Vortrag / Rede Stommelner Psalter
Ausstellung von Christoph Keller / Bureau Mirko Borsche in der Synagoge Stommeln vom 16.06. bis 15.09.2013
Ort:
Scheune Schall
Hauptstr. (hinter Haus Nr. 85)
50259 Pulheim-Stommeln
Rezension:
aus Kölner Stadtanzeiger, 23.Juli 2013:
"Man kann die Welt auch ganz anders sehen"
Er hielt auf Einladung der städtischen Kulturabteilung und der Kölner Kunsthochschule für Medien im Rahmen des Synagogen-Projekts einen Vortrag unter dem Titel "200 Jahre Kunstreligion: Von der Autorität durch Autorschaft zum religiösen Fundamentalismus? Kunst und Kirche heute."
Erstaunlich: Trotz des sperrigen Themas mussten tatsächlich viele zusätzliche Bänke und Stühle herbeigeschleppt werden, um all den Wissbegierigen Platz zu bieten, die an diesem strahlenden Sommersonntag nicht ins Grüne strömten, sondern im Schweiße ihres Angesichts lieber ehrfürchtig lauschend in einer stickigen Scheune verweilen mochten. Bazon Brock, vom Pulheimer Beigeordneten Florian Herpel hocherfreut als "profunder Kenner kulturhistorischer Zusammenhänge" begrüßt, enttäuschte seine Jünger nicht: In labyrinthartigen Verbalkonstruktionen mit ganz vielen Kommas und ganz wenigen Punkten erklärte der 77-jährige Querdenker in freier Rede beispielsweise, weshalb die Begriffe Kunst und Kultur zwar gern als Synonyme verwendet würden, in Wirklichkeit aber krasse Gegensätze seien. Oder er legte dar, was er unter der "normativen Kraft des Kontrafaktischen" und dem von Hegel geprägten Begriff der Kunstreligion versteht. Oder er sang, in die ferne Zukunft und die noch fernere Vergangenheit der Kulturgeschichte verreisend, strophenreiche Loblieder auf die Mathematik und die Theologie, die in seinen Augen "die einzigen Hochformen der Wissenschaft" sind: "Mehr hat die denkende Menschheit nicht zu bieten, und mehr soll sie auch nicht bieten."
Aufrichtiges Beileid sprach Brock den 96 Prozent der heutigen Künstler und Wissenschaftler aus, die vom Erfolg am Markt ausgeschlossen würden und deshalb nur in die Klapsmühle, in den Fundamentalismus oder aber - und dazu riet er - in die Orthodoxie, definiert als "vernünftige Begründung von Ansprüchen gegen andere", flüchten könnten.
Umso schärfer ging er mit dem künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Establishment ins Gericht, das hemmungslos alle Wahrheiten verkaufe, um im Geschäft zu bleiben. Unabhängigkeit und Freiheit von Kunst und Wissenschaft seien in Zeiten, in denen nicht das Wissen, sondern das Geld den alles entscheidenden Machtfaktor bilde, zu puren Fiktionen verkommen.
Man ahnt schon: Ein Bazon Brock macht es seinen Zuhörern nicht leicht.
Der Versuch, seine verschachtelten Gedankengänge voller überraschender Richtungswechsel nachzuvollziehen und seinem wahnwitzigen Argumentationstempo zu folgen, verspricht wenig Erfolg, wenn der Dozent nur einen Atemzug braucht, um von den römischen Konzilien im vierten Jahrhundert zur Reform des Versicherungsgesetzes durch die "Merkel-Bande" anno 2012 zu springen.
Intellektueller Genuss
Und doch war es, wie der lautstarke Schlussapplaus verriet, für viele Zuschauer ein intellektueller Genuss, sich auf das Abenteuer Bazon Brock einzulassen.
Der Mann ist ein Denk- und Redekünstler, der das Publikum fast wie ein Artist in der Manege unwillkürlich in seinen Bann zieht, der es mit Worten und Gedanken nach Belieben fesselt und entfesselt und der auf gnadenlos provozierende, aber auch eigentümlich faszinierende Weise vermittelt, dass man die Welt ganz anders sehen kann, als wir sie nach den Plänen der Herrschenden sehen sollen.
(Autor: von Joachim Röhrig)