Buch Uta Brandes - she, and she as a collective novel

Uta Brandes - she, and she as a clloective novel
Uta Brandes - she, and she as a clloective novel

Dt. Titel: "Sie, und sie als Novelle"

Texte in dt. und engl.

Erschienen
2008

Herausgeber
Volker Albus; Michael Erlhoff

Verlag
König, Walther, Buchhandlung, GmbH & Co. KG

Erscheinungsort
Köln, Deutschland

Seite 114-130 im Original

Das Hotel als Schule der Menschheit Zur Geschichte der Zivilisierung barbarischer Kulturträger; eine etwas längere Fußnote zum Projekt „Frauenzimmer“ der allein reisenden Geschäftsfrau Uta Brandes

Wenn für Menschen auf Erden alle Bedeutung aus ihrer Fähigkeit erwächst, Unterscheidungen zu treffen und die Kriterien des Unterscheidens als verbindlich behaupten zu können, dann wollte man es bisher als gewiss ansehen, dass die international geläufige Klassifizierung von Hotels verlässliche Auskunft über Bedeutungs- und Werthierarchien in unserer Welterfahrung, zumindest der touristischen, biete.

Nun ist es gegenwärtig generell zu einer Krise von Rating und Ranking gekommen. Die Rating-Agenturen, auf deren Bewertungen die Bonität von Banken und ihren Geschäftsmustern beruht, haben sich nicht nur gründlich blamiert, weil Unternehmen, die von ihnen als Erstrangige eingestuft wurden, sich als Pleitekandidaten erwiesen; es ist vielmehr die Vermutung gut begründbar, dass Ratings interessengeleitet und damit dem Belieben unterworfen sind, zumal die Rating-Agenturen zum Klüngel der Banken gehören, die sie zu bewerten haben.

Rankings, zum Beispiel die von Universitäten, haben inzwischen den Ruf, von Leuten betrieben zu werden, denen gerade jene Bildung fehlt, die sie als Ausbildungsleistung von Universitäten angeblich einschätzen. Auch die Vergabe von Gütesiegeln für Nahrungsmittel (Zielmarkierung „Bio“) erweisen sich als bestenfalls zufällig zutreffend. Selbst auf die Segnungen von Medikamenten als staatlich geprüfte und zugelassene ist nur bedingt Verlass. Immerhin haben sich die Bewertungen von Produktqualitäten durch die Stiftung Warentest als hilfreiche Orientierungen für Kaufentscheidungen durchgesetzt.

Am besten aber schien die Verbindlichkeit von Unterscheidungen zwischen nostar- und Sieben-Sterne-Hotel deswegen gesichert zu sein, weil man annehmen durfte, dass betuchte Herrschaften schon darauf bestehen würden, eine den Übernachtungspreisen angemessene Bedienung und Unterbringung, vor allem aber, angemessene Einbettung in die soziale Gemeinschaft von ihresgleichen zu erhalten. Die Unterscheidungshierarchien von Luxus-Grand-Hotel zu ländlichem Gasthof müssten doch eigentlich zusammenbrechen, wenn man sich im Palace Hotel vorfände wie in einer Herberge für FC Fans; denn warum sollte man viel Geld für die Ununterscheidbarkeit der gewährten Leistungen, also für nichts, zu zahlen bereit sein – aus ostentativer Verschwendung, wie der Sozialpsychologe Veblen, behauptete? Wenn aber in Hotels gerade die Klientel fehlt, die auf Grund mutwilliger Verschwendung bereit und fähig wäre, auf unermesslichen Reichtum zu schließen, wird Veblens Erklärung gegenstandslos.

Seit Beginn der 90er Jahre beobachtet man ungläubig, daß sich in der Tat in Luxusherbergen der touristischen Attraktionszentren wie in den zentralen Orten der unternehmerischen Kommunikation eben besagte Entdifferenzierung (Luhmann erwache!) zwischen anspruchsvoll und anspruchslos, kostspielig und billig, gebildet und barbarisch, reich und neureich, durchzusetzen scheint.

In einem Metropolenluxushotel benehmen sich Gäste in Unterschichten- und Asozialenhabit so, als seien sie zu diesem Milieu zu rechnen – was aber gerade wegen der von ihnen entrichteten Zimmerpreise von mehr als 1.000 Euro pro Nacht unwahrscheinlich sein sollte. Unglauben schützt vor der Einsicht nicht, dass offenbar gerade diejenigen sich berechtigt fühlen, außerhalb jeder Erwartung von Verhalten im öffentlichen Raum agieren zu dürfen, die jeder Sanktion durch Zahlung von Bestechungssummen entgehen. Da schmiert einer seine marmeladenklebrigen Hände an der Wandbespannung ab, putzt die Schuhe vor aller Augen im Vestibül am Stoffbezug der Sitzmöbel oder kotzt auf den Teppich, um Reklamierenden mit einer Hand voll 500-Euro-Scheinen zu bedeuten, daß man sich jede Kritik inakzeptablen Verhaltens verbitte. Man muss den Triumphalismus erlebt haben, mit dem solche Herrschaften Ermahnungen zivilisierter Hotelgäste oder von Repräsentanten der Direktion entgegentreten. Der reiche Pöbel ist offenbar intelligent genug zu genießen, dass die Anmahnung zivilisierten Verhaltens vor dem Hinweis auf unbeschränkte Geldmittel kläglich in sich zusammenbrechen wird. Den Triumph der Barbaren kann man nachempfinden, denn was bedeutet schon die Verpflichtung auf Verhaltensnormen in der Öffentlichkeit von Hotels, Theatern, Kaufhäusern, Restaurants, Flugzeugen des Linienverkehrs, Museen, Galerien, Behördenbüros oder erst recht auf Straßen und Plätzen, wenn die Missachtung der Normen nicht mehr sanktioniert wird, weil alle Repräsentanten der sozialen Normenkontrolle beliebig bestechlich sind – am korruptesten durch die politische Korrektheitsforderung, jeder dürfe die Freiheit genießen, die er sich nehmen könne.

An Rowdy-Gebaren von besoffenen Fans in Zügen hat man sich, wenn auch unhörbar murrend, offenbar gewöhnt (dieses unhörbare Murren nahmen Deutsche nach 1945 für sich in Anspruch, um ihren Protest gegen die Nazis während des Dritten Reiches zu belegen). Die Brutalitäten im Verhalten von angeblichen Politprotestlern werden als unvermeidliche Begleiterscheinungen des Freiheitsgenusses zur Anreicherung von Unterhaltungsprogrammen in den Medien genutzt. Daß nun aber dergleichen in den höchsten Klassen gesellschaftlicher Geltungsansprüche, wie zum Beispiel besagten Luxushotels, hingenommen wird, wenn damit nur entsprechende finanzielle Kompensationen, sprich Bestechungsgelder, in die eigene Tasche gewirtschaftet werden können, sollte man zumindest als Menetekel wahrzunehmen versuchen – auch wenn sich die Mehrzahl der stumm Protestierenden bereits zu der Ausrede bekennt, die Theke sei ihr Menetekel.

Nun könnte man, zumindest als neutral Gestimmter, die Vermutung haben, dass sich die allseits geforderte Demokratisierung als herzustellende Chancengleichheit auch in diesem Falle wirksam zeigt: Endlich hätten die bevorrechtigten, erfolgreichen Eliterepräsentanten die Möglichkeit, sich so zu benehmen, wie diejenigen, über die sie sich nach Einkommen und Wirkungsgraden sichtbar hinausheben. Es ist inzwischen nicht mehr ein Privileg von Asozialen und Vereinsmeiern, im kollektiv-triumphalistischen Rausch die Sau rauszulassen, vielmehr wird das nun auch den Führungskräften und Elitemenschen gewährt. Der Fortschritt der Demokratisierung ist eben unaufhaltbar, erst recht, wenn sich schrankenlose Selbstgefälligkeit im Gebaren von Glücksrittern als Millionären für Protest gegen Diskriminierung hält. Die radical chic-Mode griff das verschwitzte Unterhemd, den offenen Hosenschlitz und die naturbelassenen Socken als Möglichkeit auf, eine Bekleidung im Preise von mehreren tausend Euro nicht mehr von der armer Schlucker unterscheiden zu können. Und die Exquisit-Kundschaft macht dankbar, weil ohne Gewissensstrapazen, Gebrauch von der Vermutung, die Rinnsteinexistenzen seien in Wahrheit ihresgleichen, verkappte Reiche im neuesten, politischen Korrektheits-Look. Derartige Entdifferenzierungsphänomene werden überall inszeniert, wo man aus guten Gründen Unterscheidungen zu verhindern sucht: Begabte sollen nicht mehr von Unbegabten unterschieden werden, verordnet der affirmation act; Regsame nicht von Trägen, so gilt es, mit dem höchsten gerichtlichen Segen, für jedes auszufertigende Zeugnis (Hat übrigens Luhmann irgendwo seiner These von der immer weiter gehenden Ausdifferenzierung die reale Erfahrung der Entdifferenzierung gegenübergestellt?).

Wenn, wie allgemein angenommen, die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein für die Angelegenheiten der Republik engstens mit der Behauptung von Öffentlichkeit verknüpft ist, so müsste man in der ostentativen Missachtung der Differenz von Privat und Öffentlich, von privatem Verhalten und Verhalten in der Öffentlichkeit, eine politische Wirkungsabsicht vermuten. Generell ist ja die Vernichtung des öffentlichen Raumes beobachtbar, wenn Stadtväter ohne Bedenken Straßen und Plätze Wurstbudenbetreibern und Besauf-Dich-Animateuren zur Verfügung stellen und jeden Einwand gegen die Zerstörung öffentlicher Anlagen durch Vergnügungsunternehmer mit dem Hinweis abschmettern, Love Parades oder Fanmeilen seien von der Öffentlichkeit zu subventionierende Formen politischer Entäußerung. Warum politische und deswegen öffentlich nicht nur zugelassene, sondern auch durch Polizeieinsätze und Räumdienste zu subventionierende Manifestationen? Weil es eben die politische Wirkungsabsicht der Fanmeilenbetreiber samt ihrer Klientel ist, den öffentlichen Raum zu verhunzen und zu zerschlagen.

Nachdem die Nazis so erfolgreich bewiesen hatten, wie man Freiheitsrechte nutzt, um sie ein für alle Mal abzuschaffen, aber dummerweise sich durch einen Krieg um die Früchte dieser Liquidierung der Demokratie bringen ließen, versucht man es jetzt noch einmal, aber ohne den überflüssigen Krieg, denn, so beweisen ja die Massenmedien, das Volk stimmt der Zerstörung der Öffentlichkeit begeistert zu (à propos Krieg: Höchste Repräsentanten der Kapitaldiktatur bekunden offen, daß sie Krieg führen und ihr Kapital als Massenvernichtungswaffen einsetzen – wer’s nicht glaubt, lese aufmerksamer die Finanzseiten der FAZ). Die Reichsparteitage mit ihrer politischen Anrüchigkeit braucht man nicht mehr zu bemühen, wenn man auf der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor Dauerekstase durch Biersaufen und Wurstfressen erzeugt unter dem Segen spendenden Leuchtschirm der Medien.

Da geht es gerade nicht um Public Viewing – eine absurde Begriffsbildung durch diejenigen, die ihre Verpflichtung auf Internationalität zu beweisen suchen, indem sie mit englisch klingenden Sprachbrocken um sich werfen (selbst ein Luxuskonzern wie Bucherer/Luzern dichtet: „Nothing becomes a woman more than a classical education…“, die darin besteht, keine Erziehung genossen zu haben). Das gemeinte Erlebnis von Öffentlichkeit beim gemeinsamen Fernsehen erwies sich als eine hemmungslose Privatisierung, die gerade jede Art von Öffentlichkeit ausschließt.


Zyniker und andere Liebhaber der Wahrheit vertreten freilich die Meinung, besagte Entdifferenzierungsphänomene bezeichneten einen Wesensausdruck von Menschen als Produkten der brutalsten Selektion nach dem Schema „Fressen oder Gefressenwerden“. Das säuische Behagen in der eigenen Kultur sei eine sinnvolle Strategie zur Steigerung der Überlebenschancen. Ein paar Idioten sind eine bedauerliche Erscheinung, Hunderttausende dergleichen eine kulturelle Größe. Sigmund Freud konnte ja vom Unbehagen an der Kultur nur sprechen mit Blick auf das naturmenschliche Behagen in ihr, der je eigenen Kultur.

Für diesen Zusammenhang gibt es schon in Homers „Odyssee“ ein entsprechendes Exempel. Kirke versuchte den heimwehkranken Odysseus zur Liebessklaverei zu verpflichten. Damit Odysseus nicht fliehen konnte, verwandelte sie seine Schiffsbesatzung in Schweine, die sich im Schloßhof vergnüglich suhlen durften. Als die Gewohnheit die sexuelle Attraktivität des Helden für die Mannstolle verschlissen hatte, erlaubte sie großzügig die Fortsetzung der Odyssee. Der Kapitän brachte der in Schweine verwandelten Mannschaft die frohe Botschaft, ihre Qual der Verwandlung in Tiere sei nunmehr zu Ende; die Gefährten mögen sich in jene Helden der Heimatsuche umbilden, mit denen er schon so viele Jahre gemeinsam um die Erfüllung ihrer Sehnsucht gekämpft habe. Odysseus erlebte eine böse Überraschung, als ihm die Kampfgenossen rüde antworteten, sie fühlten sich im säuischen Dasein als Schweine viel wohler als je zuvor und würden deswegen nicht wieder zu Menschen werden wollen.

Inzwischen erscheinen die Grand Hotels dem Mythenkundigen wie die Schloßpferche der Kirke, in denen man das säuische Behagen ohne jede Verpflichtung auf das Menschsein ausleben kann. Dabei galten die Hotels seit den Zeiten der großen Karawansereien als Stätten der Menschwerdung all der Angehörigen selbstgewisser Religions- und Kulturgemeinschaften, die sich auf ihren Reisen vor nächtlichen Gefahren gemeinsam in das Hotel flüchteten. Die lateinische Grundkennzeichnung unseres Hotelbegriffs umfasst den hospes wie den hostis, die hostia wie das hospicium, die hospitalitas wie das hosticum. Es meint also den Fremden aus dem Feindesland als Gast in der Herberge, wobei Gast zu sein auf Regeln verpflichtet, die jeder in der Herberge anzuerkennen hat, völlig unabhängig von seiner Herkunft und Tradition, beziehungsweise von seinen heimischen Sitten und Gebräuchen. Diese Unterwerfung ist das Opfer, das jeder Fremde dem Geist der Gemeinschaft zu bringen hat.

Die Herbergsväter und Hoteldirektoren wurden zu Agenten der allgemeinen Zivilisierung von Kulturbarbaren, das heißt von Leuten, die ihre kulturell-religiöse Selbstgewißheit als Maßstab für alle Anderen glaubten rücksichtslos durchsetzen zu können. Von der kleinbürgerlichen Pension bis zum großbürgerlichen Hotel als Palast der Republikaner vermittelte sich das Bewußtsein, in Zauberbergen des Ideals einer universalen Menschheit Platz gefunden zu haben. Weil man in diesen Gefilden der Zivilisation nicht mehr der Verführung zum Sich-Gehen-Lassen wie in den eigenen vier Wänden unterlag, sondern der Stützung des Ich-Ideals durch die Forderung zuteil wurde, sich jederzeit so aufzuführen als stünde man in der Wahrnehmung Gottes, der in der Hoteldirektion und in jedem anderen zivilisierten Gast sich stellvertreten ließ. Diese Forderung nach Allgemeingültigkeit oder Vorbildlichkeit war die intensivste Förderung gerade für Charakterschwache, da ihnen im Hotel die Flucht in das Tarndickicht des Privaten versperrt wurde. „Verhalte Dich jederzeit so, wie Du Andere sehen und von Anderen geschätzt werden möchtest“, lautet der kategorische Imperativ der table d’hôte-Teilnehmer, was keineswegs dazu führte, die herzerfrischenden Eigentümlichkeiten und schnurrigen Züge beziehungsweise die Individualcharakteristiken der Gäste zu unterdrücken; im Gegenteil, zivilisierende Anerkennung von allgemeinen Regeln verhindert die Gleichmacherei, weil sie die Aufmerksamkeit auch für das erzwingt, was man selbst nicht ist oder kennt.

Unbestritten hat sich historisch das Konzept der Zivilisierung in Gehäusen der Gastlichkeit entwickelt, der orientalischen Karawanserei, dem französischen Salon, dem Wiener Caféhaus, dem englischen Club, dem deutschen Hospiz, kurz, in den Erscheinungsformen von Öffentlichkeit, bevor sie in Parlamenten, Theatern, Kaufhäusern, Kinos, Sportstadien ihre modernste Entfaltung und Gestaltung erfuhr. Wir erleben, wie nicht nur Hooligans, Billigtouristen und Schlußverkaufshorden diese Institutionen des objektiven Geistes zerschlagen, nachdem selbst permanente Ausweitung des Prinzips Brot und Spiele sie nicht mehr unter Kontrolle zu halten vermögen. Jetzt stinkt der Fisch vom Kopfe, was die Börsenganoven, die Investmentkrieger, die Politpopulisten und allmachtsanmaßlichen Gotteskonkurrenten als shareholder fanatics anrichten, geht an destruktiver Wirkung über alles hinaus, was je revolutionäre Massen, fundamentalistische Wütlinge oder Erzwingungsstrategen des Absoluten angerichtet haben.

Es fügt sich das Bild: Seit der Kunde als König propagiert wird, hat er nichts mehr zu sagen. Seit die Dienstleistungsgesellschaft ausgerufen wurde, verreckt jeder Hilfesuchende in Warteschleifen von Call Centern oder Service Stationen. Seit Massentourismus Hotels und Museen, Züge, Schiffe und Flugzeuge ihrer Profitgier unterwerfen, die sie als Verwirklichung demokratischer Grundrechte beweihräuchern, bleibt nur noch der Rückzug in die Privatheit und in die Ausgrenzung der Nichtzugehörigen. hospes und hostes, Gast und Feind werden gegeneinander ausgespielt unter dem Tarnname der Multikulturalität: „Jedem das Seine“, war aber schon immer die Logik der Barbarei. „Ein buchenswertes Ergebnis, wahrhaft buchenswert“, würde dazu der Chefkellner des Weimarer Gasthofs „Zum Elephanten“ sagen. Ein mageres Ergebnis? Wie gesagt, nur eine Fußnote.

siehe auch: