Buch Tarnen und Täuschen
Diskursive Twin Towers / Theorieturnier der Dioskuren - zweiter Band
Diskursive Twin Towers / Theorieturnier der Dioskuren - zweiter Band
Seite 108 im Original
Vor Tagen deklarierte die Frau Minister: „Konservativer Feminismus ist ein spannender Begriff.“ Und sie meinte nicht nur einen Begriffshokuspokus wie die „ablehnende Zustimmung", mit der heute laut Greser und Lenz das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten unter Koalitionszwang gekennzeichnet wird. Auch hatte sie sicherlich nicht die Subversionstaktik der Popkünstler im Blick, derzufolge wirksamer Widerstand nur durch eklatante Übertreibung der Prinzipienreiterei erzielt werden kann (Negative Affirmation!). Dafür steht etwa die Kampagne „Dienst nach Vorschrift", von der jeder weiß, daß Dienst nach Vorschrift tatsächlich zum Zusammenbruch der Dienstleistungen führen muß. Das heißt, die naive Wortwörtlichkeit und die fundamentalistische Buchstäblichkeit der Regelbefolgung sabotieren den Sinn von Regelungen. Hatte nicht schon der epikureisch glänzende Innenminister Höcherl vor Jahrzehnten zu Protokoll gegeben, man könne nicht ständig mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen, wenn man den Sinn des Gesetzes darin sehe, das Leben der Menschen zu erleichtern, und nicht darin, den Gesetzesgehorsam als Dressurakt durchzusetzen. Wie hatte man dem so jovialen Höcherl damals mitgespielt! Er wurde beschimpft und bemitleidet, als propagiere er Gesetzesbruch oder sei zu blöd, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
Heute findet Höcherl doch mehr Verständnis für seine Ermahnung, es mit dem Dogma nicht zu ernst zu meinen. Religion strikt nach Vorschrift, Politik strikt nach Parteiprogramm und Rechtssprechung strikt nach den Buchstaben des Gesetzes (anstatt der Entfaltung des Geistes der Gesetze) zu fordern, führt zu Fundamentalismus und Dogmatismus. Und es ist ja leider nicht zu leugnen, daß gerade in westlichen Demokratien mit strikter, unabdingbarer Orientierung auf Rechtsstaatlichkeit, Säkularisierung und soziale Gerechtigkeit die Angst vor der
Herrschaft von Dogmatikern und Fundamentalisten rapide wächst. Bereitet sich die Frau Minister in verständlichem Opportunismus bereits auf die Konfrontation mit dogmatischen Feministen und fundamentalistischen Konservativen vor? Letztere gewinnen stark an Einfluß; sie fordern z.B., daß für die Schulen nicht nur Darwins Evolutionstheorien Lehrstoff aufbereitet werden, sondern ebenso Schöpfungslehren, die behaupten, ein großer kreativer Designer habe die Welt auf einen Schlag geschaffen. Diese Art Fundamentalismus gewinnt unmittelbaren Einfluß auf andere Felder der Politik, wenn ein amerikanischer Präsident aus dogmatischem Bibelverständnis den militärischen Kampf gegen das „Reich des Bösen" aufnimmt.
Der Feminismus wird dogmatisch, wo er gerade aus der besonderen biologischen Geschlechtlichkeit der Frau argumentiert. Biologische und soziale Geschlechtlichkeit in eins zu setzen, ist das Ziel der Dogmatiker. Ihre Position scheint gegenwärtig durch eine Fernsehmoderatorin propagiert zu werden. Stärkste Zustimmung fand sie wohl bei starken Männern, die immer schon meinten, sie seien die wahren Vertreter der Fraueninteressen, indem sie radikal die biologischen und sozialen Eigentümlichkeiten des Daseins und der sozialen Existenz von Männern und Frauen hervorhöben. Insofern wäre konservativer Feminismus eine wohlgefällige Übersetzung von Machismo - und die Machos wären die wahren Repräsentanten der ganz unverwechselbaren Fraulichkeit. Ein schöner Erfolg jahrzehntelanger feministischer Agitation! Dabei ging es ursprünglich - man möchte sagen „nur" – um Gleichberechtigung im Zugang von Frauen zur Repräsentation der Gesellschaft in verschiedensten Sphären und generell um die gesellschaftspolitische Anerkennung der von Frauen geleisteten Arbeit für die Generativität nicht nur in genetischen, sondern auch in extragenetischen Bereichen.
Eine ähnliche, nur zynischerweise dialektisch zu nennende Perspektiv-Verschiebung wie beim Feminismus, ist auch für den Zusammenhang von Postulat und Resultat des Multikulturalismus nach Jahrzehnten der Diskussion zu bemerken. Aus der ursprünglichen Forderung nach Vereinheitlichung des Verschiedenen (ex pluribus unum) wurde die immer weiter gehende Ausdifferenzierung zur Vielheit (von der Universität zur Multiversität). Und das kam so: Wenn verschiedene Kulturen nicht nur in einem Territorium, sondern in einem Staat zusammen leben können sollen, dann müssen sie auf Souveränitätsrechte verzichten. Wenn aber souveräne Kulturgemeinschaft auf das Recht der Gesetzgebung für ihr eigenes Zusammenleben, auf das Recht zur Positionierung gegenüber anderen Kulturen nach dem Grundschema “Krieg und Frieden” selbstständig zu bestimmen, verzichten, dann werden aus den Kulturen bloße Folkloregruppen. Gegen diese Folklorisierung wurde mit ungeheuerem Pathos im Namen grundgesetzlicher Garantien Einspruch erhoben, ja der offene Kampf proklamiert. Damit droht der Kulturkampf als permanenter Bürgerkrieg. Da die Einsicht in diese Konsequenz, entweder Folklorisierung oder Bürgerkrieg, überzeugten Multikultifundamentalisten unzumutbar zu sein scheint, begründen sie ihren Widerstand mit der Behauptung, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Wenn solcher Unsinn mit Methode über längere Zeit immer wieder pathetisch vorgetragen wird, steigert sich der Abwehrreflex, und zwar gleichermaßen bedingt durch Abwehr permanenter Schuldvorwürfe wie als Entzug von Aufmerksamkeit, nach dem Muster: “Ich kann das nicht mehr hören!” Das entspricht genau den Änderungsprofilen politisch radikaler Gruppen, die auf diese Weise zu den heutigen Pathetikern des Multikulturalismus werden, obwohl sie sich einstmals im Namen ihrer kulturellen Identität und deren Sicherung gegen konkurrierende Ansprüche glaubten zur Wehr setzen zu müssen. Eine schöne Bescherung: Die Machos behaupten sich als wahre Feministen, und die Extremisten als bannerträger des Multikulturalismus.
Im Zentrum dieser offenbar unaufhaltsamen Wechselwirkung von Unsinnspathetik und Schuldabwehr, von Machoismus und Feminismus, ist ein absurdes Mißverständnis von Begriff und Sachverhalt der Folklorisierung auszumachen. Nie zuvor in der menschlichen Geschichte konnte jedermann die spezifischen Errungenschaften Einzelner wie sozialer Gruppen, also die Leistungen der verschiedensten Kulturen, derart gewürdigt sehen, wie in unseren Museen. Folklorsierung ist nämlich auf der instutionellen Ebene vor allem als Musealisierung zu verstehen. Erst im Museum warden die Mittel und Wege gefunden, durch den Vergleich der Kulturen ihre Errungenschaften zu würdigen, den Kriterien der vergleichenden Unterscheidung zu den vielen anderen Kulturen haben die historischen Kulturen nur zur feindlichen Abgrenzung entwickelt. Die Herabwürdigung von Folklorisierung und Musealisierung entspringt also Versuchen, die eigene Unvergleichbarkeit durchzuhalten. Man möchte sich seiner Bedeutung nicht erst durch den Vergleich mit Anderen vergewissern, sondern durch die Unvergleichlichkeit, Auserwähltheit und höchste Natalität, die sich gerade in der kämpferischen Auseinandersetzung und nicht im friedlichen Zusammenleben bewähren. Aber schon die Repräsentanten der alten Hochkulturen, ganz zu schweigen von der bürgerlichen, der sogar der Gedanke wirtschaftlicher Vernichtungskonkurrenz ganz natürlich erschien, akzeptierten am Ende, daß ihre Glorie in der Zukunft nur durch die Museen einigermaßen gesichert werden kann. Deshalb begannen sie, ihre ungeheuer produktive kulturelle Erfahrung im Wettbewerb um die Stiftung von Ewigkeiten zu zeigen – zuletzt im Wettbewerb um die Gründung von Museen sowie in der Entwicklung und Finanzierung von Musealisierungstechniken. Erst sie sichern heute jegliches kulturelle Selbstverständnis über den Tag hinaus. Und um diese Vergewisserung einer jeden Gruppe, eine Zukunft zu haben, geht es doch letztendlich be idem wohlverstandenen Multikulturalismus.
Auf, auf als: Musealisiert Euch! Musealize yourself! Musealzzatevi! Muséalisez-vous! Musealizados! Rotus und Kultus stehen schon bereit; auch für Atheisten wird gesorgt in den museumspädagogischen Diensten. Die Termine der Museumsführungen und der Besucherschulen entnehmen Sie bitte der Tagespresse.