten und anderen Kulturaktivisten unter der Führung von Klaus Staeck. Mit dem steigendem Erfolgsdruck auf die Museumsshops besteht andererseits natürlich die nicht von der Hand zu weisende Gefahr, daß man deren Angebotspalette aus kommerziellen Erwägungen dem Tourismuskitsch zu öffnen versucht. Ohnehin sind die Museumsläden oft genug mit kunstgewerblichem Schnickschnack und flacher Schmunzelware bestückt, mit Artikeln also, die den kulturellen Auftrag der Museen, ästhetisch zu erziehen und historisch zu bilden, eher hemmen als fördern. Deshalb haben der Bertelsmann Verlag rtv und die Leitung der Art Frankfurt eine Initiative für die Entwicklung angemessener Museumsshop-Objekte gestartet. Die von Künstlern und Gestaltern aller Sparten entworfenen Prototypen werden von der Art Frankfurt an Hersteller und Museumsshops vermittelt.

Gemeinsam mit dem Berliner Ausstellungskurator Ulrich Giersch habe ich das schier erdrückend breite Angebot gesichtet, um herauszufinden, was leistungsfähige und sinnvolle Museumsshop-Artikel ausmacht. Wir zeigten unsere Ausbeute, Trophäen von vielen Streifzügen durch die Sortimente von Museumsshops, vom 21. März bis zum 14. April im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Ein Konsumkabinett, eine Monsterschau der Freizeitgesellschaft? Die Ausstellungsmacher reklamieren höchste künstlerische Autorität; denn schon internationale Koryphäen wie Claes Oldenburg (mit seinem Mouse-Museum und seiner Store-Installation) und Keith Haring (der in jede eigene Ausstellung seinen Museumsshop integrierte) propagierten die Bedeutung dieser neuen Warenklasse zwischen Kult und Kommerz. Ein schillernder Zwitterstatus, der mit dem Namen „Theoretische Objekte“ bezeichnet wird. Die Erfinderin der Theoretischen Objekte war jene märchenhafte Fischerstochter, die vor ihrem König weder nackt noch bekleidet erscheinen sollte. Sie verfiel auf den genialen Gedanken, sich mit einem Netz ihres Vaters zu drapieren, einem Objekt, das mit seiner materiellen Beschaffenheit tatsächlich zwischen verhüllender Bekleidung und enthüllter Nacktheit vermittelt. Genau diese Vermittlungsleistung kennzeichnet alle Theoretischen Objekte: Sie sind weder Kunstwerke noch funktional eindeutige Gebrauchsgegenstände. Das hört sich kompliziert an, ist aber ganz einfach, wie jedes Kind weiß, wenn es spielt. Leistungsfähiges Spielzeug vermittelt zwischen der Welt der realen Gegenstände sowie ihres Gebrauchs und der kindlichen Spielphantasie, die sich ja an Objekten festmachen muß – eben den Spielsachen. Spielen ist eine angemessene Form des Umgangs mit Theoretischen Objekten. Schüler wissen ihre Lehrmittel immer schon als Theoretische Objekte zu nutzen; sie sind weder verkleinerte Modelle, zum Beispiel von technischen Anlagen, noch bloße Illustration von papierenen Lehrbuchformeln. Sie ermöglichen das angeeignete abstrakte Wissen praktisch anzuwenden, ohne unwiderrufliche Konsequenzen des versuchsweisen Handelns fürchten zu müssen. Seit alters hat man sich der Leistung solcher Objekte im Gebrauch von Souvenirs, Weihegeschenken und Amuletten versichert. Schon die Reisenden des antiken Massentourismus erwarben Souvenirs, um ihre Erinnerungen an Erlebnisse vor Kulturzeugnissen jederzeit aktivieren zu können. Mit dem deutschen Wort „Andenken“ wird die Leistung dieser typischen Theoretischen Objekte prägnant gekennzeichnet. Die Souvenirs bieten der Erinnerung ein Zuhause. Damit sind die Theoretischen Objekte auch mehr als Symbole für eine abwesende Realität.

Wer etwa kleine Tonfiguren – Devotionalien – in eine Opfergrube wirft oder als Danksagung am Altar eines Heiligen ablegt, vollzieht eine reale und nicht nur eine symbolische Handlung, obwohl der Weihegegenstand nur ein Ersatz für eine viel zu kostbare Realie ist. Der Weihegeschenke opfernde Pilger bringt nicht eines seiner am Pilgerort geheilten Körperteile oder Realien seines Besitzes zum Opfer, sondern ein Theoretisches Objekt, das einerseits ganz gegenständlich und materiell ist, und andererseits die geistige Leistung des Opferns veranschaulicht.

Auf ähnliche Weise nutzen Menschen völlig selbstverständlich Amulette und Talismane. Die sind nicht Erscheinungsformen von Naturkräften oder reale Ausformungen von Geisterenergien – es wäre viel zu gefährlich, ständig Geister mit sich herumzutragen, von ihnen also besessen zu sein. Talismane und Amulette vermitteln zwischen den eigenen vital-seelischen Energien des Amuletträgers und den Wirkkräften des Lebens in Tieren, Pflanzen oder Mineralien. Die Theoretischen Objekte der Museumsshops sind nicht selber Kunstwerke, auch nicht Auflagenobjekte und Multiples; sie sollen und können auf die Art und Weise einwirken, wie man Kunstprodukte zu betrachten und anzueignen pflegt. Die Theoretischen Objekte erweitern, erhellen und intensivieren die aneignende Betrachtung. Erhellend machen sie den Betrachtern deutlich, daß jedermann Kunstwerke wie Kultbilder verehren oder als kraftspendende Amulette und Talismane verwenden möchte. Viele Zeitgenossen gehen mit Kunstwerken wie mit Souvenirs um, die sie auf ihren erlebnistouristischen Touren durch die Welt der Künstler, Galeristen und Festivals kennengelernt haben. Gegenüber der autonom gedachten Kunst sind solche Umgangsformen einigermaßen oberflächlich, spielerisches Ersatzhandeln zur Entlastung und Verdrängung des ungeheuerlichen Autonomieanspruchs der Kunstwerke.

Die Verwendung von Theoretischen Objekten der Museumsshops erlaubt gerade diese Praktiken; sie ermöglichen, auf Distanz zur eigenen Kunstgläubigkeit zu gehen, ohne die Orientierung auf die Kunstwerke zu verlieren. Das erreicht man am besten durch Witz und Ironie, weswegen gerade die interessanten Theoretischen Objekte den Kick von Gadgets (ernstzunehmenden Kinkerlitzchen), Fakes (offen demonstrierten Fälschungen) oder anderen schrägen Dadaesken herausstellen. Wer die Entwicklung der Museumsshops mit hochgezogenen Augenbrauen beäugt, sei an seinen kulturkritischen Verdacht erinnert, daß man originäre Kunstwerke der Up-to-date-Künstler kaum noch von Shop-Angeboten unterscheiden könne. Künstlerwerke werden selber zu Theoretischen Objekten und zu Souvenirs des Kulturbetriebs.

Das muß kein Manko sein. Schon einmal tat die gemalte Madonna ihre wahren Wunder durch Malereien und Skulpturen erst, als man die Kultobjekte aus den Kirchen in die Museen verlagerte. Dort wurden sie zu Warenwundern, sagt Lucius Burckhardt. In der unmittelbaren Nachbarschaft von Kirche und Museum zu Köln erlebt man dieses Wunder. Im Dom dröhnen die Touristenhorden; im benachbarten Museum beten die kunstgläubigen Atheisten Tafelbilder an. Das aufgeklärte Weltkind sitzt in der Mitten: im Museumsshop. Dort läßt es sich von unprätentiösen Theoretischen Objekten, diesen unverzichtbaren Nichtigkeiten tiefsinnig erheitern und animierend belehren.

Quelle: Bazon Brock: SPIELSACHEN AUS DEM NETZ DER FISCHERIN. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Magazin, 15.03.1996, S. 58. 

Besucherschule in der Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Besucherschule in der Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Ausstellungsinstallation "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Ausstellungsinstallation "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Besucherschule in der Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Besucherschule in der Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Besucherschule in der Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Besucherschule in der Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Besucherschule in der Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Besucherschule in der Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Spielzeugsammlung aus der Vorbereitung zur Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Zeitgeist und Spaß.
Spielzeugsammlung aus der Vorbereitung zur Ausstellung "Wa(h)re Kunst", Bild: Zeitgeist und Spaß.
Ausstellungsinstallation "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Ausstellungsinstallation "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Ausstellungsinstallation "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Ausstellungsinstallation "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Ausstellungsinstallation "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.
Ausstellungsinstallation "Wa(h)re Kunst", Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin 1996.

siehe auch:

  • Wa(h)re Kunst. Der Museumsshop als Wunderkammer

    Wa(h)re Kunst

    Buch · Erschienen: 1996 · Autor: Brock, Bazon | Fliedl, Gottfried | Giersch, Ulrich | Sturm, Martin | Zendron, Rainer

  • Ausstellung

    „Wa(h)re Kunst“

    Ausstellung