Buch Kunst, Design & Co.

Von der Kunstgewerbeschule Barmen/Elberfeld - Meisterschule - Werkkunstschule Wuppertal zum Fachbereich 5 der Bergischen Universität Gesamthochschule Wuppertal. 1894-1994. Festschrift zum 100jährigen Jubiläum Wuppertal 1994

Kunst, Design & Co., Bild: Wuppertal: Müller und Busmann, 1994..
Kunst, Design & Co., Bild: Wuppertal: Müller und Busmann, 1994..

Erschienen
01.01.1994

Herausgeber
Der Dekan des Fachbereichs 5 der Bergischen Universität Gesamthochschule Wuppertal

Verlag
Müller + Busmann GmbH & Co. KG

Erscheinungsort
Wuppertal, Deutschland

ISBN
3-928766-10-4

Seite 253 im Original

Beschreibung des Faches Ästhetik

Ästhetik wird als wissenschaftliches Ergänzungsfach für alle Studiengänge des Fachbereichs angeboten. Für alle menschliche Kommunikation stellt sich gleichermaßen die Frage, wie intrapsychische Bewußtseinsprozesse (Wahrnehmung, Denken, Vorstellung und Fühlen) in der sozialen Kommunikation zur Geltung gebracht werden. Die Koppelung von Bewußtsein und Kommunikation verläuft über Wort, Bild und Körpersprache, kurz über Zeichengebrauch. Werden Bewußtseinsproduktionen sprachlich nicht vergegenständlicht oder verkörpert, kann Kommunikation nicht stattfinden. Finden Formen der sozialen Kommunikation nicht zur Versprachlichung, dann können sie nicht auf Bewußtseinsleistungen rekurrieren, nicht einmal auf Wahrnehmung, denn Kommunikation ist kein Austausch und keine Übertragung irgendwelcher Informationen im Rahmen von Mitteilungen, sondern besteht in einem parallelen Prozessieren der individuellen Bewußtseine im Medium der Sprache, im Hervorbringen und Umgehen mit Zeichen. Deswegen beschäftigen sich Ästhetiker mit Zeichentheorien (der Semiotik wie sie von de Saussure begründet wurden), mit Medientheorien (etabliert von Teige, Balacz und Eisenstein), mit Wahrnehmungstheorien (vornehmlich der Gestalt- und der Sozialpsychologie wie sie von Köhler/Koffka, respektive Brunner etabliert wurden), mit den Theorien des menschlichen Einbildungsvermögens (wie sie von Kant inauguriert wurden), mit der Biologie der Erkenntnis, d. h. der naturevolutionären Ausrüstung unseres psychischen Apparates mit spezifischem Leistungsvermögen als Kategorien der Anschauung und des Denkens (repräsentiert von Verhaltensforschern in der Lorenznachfolge); und mit der Neurophysiologie, den Theorien der Neuroästhetik, die das Zusammenspiel der neokortikalen Leistungszentren bei allen intrapsychischen Prozessen zu klären hoffen (begründet durch Sperry).

Die neuere Geschichte des Fachs Ästhetik beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts, als Baumgarten und Meyer systematisch der Frage nachgingen, auf welche Weise unseren Wahrnehmungen immer schon Erkenntnisleistungen zukommen, die nicht aus der Erfahrung der Individuen ableitbar sind. Kant radikalisierte diese Fragestellung, indem er untersuchte, in welcher Weise sich unser intrapsychisches Vermögen überhaupt auf die Außenwelt beziehen kann. Kant definierte unter diesem Vermögen ein spezifisch ästhetisches – die Einbildungs- und Geschmacksurteilskraft – und bestimmte das Verhältnis von Ästhetik, Ethik und Epistemologie, von Anschaulichkeit, Begrifflichkeit und Moralität auf eine bis heute grundlegende Weise.

Durch die Hegelsche Ästhetik wurden Baumgartens und Kants Systematiken in universal- und geistesgeschichtliche Entwicklungen eingepaßt, um zu erklären, warum sich das seit vielen tausend Jahren manifeste, menschlich psychische Vermögen historisch so unterschiedlich ausgeprägt hat. Schiller versucht in seiner Ästhetik herauszustellen, mit welchen Formen des Lernens, mit welchen Pädagogiken das systematisch darstellbare und historisch unterschiedlich manifeste Weltverhältnis der Menschen intensiviert werden kann, um dem historischen Menschen die volle Verfügung über seine Potentiale (die Freiheit) zu ermöglichen. Friedrich Schlegel und Nietzsche verwiesen auf die Freiheit des Menschen, lügen zu können, bewußt disfunktional zu kommunizieren, das zerstörerisch Böse zu wollen und die Einsicht in die Bedingtheit unserer Bewußtseinsoperationen in kontrafaktischem Mutwillen außer Kraft zu setzen. Im Spektrum solcher Überlegungen wurden Ästhetiken des Häßlichen und Schrecklichen, der schöpferischen Zerstörung und des erhellenden Wahnsinns, der brutalen Verkitschung und des nihilistischen Heroismus formuliert. Unter den Objektbereichen der Ästhetiken sind die Alltagswelt (Simmel), die Welt der Kranken (Lange-Eichbaum), die Manifestation der Künste (Panofsky), der Kunsterziehung (Lichtwark), der Bildwelt der Werbung, Heraldik und Religionsemblematik (Warburg) ausgezeichnet.

Die besondere Orientierung der Ästhetiken auf die Künste, vor allem die Malerei, Musik und Architektur, verdankt sich historisch einem verbreiteten Mißverständnis – nämlich der Annahme, die Ästhetiker beschäftigten sich ebenso wie die Künstler vorrangig, ja fast ausschließlich mit der Frage nach dem Schönen. Das Schöne ist aber nur eine relativ unerhebliche Ausprägung eines epochen- und kulturspezifischen Verhältnisses von Bewußtsein und Sprache, von Gedanken und Vorstellungen zu Wort- und Bildgestalt, respektive von Inhalt und Form, Idee und Realisation, Gedanke und Tat, von Wesen und Erscheinung (so etwa wurde jeweils Schönheit gefaßt).

Wenn für die Kommunikation entscheidend ist, daß zu Bewußtseinsprozessen sprachliche Analogien gebildet werden, dann sind die zahllosen Möglichkeiten, sich bei Texten oder Bildern etwas zu denken oder vorzustellen und umgekehrt, bewußte Wahrnehmungen und abstrakte Gedanken zur Sprache zu bringen, nicht auf solche Relationen zu beschränken, die man jeweils schön nannte oder nennt. Eine Kommunikation, die nur über "schön" genannte Relationen von Bewußtsein und Sprache liefe, wäre so reduziert wie die Wahrnehmung des Wetters, wenn man als Wetter nur die postkartenamtliche Touristenvision zuließe. Der Sache nach ist aber das Verhältnis von Ästhetik und Künsten besonders hervorzuheben, weil man von Künstlern erwarten kann, daß sie mit speziellen Fähigkeiten, Erfahrungen und Problembewußtsein die Koppelung von Texten, Bildern, Kompositionen, räumlicher Gestaltung an psychische Prozesse erarbeiten, d. h. wir können davon ausgehen, daß Kunstwerke gegenüber Wissenschaft- und Alltagssprache in ausgezeichneter Weise Probleme der sprachlichen Vermittlung von Bewußtsein und Kommunikation erkennbar werden lassen.

Der Grundkanon meiner ästhetischen Lehrangebote umfaßt aus den Objektbereichen die Alltagsästhetik (inkl. ihrer Medien), die Ästhetik der Künste, die Bildwelt der Werbung, Heraldik und Religionsemblematik sowie ihre historischen Manifestationen als Bilderkriege. Im Theoriespektrum orientiere ich mich seit Mitte der 70er Jahre stark neuroästhetisch und an den Wahrnehmungs- und Sozialpsychologien. Für die erkenntnistheoretischen und verfahrensmethodischen Begründungen meiner Lehrangebote berufe ich mich auf den phänomenologischen Distinktionismus (etwa wie Bourdieu), den Präsentismus/experimentelle Geschichtsschreibung (etwa wie Mc Arthur Drestler) und die radikalisierende Investigation (Action Teaching in affirmativen Strategien).