Buch Mediatektur: die Gestaltung medial erweiterter Räume

Mediatektur: die Gestaltung medial erweiterter Räume
Mediatektur: die Gestaltung medial erweiterter Räume

Angaben aus der Verlagsmeldung:

Jede Zeit schafft einen Stil der sich prägend auf Architektur und Raum auswirkt. Heute wird durch die wachsende Bedeutung elektronischer Medien und den Services die das Internet bietet die Grenze zwischen physischen und virtuellen Räumen zunehmend fließender.
Christoph Kronhagel, weltweit anerkannter Fachmann für Medienfassaden und Technik, erfasst dieses Phänomen unter dem Sammelbegriff Mediatektur, einem Zusammenschluss der Worte „Medium“ und „Architektur“.
Sein Buch nähert sich dem neuen Phänomen methodisch, in Form von Bausteinen die grundlegendes Wissen zur mediatektonischen Arbeit, insbesondere für Medienfassaden bietet. Zusammen mit weltweit führenden Spezialisten aus den Bereichen Technik, Städtebau, Computerwissenschaften, Kunst und Marketing erstellte er ein einzigartiges Handbuch, das sich durch die Konzentration auf die Medianfassade vor allem an Architekten und Designer wendet.

Erschienen
2009

Herausgeber
Christoph Kronhagel

Verlag
Springer

Erscheinungsort
Wien, Österreich

Seite 320 im Original

Mimik als Potenzial der Medienfassade

Kronhagel interviewt Bazon Brock

Meine Arbeit ist davon geprägt, dass ich den physisch wahrnehmbaren Raum mit virtuellen Welten vermenge. Diese Vermengung provoziert schnell die Frage, in welchen Räumen wir uns tatsächlich aufhalten. Könnten Sie bitte Ihre Sichtweise bezogen auf das Thema Medienfassade erläutern?

Das spricht im wesentlichen drei Themenfelder an. Der erste Aspekt ist die architecture parlant, also die sprechende Architektur. Sie ist in modernen Zeiten als methodisches Schwächeln abgelehnt worden, bis sie dann in der Postmoderne von Venturi mit dem Buch „Lernen von Las Vegas“ 1964 wiederentdeckt wurde. Die Postmoderne provozierte eine Gestaltung der äußeren Hülle, mit der die Aufmerksamkeit auf das gelenkt wird, was sich in dem Gebäude befindet. So näherte sich die Postmoderne schnell wieder den Standards der Moderne. Denn wenn Mies van der Rohe es als demokratisch dringend empfahl, durch die Transparenz der Ganzglasfassade das Innen mit dem Außen zu verbinden, um damit Allgegenwärtigkeit und Präsenz zu artikulieren, dann war das genau das, was mit der sprechenden Architektur gemeint war. Die Moderne à la Mies wollte mit der sprechenden Architektur vermitteln, in welchem sozialen und politischen Selbstverständnis die Bewohner lebten, eine Glasfassade sollte ja gerade das Verhältnis von privat und öffentlich aufheben.

Also gehört die Medienfassade zur architekturgeschichtlichen Seite der architecture parlant und ist im Grunde nahe an den Vorstellungen von Venturi anzuordnen. Der einzige Unterschied ist, dass mit der Medienfassade viele unterschiedliche Attitüden aufgebaut werden können. Es ist also nicht wie bei der herkömmlichen Bauweise, dass ich ein riesiges Areal abschreiten muss, um die verschiedensten Stile, Kubaturen und Materialien erkennen zu können, sondern in der Medienfassade habe ich das auf einen Ort konzentriert. Das ist natürlich auch kostengünstig, da bei der herkömmlichen Bauweise ein Nutzerwechsel auch in der Fassade aufwendige Umbauten notwendig macht, insbesondere bei Aspekten des Corporate Design.

Der Nachteil dieser auf den Punkt zusammen fassenden architecture parlant ist natürlich der Verlust der Eindeutigkeit, der Zuordnungsfähigkeit. Am Ende können alle Firmen so arbeiten und wenn alle Hausfassaden medialisiert werden, dann verlieren sie ihre Prägnanz und Eigenständigkeit. Man darf niemals die Technologie so total anwenden. Wenn die Medienarchitektur ihre Macht beweisen will, dann kann sie das nur durch gezielte Reduktion. Das „less is more“ bleibt auch hier gültig und es ist kontraproduktiv, wenn pausenlos gezeigt wird, was alles möglich ist.

Der zweite Aspekt der Medienfassade bezieht sich auf die anthropologische Voraussetzung und zwar auf das Prinzip der Mimik, demzufolge jede Konfrontation von zwei Gegebenheiten eine wechselseitige Reaktion auslösen muss, damit das Ganze als lebendig empfunden wird. Das heißt, die Fassade wird zur Mimik, zum mimischen Ausdruck der Überraschung, der Empörung, des Zorns, der Zärtlichkeit etc. Man müsste also in das Prinzip der Medienfassade die Möglichkeit mit einbauen, dass in der Fassade auf die Attitüden des Betrachters Rücksicht genommen wird. Das heißt, das Haus muss mimisch etwas von den Erwartungen wieder spiegeln, die der Betrachter hat. Das Prinzip ist unaufgebbar. Man leitet es ab aus dem Prinzip der Fernwirkung, so wie sich auch zwei Tiere durch Mimik signalisieren, ob sie sich gegenseitig gefährlich werden wollen oder nicht. Die Mimik ermöglicht Tieren gerade, dass die Konfrontation aus der Distanz heraus gelöst werden kann.

Dieses Potential hat die Medienfassade, aber nicht die Architektur. Deutlich würde dieses Potential, wenn man z.B. die Medienfassade technologisch in die Lage versetzen würde, auf die Mimik der Menschen per Kameraerkennung zu reagieren und damit tatsächlich ein Dialog entsteht. Dieses Prinzip der Mimik ist ungeheuer wichtig, denn genau dies hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Jetzt ist eine Interaktion zwischen Baukörper und Betrachter möglich. Die Medienfassade realisiert damit ein anthropologisch wichtiges Konzept der wechselseitigen Reaktion. So könnte eine Firma mit ihrer Werbung abgleichen, ob sie mit ihren Produkten überhaupt auf die Wünsche der Konsumenten eingeht. Gleichzeitig kann ein Dialog entstehen, der auch ein erzieherisches Element hat, wenn z.B. ein Produzent einer Marke seinen Käufern vermittelt, dass nicht allein das günstigste Angebot das attraktivste ist, sondern das am meisten nachhaltig eingestellte Produkt, das auch auf Verantwortung gegenüber der Umwelt eingeht.

Der dritte Aspekt muss davon abgeleitet werden, dass die Medienfassade von vielen gleichzeitig gesehen wird und damit im demokratischen Sinn Öffentlichkeit produziert.

Damit komme ich zu dem zweiten Teil, den ich mit Ihnen besprechen möchte. Stadträume erfahren einen ständigen Anstieg an Komplexität bei gleichzeitiger Nivellierung der ästhetischen Ausprägung der Architektur.

Stopp. Es geht nicht um Nivellierung. Das Angleichen aller räumlichen Gegebenheiten ist eben keine gezielte Nivellierung, sondern die Erfüllung des Begriffs Utopie. Es heißt, Utopos ist nirgendwo. Aber, das Nirgendwo kann sich nur manifestieren im Überall. Damit ist die Utopie das, was es nirgendwo im besonderen gibt, weil es überall ist. Zum Beispiel ist die Architektur des Hiltonkonzerns überall gleich, so dass der Benutzer sich in einem utopischen Raum bewegt. Er kann an der Architektur nicht mehr differenzieren, wo er sich gerade befindet und das ist so auch gewünscht. Also, anstatt zu klagen, dass es keine Unterschiede mehr gibt, muss man erkennen, dass sich die Utopie erfüllt hat. Nun käme es darauf an, das zu leisten, was man mit Utopie verbindet, nämlich die gedankliche Arbeit, die Vorstellungsfähigkeit, die freie Assoziationsfähigkeit, die Sinnstiftungsfähigkeit. Denn wenn es keine Unterschiede mehr gibt, hält mich in diesen angestrebten Fähigkeiten auch nichts mehr fest.

Meine Vermutung geht nun dahin, dass aufgrund dessen, dass diese Utopie nun erreicht ist, es den Menschen schwer fällt, eine Geborgenheit zu empfinden.

Ja, weil sie dazu keine geistige Kraft haben. Mit anderen Worten, die Technologie hat weltweit die Möglichkeit geschaffen, die Utopie tatsächlich zum Ausdruck zu bringen, nämlich das Nirgendwo im Überall. Also ist jetzt die Frage, ob die Menschen in dieser Situation überhaupt bestehen können. Das heißt, wie viele Menschen sind in der Lage, die Erfassung von Unterschieden in die Köpfe zu verlagern, also ohne äußere Reize sich selber zu verorten. Die Erfüllung der Utopie bedeutet also, dass man gar nicht reisen braucht. Und die geistige Arbeit, sich Vorstellungen von der Welt zu machen, kann man auch zu Hause leisten.

Ja, aber wir sehnen uns andererseits nach Gemeinschaft, gerade im öffentlichen Raum, wir sehnen uns nach Heimat.

Nun, Heimat ist natürlich nicht mehr möglich, wenn sich alle dreißig Jahre alles verändert. Dreißig Jahre entsprechen heute einer Generation. Wenn also meine Umwelt nach kurzer Zeit nicht mehr so aussieht, wie ich sie in der Kindheit erlebt habe, kann ich keine Heimat mehr empfinden, es gibt keine Konstanten mehr.

Nun habe ich aber die Hoffnung, dass gerade durch das Instrument der Medialisierung regionale Identität wieder herstellbar ist. Zum Beispiel könnte in Köln zur Karnevalszeit die Atmosphäre der Stadt mittels der Medienfassaden karnevalistisch aufgeladen werden. Das ist zwar immer schon z.B. durch Flaggen etc. erreicht worden, aber nun kann das durch das Potential der Medien wesentlich intensiver gestaltet werden, um eben das durch die Architektur unvermeidliche Nirgendwo im Überall zu überwinden. Diese spontane Verbindlichkeit der Umwelt wird dann als Geborgenheit empfunden, weil sie einem die regionalen Unterschiede wieder sinnlich vermittelt.

Aber das ist natürlich mit der Gefahr verbunden, dass man bei den Medien glaubt, dass dies mit keiner Anstrengung verbunden ist. In dem Augenblick, in dem man erfährt, dass all dies mit Leichtigkeit per Knopfdruck erzeugt wird, wird es auch beliebig und wenn es beliebig ist, ist es uninteressant.

Nun, dann muss der Content mit entsprechender Mühe und Ernsthaftigkeit entwickelt werden.

Richtig. Es kommt nun um so mehr darauf an, was auf der Medienfassade geboten und wie es gestaltet wird. Und durch die gestalterische Reduktion muss der Ausdruck optimiert werden.

Das ist für mich das gelungene Schlusswort zu unserem Gespräch, vielen Dank.