Magazin Zifferblatt

IN MEMORIAM PAUL FLORA – Eine Gedenkfeier des PEN-Clubs Liechtenstein

Zifferblatt, Bild: Literarische Schriftenreihe. Heft 34/2012..
Zifferblatt, Bild: Literarische Schriftenreihe. Heft 34/2012..

Literarische Schriftenreihe, die sich als Sprachrohr des PEN-Clubs Liechtenstein versteht: Poetry-Essay-Novel (PEN)

Erschienen
2011

Herausgeber
Manfred Schlapp

Erscheinungsort
Liechtenstein, Liechtenstein

Issue
Nr. 34

Seite 21 im Original

Das ist ja tierisch interessant

Humanismus als Animalismus – Hominisierung vor Humanisierung

Die documenta 13-Chefin CCB gibt vor, sie wolle "ganzheitlich", aber nicht "logozentrisch" die Welt und vor allem sich selbst in ihrem nur beiläufig konstatierbaren Menschsein betrachten; das heißt, sie wolle die Welt vornehmlich mit den Organen der Erdbeeren, der Schmetterlinge und Hunde wahrnehmen, also „nicht anthropozentrisch“.

Was diese famose „Ökofeministin“ (ihr bevorzugter Name für „das Konzept der Konzeptlosigkeit“ oder für „das Leben der leblosen Dinge“) in Anspruch zu nehmen wagt, reklamieren wir auch für uns, respektive für unseren Hund Paxo. Er ist 16,7 Jahre alt, hat sicherlich mehr Künstler gesehen als CCB und besitzt einen ausgezeichneten Riecher für die Unterscheidung von anständigen, redlichen und unanständigen Kuratoren; er kann im Unterschied zur d 13-Chefin tatsächlich von sich sagen, dass er nicht Mensch ist, obwohl er sich in engster Lebensgemeinschaft mit uns durchaus anthropozentrisch verhält! Wir sind seine engsten Bezugspersonen – aber von ihm als seinesgleichen anerkannt: Hunde h.c. Heiter gestimmt nimmt er zur Kenntnis, dass wir ihn als homo canis sapiens („Der Hund“) der Gemeinde gemeldet haben. (Sapiens – er unterscheidet erheblich differenzierter als wir, was er frisst oder unberührt liegen lässt).

Wir, das sind Frau Monika und ich, der ich schon vor der Geburt der anmaßend hündischen d 13-Chefin den Frankfurter Zoochef aufgefordert habe, mich als ein Mitglied seiner Gattergemeinschaften in den Zoo aufzunehmen. Bernhart Gzimek war ein hohes Tier und lehnte meinen Antrag als unbegründet ab. Zu seinen Gunsten nehme ich an, er habe sich gesagt, dass ohnehin im Zoo wie im Theater die sich zeigenden Akteure und die Zuschauer eine Einheit im Rollenwechsel darstellen. Vor allem aber wollte Gzimek wohl zu verstehen geben, dass ich von außerhalb der Gehege die Weltsicht der Tiere besser zu würdigen wüsste, weil es ja auch mehr bringt, als Freier für die Würde der Gefangenen zu kämpfen, anstatt sich selbst in die Gefangenschaft zu begeben.

Immerhin ist 40 Jahre nach meinem offiziellen Antrag, als Schaudenker in den Frankfurter Zoo aufgenommen zu werden (siehe www.bazonbrock.de/werke/detail/?id=54&sectid=459#sect: „Heia Safari“) im Londoner Zoo die Gemeinschaft der Primaten um einen Dauerinsassen menschlicher Gestalt und Verhaltens erweitert worden! Auch wurden von Richtern in Zivilprozessen die Aussagen, „Sie Affe“, „Du Schwein, „Du blöder Hund“, nicht mehr als Beleidigungen sanktioniert, sondern als bloß fälschliche Angaben eines Familiennamens eingestuft! Die evolutionäre Rechtspraxis anerkannte, es gebe nun einmal gerade unter nächsten Verwandten Streitwut, durch welche Distinktionsgrenzen zeitweilig verschoben würden – aber am Ende anerkenne doch jedermann – außer der Documentachefin -, dass Leben nicht von Leben verschieden ist und damit die vermittelte Einheit von tierischen Tieren und menschlichen Tieren bzw. von lebenden Pflanzen und toten täglicher Erfahrung entspreche.

Paxo gibt dem Kundigen jederzeit zu verstehen, dass er es sehr bedauere, mit den Menschen nur kommunizieren zu können, anstatt ihre philosophischen Debatten zu verstehen – aber die Evolution habe nun einmal das Prinzip der Kommunikation ohne Verstehen erfolgreich eingeführt, weil man ja nicht erst leben könne, nachdem man die Bedingungen der Möglichkeit verstanden habe, die es erlauben, in bestimmten Weltsegmenten (Nischen) überleben zu können. Auch ist das Wesen der Kommunikation für alles Lebendige stets das gleiche: Es gilt, Beziehungen aufzubauen, ein Netzwerk von Beziehungen des lebendigen Systems zur Umwelt, das vor allem aus anderen Lebewesen der gleichen Art bestehen wird.
Dabei spielen zwei Fähigkeiten eine entscheidende Rolle: die Empathie und die Antizipation. Empathie meint das Vorausleiden, Antizipation das Vorausreagieren auf noch nicht eingetretenes Geschehen – das heißt, auf die noch nicht sichtbaren Reaktionen der Artgenossen auf meine Initiative. Das will durch trial and error erfahren werden bis es „sitzt“, „Platz“ macht wie Paxo in konzertiertem Lautgeben Einvernehmen mit der heimkehrenden Monika bekundet.

Als Gestor von „Frau und Hund“, also in justiziabler Position dessen, der seit Justinians Zeiten verpflichtet ist, für die zu sprechen, die gerade verhindert sind, ihr wohlverstandenes Interesse wahrzunehmen, erkläre ich ohne Hoffnung auf Verstehen, dass die pathetisch geäußerte Absicht, „ganzheitlich“ aber nicht „logozentrisch“ kuratieren zu wollen, der blanke Nonsens ist, denn „Ganzheitlichkeit“ ist ein „logozentrischer“ Begriff. Von dergleichen Unverständnis zeugen alle programmatischen Statements der Chefin, also auch das Statement, sie wolle die Welt wie eine Erdbeere oder ein Hund sehen, nicht anthropozentrisch vom Menschen her bedacht. Das ist logisch unmöglich und praktisch ein Schmarrn.
Wer sich „hündisch“ zeigt, ist deshalb kein Hund, sondern ein mieser Charakter als Mensch; und wer darauf verzichten will, ein Mensch zu sein, ist rein intellektuell zwar „unter aller Sau“, bleibt aber ein blöder Mensch. Nicht der Verzsicht auf Humanität, also Menschlichkeit, würdigt die Schmetterlinge und Meerschweinchen; vielmehr erfüllt sich der Anspruch auf Humanität in der Fähigkeit, jedes Lebendige als solches zu würdigen und in seinen Rechten anzuerkennen. Das ist seit alters verbürgt: Der Jäger erweist dem Wild den Respekt wie seinesgleichen und bläst ein großes Signal, dass alle Welt höre, er habe seine Schuld bekannt und bitte um Entlastung. Der Essende würdigt jedes Salatblatt, das Stück Fleisch wie das Wasser mit der rituell vorgetragenen Bitte, „dies werde mein Fleisch und mein Blut“, und läutet dazu das Wandlungsglöckchen im Klappern der Bestecke auf dem Porzellan.

Das gilt auch für diejenigen Kulturen, die ihre Mitglieder nicht von Tellern, sondern von Blättern essen lassen; bei Buddhisten oder Hinduisten wird die Humanität als pananimalische Huldigung ans Lebendige mit dem schönen Gedanken, dem schönsten der Menschheitsgeschichte, bestärkt, dass man in jedem Mistkäfer die Wiedergeburt der Documentachefin denken könne und der Schmetterling die beflügelte Seele des geliebten Paxo zu sein verspreche.

In der europäischen Geschichte des Humanismus als Pananimalismus besetzten die edlen Bürger von Glurns eine erstrangige Position: Sie gestanden sogar ihren ärgsten Feinden ziviler Infrastruktur, den Ratten und Mäusen samt Pestbazillen und Flohbissneigung, den Status von Rechtssubjekten zu. Die Glurnser waren so aufgeklärt, also von Täuschungen über die Natur der Menschen jenseits des Tierischen so enttäuscht, dass sie sogar dem Ungeziefer, den Unratverwertern, Vernunft zuerkennen wollten – wie wir heute den Müllmännern der Stadtwerke und uns selbst bei Müllverwertung Vernunft attestieren. Und sie behielten im Vertrauen auf die agonale Disputation sogar Recht, denn die Mächte der Unterwelt zeigten Reue und ließen die Glurnser Stadtbauern in Frieden, also ohne Flohjagd, schlafen bis auf den heutigen Tag.

Einer der aufgewachten Glurnser war Paul Flora. Schon durch seinen Namen auf die Pansophie des Lebendigen verwiesen, arbeitete er lebenslang an der humanen Erkenntnis, vielmehr am menschlichen Eingeständnis, Raben und andere Gesellen ihres Typs böten Einsicht in die grundsätzliche Konstellation von Gesellung und Vereinzelung des Lebendigen. Daraus ergebe sich die Entwicklung von Intelligenz, das heißt Verwertung von Abfall, wie ihn Archäologen und Rabenvögel meisterlich demonstrieren.
Die Documentachefin vermüllt nur die Welt der Künste und Wissenschaften, ohne Intelligenz für deren Verwertung durch Unterscheidungskraft, also durch Programmatik oder durch die Glurnser Kraft zum öffentlichen Gerichtsverfahren über die Übeltäter aus reiner Tugend ihrer Natur.

Wir rufen an die paulinische Flora, die Lilien auf dem Felde;
wir rufen an die Glurnser Stadtgerechten, die herrliche Ordnung des Chaos in den Unterwelten;
wir feiern den Gerechtigkeitssinn all derer, die in Kenntnis ihrer tierischen Natur Humanität praktizieren und das in der Fürsorge für Tier und Pflanze, Erde und Wasser, reiner Luft und der Stille der Abende auf dem Lande zum Ausdruck bringen;
Leben ist von Leben nicht verschieden!