Magazin KUNSTZEITUNG

documenta (13)

KUNSTZEITUNG, Bild: Nr. 190 (6/2012).
KUNSTZEITUNG, Bild: Nr. 190 (6/2012).

Erschienen
01.06.2012

Verlag
Lindinger und Schmid

Erscheinungsort
Berlin, Deutschland

Issue
Nr. 190 (6/2013)

Seite 8 im Original

Ein Hoch den Mut- und Meisterbürgern

Bazon Brock über seine documenta-Besucherschule, die ein Gleichgewicht zwischen Produzenten und Konsumenten bewirken sollte

Wer eine Ausstellung von Kunstwerken würdigen soll, muss logischerweise wissen, welche Werke nicht für die Präsentation ausgewählt wurden. Jede anspruchsvolle Zurschaustellung müsste füglich in zwei Ausführungen geboten werden: zum einen als Zeigen der zu zeigenden Werke, zum anderen als Zeigen der nicht zu zeigenden Werke.

Von 1968 bis 1992, also von der documenta 4 bis zur documenta 9 habe ich versucht, den Geldgebern der documenta-Projekte im Bund, im Land Hessen und der Stadt Kassel einen zweifachen Etat abzuringen. Das stieß erwartungsgemäß nicht nur auf ökonomische Grenzen, sondern vor allem auf theoretische Bedenken der wohlgesinnten documenta-Träger. Ihnen war nicht zu vermitteln, worin wohl der Unterschied erkennbar werde zwischen einer Ausstellung des gewollt zu Zeigenden und der Ausstellung jener Werke, die die Kuratoren nach reiflicher Überlegung gerade nicht zu zeigen beabsichtigten.

Nun begab es sich aber zu jener Zeit, dass ein befreundeter Professor, ein Mitglied von Adornos sagenhaftem Institut für Sozialforschung, erheblichen Einfluss auf die Entscheidung der Landesregierung erlangte. Herr von Friedburg entschied, dass man dem Brockschen Ansinnen auf Finanzierung von jeweils zwei Ausführungen der documenta nicht nachkommen könne, ihm aber die beantragten Mittel zur alternativen Lösung des Grundproblems zugestehen sollte; Mittel zur Einrichtung von Besucherschulen, die (im Modellformat wenigstens) in der realen documenta alle jene Werke vergegenwärtigen sollte, die nach Urteil der Kuratoren gerade nicht für die „bedeutendste Kunstausstellung der westlichen Hemisphäre“ ausgewählt worden seien, deren Kenntnis aber unabdingbar sei, um die Entscheidungen der Kuratoren würdigen zu können.

So kam die institutionalisierte Besucherschule in die Weltstadt Kassel, wo man sie seit 1992 nicht mehr zu würdigen weiß und es bei Museumspädagogik belässt! 1968 und mit dem Aufklärer- und Weltverbesserungspathos der 68er richtete ich von Frankfurt aus diverse Bürgerschulen ein. Sie galten dem Ziel, möglichst ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen Produzenten und Konsumenten zu erreichen. Denn es war längst klar geworden, dass dem kapitalistischen Rausch, immer mehr Produkte in die Welt zu setzen, ein konsumkritischer entsprechen muss, das Zeug durch Verbrauchen, Verstoffwechseln und Vermüllen wieder aus der Welt zu bringen. Wie Archäologen zu Müllwissenschaftlern der Antiken Welt aufstiegen, sollten Profikonsumenten dafür sorgen, dass in Zukunft wenigstens noch die intelligenten Strategien der Müllentsorgung von unserer Zeit Zeugnis geben könnten.

Die Besucherschulen sollten dazu beitragen, ein Gleichgewicht der Kräfte von Produzenten und Rezipienten herzustellen, um wenigstens den Künstlern halbwegs das Wasser reichen zu können. Wir bilden seit 200 Jahren Künstler zu Profis aus. Aber in keiner Kunsthochschule gab es Angebote, mit denen sich die Adressaten der Künstler, also das Publikum, entsprechend bilden konnten. Dahinter steckt eine arrogante Missachtung der Leistungen von Künstlern im Vergleich zu der von Ingenieuren, Ökonomen und Politikern. Denn man hielt es offensichtlich für möglich, dass jedermann in wenigen Stunden Rezeption die hochzielenden Arbeitsresultate von Künstlern zur Kenntnis nehmenn könne. Was durchaus reiche, weil die Ergebnisse der Künstlerei ohnehin bestenfalls zweitrangig seien!

Profirezipienten sind in der Lage, die Sinnhaftigkeit künstlerischer Arbeit durch angemessene Anstrengung zu garantieren, wenn sie auch immer noch hinter der Arbeitszeit von Künstlern zurückbleiben wird.

Anhand dieser Mitarbeit unterscheiden wir Besucherschulen von Museumspädagogik herkömmlicher, aber durchaus verdienstvoller Art der Belehrungen. Der Profirezipient ist den Künstlern unabdingbarer Adressat ihrer Arbeit; denn Werkgeltung ist nun mal von entsprechender Wahrnehmung abhängig. Künstler und Kuratoren, die diese Kooperation von Künstlern und Publikum anstreben, halten das Niveau. Der große Rest sinkt ab auf globale Marktmachenschaften, für die Unkenntnisse die besseren Voraussetzungen bilden.

Aber Hoffnung bleibt, solcher Verwurstung von Intelligenz mit Mutbürgern entgegenzutreten, denen die brutale Ökonomisierung von Recht, Wissenschaft, Kunst, von Liebe, Vertrauen und Verbindlichkeit unerträglich geworden sein werden. Dazu berufen wir die Meisterbürger mit der Professionalisierung zu Beauftragten des Volkes für die Bestärkung der Hoffnung, dass Aufklärung dennoch gelingt.

Besucherschule documenta 4, Bild: Kassel 1968, Foto: Hans Puttnies.
Besucherschule documenta 4, Bild: Kassel 1968, Foto: Hans Puttnies.