Zeitung Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Erschienen
20.04.2014

Erscheinungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Issue
Nr. 16/2014

Seite 8 im Original

Interview: „Die Wahrheit ist eine schmutzige Menschenfalle“

Der Kunsttheoretiker Bazon Brock sagt: Der Westen ist nicht der Sieger der Geschichte, und der Machtpolitiker Putin hat das begriffen

Herr Brock, es soll heute um Wahrheit und Lüge gehen. Beginnen wir mit einem Thema, das für Sie als Kunsttheoretiker von Interesse sein wird: Sebastian Edathy. Der hat seine Bestellungen von Bildern nackter Jungen mit seinem angeblichen kunsthistorischen Interesse erklärt. Halten Sie das für eine glatte Lüge?

Behauptungen dieser Art sind nie gelogen, sondern Rationalisierungen, das heißt, wir versehen unsere Handlungen nachträglich mit Gründen.

Aber die müssen doch plausibel sein.

Bei Edathy scheitert es tatsächlich an der mangelnden Evidenz. Er schneidet sich mit seinem nachgeschobenen Motiv auch ins eigene Fleisch, denn gerade in der antiken Kunst wurden Jünglinge rein pornografisch dargestellt. Die Alten haben damals entdeckt, dass alle Bildwirkung pornografisch ist, weil sie darauf hinausläuft, einen bestimmten Impuls zu vermitteln. Also: „Du sollst kaufen!“ oder: „Du sollst begehren!“ Aus dem Wahrnehmen des Bildes wird eine Handlung initiiert. Dass Edathy diesen Zusammenhang nicht kennt, zeigt, dass er von der ästhetischen Bildwirkung keine Ahnung hat, sich also auch nicht dafür interessieren kann.

Zweiter Fall: die Krise in der Ukraine. Es scheint, dass da zwei völlig verschiedene Konzepte von Wahrheit aufeinandertreffen.

Überhaupt nicht. Putin handelt völlig rational, und zwar in unserem Sinne. Es ist erstaunlich, wie er den Westen mit dessen eigenen Argumenten auskontert. Der Westen wurde auf diese Weise unglaublich blamiert.

Warum?

Weil er kein Verständnis für den Begriff des Politischen hat.

Was ist denn das Politische?

Es geht dabei nicht um Definitionen, sondern um das, was der Fall ist, also um Macht. Für den Westen heißt das: Man kann sich nicht gegen etwas wehren, was man selber zur nachträglichen Rationalisierung des eigenen Verhaltens ständig anwendet. Putin hat kapiert, dass er sich genau der Verfahren bedienen muss, die ihm der Westen vorgibt.

Was meinen Sie damit? Der Westen hat ihm schließlich nicht vorgegeben, die Krim zu annektieren.

Um dem Vorwurf zu entgehen, er sei ein Diktator, befleißigt er sich westlicher Argumente: demokratische Legitimation, Wiedervereinigung, Selbstbestimmungsrecht. Das Zynische daran ist, dass wir durch Putin erkennen, wie völlig haltlos das ist, was wir hier treiben. Er hätte das alles doch nicht tun können, wenn nicht die EU mit geradezu zuhälterhaftem Getue versucht hätte, die Ukraine in ihr Bett zu ziehen.

Viele in der Ukraine wollen ins Bett der EU, und viele haben Angst vor Putin, weil er eine Machtpolitik betreibt, die man zumindest im Westen für überwunden hielt.

Nicht, wer Macht ausüben will, ist eine Gefahr für die Menschheit, sondern wer sie nicht ausüben will, zumal dann, wenn das betrügerisch kaschiert wird mit Ideologien, Frömmigkeiten oder, was das gleiche ist, mit der Wahrheit. Das Ziel aller Politik muss es sein, niemandem zu erlauben, für sich den Besitz der Wahrheit zu reklamieren. Die Wahrheit ist eine schmutzige Menschenfalle, und Politik ist die Instanz, die die Wahrheit zu zähmen hat. Die Fanatiker à la Platon, die nur der Wahrheit und nichts als dieser verpflichtet zu sein glauben, legitimieren Mord und Totschlag im Namen der Wahrheit.

Wollen Sie ernsthaft behaupten, dass es Putin um die Kritik an einem Totalitarismus der Wahrheit geht?

Natürlich, Putin ist ein Kritiker der Wahrheit. Die Wahrheit, die er kritisiert, lautet: Wir im Westen sind die Sieger der Geschichte, und die anderen glauben noch an Gespenster. Die Überlegenheit von Putins Position besteht darin, dass er nicht politisch korrekt agiert, sondern Machtpolitik betreibt. Machtpolitik heißt: Verantwortung für die großen politischen und historischen Dimensionen zu übernehmen und das Hantieren mit Begriffen wie Völkerrecht, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie als das zu erweisen, was es ist. Nämlich: Rationalisierung oder Ideologie oder – das wäre das Beste – Utopie. Utopien bieten die Argumente für die Kritik an der unmenschlichen Wahrheit. Sie sind ein Reservoir von prinzipiell nicht erfüllbaren Wünschen, das uns davor bewahren soll, zu glauben, dass wir uns je genügen könnten. Es gibt immer ein Mehr, immer ein Größer.

Sie reden doch einem kompletten Relativismus das Wort. Wahrscheinlich würden sie selbst noch Kim Jong-un dafür geeignet finden, dem Westen seine Grenzen aufzuzeigen.

Gerade der demonstriert ja, in welchen Wahnsinn man gerät, wenn man sich im Besitz der Wahrheit wähnt. Im Übrigen fröne ich nicht einem Relativismus. Denn relativ heißt, alles gewinnt seine Bedeutung in Bezug zu etwas anderem. Auch Macht ist nur im Hinblick auf Gegenmacht bestimmbar. Macht braucht Gegenmacht, man nennt das Balance of Power.

Oder Kalter Krieg.

Jedenfalls ist das Gleichgewicht seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr gegeben. Da fing das Globalisierungsaffentheater an, der Siegesrausch des Westens, der ihn keine Grenzen seines Potentials mehr anerkennen ließ. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet die Achtundsechziger zur erfolgreichsten Generation aller Zeiten wurden, weil ihre Gegner alles realisierten, was sie erwartet hatten: den Geltungsanspruch der USA weltweit ganz erheblich zu reduzieren; die Ohnmacht der Macht und die Macht der Ohnmacht zu demonstrieren; die westlichen Ideologien zu desavouieren et cetera et cetera. Die Bürgerrechte werden ausgesetzt, um sie angeblich zu retten. Die Landschaft wird durch Energiemaschinen vernichtet, um die Landschaft angeblich durch nachhaltige Energiegewinnung zu bewahren. In diesem Wahnsinn der Begriffsjongliererei ist der Westen ohnmächtig geworden und hat seinen Siegerinfantilismus so weit getrieben, diesen sogenannten Verzicht auf Macht als humanitäre Tugend auszugeben.

Sie nennen es Ohnmacht, andere loben es als militärische Zurückhaltung. Was sollten Amerika und die Nato Ihrer Meinung nach in der Ukraine-Krise tun? Einmarschieren?

Den Mund halten, weil doch sowieso alle nur ihren Vorteil suchen, also mit den Russen handeln auf Teufel komm raus. Nie hat sich irgendein Händler geschert um die Menschenrechtsverletzungen in China, Afrika oder sonstwo. Den Leuten das einzureden, sabotiert hier den letzten Rest an Verbindlichkeit.

Der Westen hat aus Ihrer Sicht also kein Deut mehr Recht, sich im Besitz der Wahrheit zu glauben, als etwa Russland?

Verstehen Sie doch: Die Wahrheit ist das Synonym für Irrsinn. Das ist die Erfahrung aller Zeiten. Wer sich im Besitz der Wahrheit glaubt, ist ein psychopathischer Fall. Der Westen hantiert ausschließlich mit psychopathischen Wertigkeiten. Er soll sich mit den Fakten beschäftigen! Und wenn man etwa die Maastricht-Verträge aus Opportunitätsgründen bricht oder Grundprinzipien des Rechtsstaats per Gesetz liquidiert, wie das 2012 mit dem Gesetz zur Sicherung der Leistungsfähigkeit von Versicherungen geschehen ist, dann soll man das als politisch gewollt darstellen, sich aber nicht beschweren, wenn andere in ähnlicher Weise handeln. Ganz sicher sind die Rechtsbrüche à la EZB-Bankenrettung für erheblich mehr Menschen von Bedeutung als die Lage auf der Krim.

Sie haben gesagt, Macht gebe es nur in Bezug auf eine Gegenmacht. Das bedeutet doch, dass es Lüge auch nur in Bezug auf die Wahrheit gibt, dass also der, der lügt, die Wahrheit kennen muss. Mithin muss es die Wahrheit doch geben. Oder etwa nicht?

Die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge ist eine Denknotwendigkeit, mit der aber nicht festgelegt ist, was im einzelnen wahr ist oder nicht.

Die Gegenmacht kann doch auch in der Geschichte liegen, Stichwort „Drittes Reich“. Was ist so falsch daran, wenn wir endlich gelernt haben, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie unserem Wohlergehen zuträglich sind?

Zuträglich ist der Streit, griechisch „Polemik“, über diese Fragen, aber nicht die Behauptung, eine Partei könne den Streit für sich entscheiden. Was haben Sie von der Rechtsstaatlichkeit, wenn Verfahren zehn Jahre und länger dauern? Wo bleibt der Rechtsstaat, wenn Rechtsanwälte irrsinnig hohe Honorare dafür bekommen, einem Klienten überhaupt den Zugang zur Rechtsprechung zu ermöglichen? Und wo bleibt der Rechtsstaat, wenn Dutzende von Rechtsanwälten einen streitbaren Sachverhalt so umfassend darstellen, dass kein Richtergenie die Sachlage tatsächlich vollständig beherrschen kann?

Ein Beispiel, bitte.

Nehmen Sie den Hoeneß-Prozess. Ein ganz toller Fall von Rechtsstaatlichkeit. Ein kurzer Prozess trotz kurzfristiger Veränderung der Sachlage verhindert gerade die Klärung dessen, was er zu klären gehabt hätte, nämlich: Woher kam das ganze Spielgeld? Offensichtlich hält selbst die Kanzlerin es für eine rühmliche Ausnahme, dass Herr Hoeneß dem Urteil zu entsprechen gedenkt. Sie ließ hochoffiziell ihren Respekt verkünden. Was heißt da Anerkennung des Rechts durch die Macht?

Wenn Sie dergleichen in Russland äußern würden, könnten Sie Probleme bekommen.

Ich sehe da keinen großen Unterschied zu entsprechenden Rationalisierungen am Hof Putins. Ihr Argument gibt mir ja gerade Recht. Vor noch nicht langer Zeit hieß es, wenn es Ihnen hier nicht passt, gehen Sie doch rüber.

Hobbes hat gesagt, die Macht und nicht die Wahrheit schafft das Gesetz. Das müsste Ihrem Begriff von machtpolitischem Realismus ziemlich nahe kommen.

Der Unterschied zwischen einer Mafiabande und einer Regierung besteht nur darin, dass das Treiben der einen als legal und das der anderen als illegal gilt. Das hat schon Max Weber gesagt. Die Weltgeschichte unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse, Wahrheit und Lüge, Demokratie und gelenkter Demokratie, Recht und Willkür, sondern zwischen Legalität und Illegalität. Das heißt: Es gibt Menschen, die töten andere oder lassen sie töten, ohne sich vor Gericht dafür verantworten zu müssen (amerikanischer Präsident werden die zum Beispiel genannt). Historisch gesprochen, aber dennoch völlig unsinnig, schützt der „Führer“ das Recht, weil er sein Handeln als legales von dem illegalen Handeln anderer unterscheidet, indem er das gleiche Handeln anderer als illegal bezeichnet. Eine schöne rechtsstaatliche Bescherung.

Max Weber sagt auch: Der Staat habe das Monopol auf legitime Gewaltsamkeit. Ist nicht das der entscheidende Unterschied?

Nur unter der Voraussetzung, dass er sich selbst dieser Regel unterwirft. Gewalt auszuüben als Repräsentant des Staates muss eben auch parlamentarisch kontrolliert werden, also durch die Gegenmacht.

Hatte Jean-Claude Juncker Recht, als er sagte, es gebe Situationen, in denen es notwendig ist, dass man das Volk belügt?

Da hat er sich zum ersten Mal als Politiker erwiesen. So wie Wehner oder Strauß, die großen Aufklärer. Wenn Strauß etwas sagte, wussten alle, ihn selbst eingeschlossen, dass man auf der Hut sein muss. Strauß machte den Leuten klar, mit dem Urteil über mich werdet ihr nicht so schnell fertig, da ihr jederzeit damit rechnen müsst, dass ich aus machtpolitischem Kalkül zu lügen gezwungen bin. Das ist eine aufgeklärte Haltung, weil er ganz offen zu verstehen gab, dass Wahrheit und Lüge in der Politik nur im außermoralischen Sinne gelten. Das ist machtpolitischer Realismus. Die Politiker in der EU haben sich offensichtlich durch moralische Selbstglorifizierung verdummt.

Sind sie dümmer als Putin?

Man hoffte immer, sie seien auch nur Gauner. Aber inzwischen glaube ich das nicht mehr, sondern ich glaube, sie sind wirklich dümmer, eingeschläfert worden durch die eigene Suggestion, der Westen habe den Endsieg errungen.

Halten Sie Putin dann für einen Gauner?

Es entspricht dem natürlichen Verständnis von überlegener Intelligenz, dass sich die Handelnden wie etwa Rechtsanwälte oder Fußballer bei ihren „Fouls“ nicht erwischen lassen.

Merkel und Steinbrück können, wenn man Ihnen folgt, nicht dumm sein. Die haben den Bürgern auf dem Höhepunkt der Bankenkrise versichert, Eure Sparguthaben sind sicher. Das war eine Lüge, die dadurch, dass sie geglaubt wurde, in den Rang der Wahrheit aufstieg.

Theologisch ist das die pia fraus, die fromme Lüge, die segensreich eingesetzt werden kann. Das muss auch der Arzt gegenüber dem Todkranken tun. Generell gilt: Was immer man für wahr hält, wird durch die Konsequenzen des Dafürhaltens wahr, wahr im Sinne von wirklich. Gespenster gibt es nicht, wer aber an sie glaubt und deshalb sein Haus verrammelt, schafft damit eine wirkliche Gegebenheit. Andererseits, liebe Frau Merkel, liebe Börsianer, liebe Psychologen: Zu wissen, nur der Glaube hält uns, pflanzt bereits den Zweifel an der Verbindlichkeit des Glaubens.

Auf die Politik bezogen heißt das doch, der Politiker muss manchmal lügen, darf es aber nicht zu erkennen geben. Das widerspricht dem, was Sie vorher über Strauß sagten.

Der Richter, der seine Vorurteile kennt und seine Konflikte benennt, ist vertrauenswürdig. Der Richter, der Arzt, der Politiker, der behauptet, er folge nur dem Gesetz, er habe gerade keine Vorurteile, ist nur ein unaufgeklärter Dummkopf.

Carl Schmitt hat gesagt: Wer Menschheit sagt, will betrügen. Würden Sie sagen, wer Wahrheit sagt, will betrügen?

Das wäre schön. Es muss aber heißen: Wer betrügen will, sagt die Wahrheit.

Das sind doch philosophische Taschenspielertricks, die Sie da vorführen.

Das war auch der Einwand von Platon gegen die Sophisten.

Er hat ihnen vorgeworfen, für Geld jede schwächere Sache zur stärkeren zu machen, kraft ihrer argumentativen Fähigkeiten.

Wenn es Argumente sind, dann muss man sie ja gerade anerkennen. Nein, diese platonischen Wahrheitsfanatiker sind schlicht Erpresser gewesen, die die Überlegenheit derer zurückweisen wollten, die etwas „um zu“ taten – um das Leben zu verbessern, um die Lebensanstrengungen zu verringern oder Verträglichkeit zu fördern. Aber das wollten die anderen eben nicht wissen. Die Wahrheit sollte bedingungslos sein. Nicht umsonst hat Platon die Künstler, deren wichtigste Aufgabe es ist, die Wahrheit zu kritisieren, aus seinem „Staat“ rausgeschmissen.

Kennt man doch von Putin.

Eben damit zeigt er aber, dass es um die Macht geht und nicht um die Wahrheit.

Es gibt seit Längerem Forderungen nach einer neuen europäischen Erzählung.

Es gab ja mal eine große europäische Erzählung. Eben Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit et cetera. Aber das wurde ja von uns selbst sabotiert: Rechtsstaatlichkeit durch kollektiven Rechtsbruch, Sozialstaatlichkeit durch Globalisierung. Globalisierung heißt: Als lupenreine Demokraten dürfen und wollen wir gar nicht versuchen, weltweit unsere Standards durchzusetzen, also geben wir sie gleich auf. Wenn man das den Leuten sagt, dann sind sie immer noch erstaunt. Früher waren sie bass erstaunt, wenn man ihnen Märchen erzählte, heute sind die Tatsachen das Sensationellste. Da erzählt Frau Göring-Eckardt von den Grünen, wir müssten aber bei den Stromtrassen strikt darauf achten, dass durch sie die Landschaft nicht zerstört wird. Eine tolle Logik! Leute wie sie lieferten durch die totalitäre Etablierung der Windräder doch Gründe dafür, warum eben die Zerstörung der Landschaft nicht zerstört werden dürfe – und die ganze subventionierte Gewinnmacherei wird auch noch als Triumph des freien Marktes gefeiert. Wo ist denn da die Marktwirtschaft? Das ist doch alles gar nicht „wahr“. Und Herr Putin macht uns das jetzt alles klar. Gott sei dank gibt es wieder jemanden, der dem Westen in seiner selbstüberhöhenden Ideologie gewachsen ist!

Die Energiewende ist eben ein komplexes Problem.

So ist es. Und die Politiker müssen den Leuten endlich wieder sagen, am Ende werden die Probleme viel größer sein als jetzt. Denn wir haben keine Problemlösungskompetenz, sondern nur Problemschaffungskompetenz. Alles andere ist angemaßt. Unter Menschen wurden Probleme bisher nur gelöst durch die Schaffung neuer Probleme.

Dann können wir den Fortschritt doch gleich vergessen.

Fortschritt besteht gerade darin, unsere Gegenkräfte für das Weiterkommen zu nutzen. Das lehrt die Seefahrt: Kreuzen gegen den Wind, das ist Fortschritt – gegenüber dem bloßen Sich-vom-Wind-treiben-Lassen.

Laut Lévi-Strauss wurde die Liebe zur Wahrheit durch das Know-how ersetzt.

Leider ist auf das Know-how auch kein Verlass, weil es sich ständig ändert. Die Welt kann unserem Know-how nicht unterworfen werden, denn als wirklich haben wir zu akzeptieren, was sich unserem Willen nicht beugt. Alles andere ist Psychopathologie. Das Wirkliche ist die Gegenmacht, die unserem Belieben Grenzen setzt, also auch dem Know-how. Ein staunenswerterweise verschwundenes Flugzeug ist eine Sensation, weil die Zeitgenossen es nicht mehr aushalten wollen, solche Zumutungen als Einspruch der Wirklichkeit zu akzeptieren. Da tun sich Abgründe auf, die man gern mit Know-how planieren würde. Aber die Welt ist voller schwarzer Löcher, und zwar nicht nur im buchstäblichen Sinne. Wenn Sie in Ihr Büro zurückgehen, sollten Sie bedenken, wie unwahrscheinlich glückhaft es ist, da auch wirklich anzukommen. Alter Spruch: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.

Das Gespräch mit Bazon Brock führte Timo Frasch.

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