Magazin Konkret

Erschienen
01.11.2003

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Konkret Verlag

Kinderkramkunst

Vom Mythos RAF zum Mythos Kunst

Wie wünschenswert wäre es, in einer RAF-Ausstellung Gerhard Richters Zyklus als Polit-Pornographie endlich zu diskutieren und andere verwegene Beziehungen von Künstlern auf die RAF bestenfalls als Gemütskitsch linker oder rechter Kampfbünde zu erkennen

Wer in den sechziger Jahren der Sachbeschädigung bezichtigt wurde oder des groben Unfugs, versuchte Kunstexperten aufzubieten, die vor Gericht jene in Frage stehenden Aktionen des Beschuldigten als künstlerische im Sinne des zeitgenössischen Aktionismus darstellten; Kunst aber werde nicht im Gericht, sondern in der Galerie oder dem Museum verhandelt, denn das Grundgesetz garantiere die Kunstfreiheit - und das Grundgesetz wolle man ja wohl nicht in Frage stellen.

Daß auch Brandspuren Kunstanspruch signalisieren können, sei etwa durch Yves Klein, Otto Piene oder Joseph Beuys belegbar: Erstere hätten Ende der fünfziger Jahre mit Flammenwerfern Bildwerke geschaffen; letzterer nutze eine vom Brand attackierte Tür als auffälligen Bestandteil eines Werkes. Und die Reste der von Tinguely und Arman gesprengten Objekte würden bereits in Museen gezeigt. Also könne man doch die Brandanschläge von Baader und Co. als Kunst durchgehen lassen, zumal Baaders Popstar-Attitüden auf die Nähe von Anarchismus und Kunst beziehungsweise von ästhetischem Terrorismus und politisch-sozial motiviertem Terrorismus verwiesen.

Es mag die Erinnerung an solche Rechtfertigungsversuche der sechziger Jahre die Absicht gestützt haben, die Geschichte der RAF ausgerechnet im Berliner "Kunstwerke"-Gebäude zu präsentieren. Als Aktionskunstwerk? Am Beispiel von Kunstwerken und ihres Appells zum ästhetischen Terrorismus? Durch Kunstwerke, deren Sujets die RAF assoziieren lassen? Oder vielleicht durch Darstellung eines zentralen Theorems der Moderne: der zu erzwingenden Einheit von Kunst und Leben?

Aber derartige Erinnerungen hätten auch signalisiert, daß der Hinweis auf die Kunstfreiheit nur ein Vorwand gewesen ist. Es würde die Intelligenz der "Kunstwerke"-Kuratoren und ihrer Klientel beleidigen, ließen sie nicht erkennen, daß sie ganz systemfromm das Märchen von der Kunstautonomie nutzen, um Gelder für ihre Aktivitäten einzuwerben und allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen durch Anwendung der effektvollsten Künstlerstrategie: mit dem Pathos von Kulturheroen zu verkünden, die Grenze zwischen Kunst und Leben sei endlich eingerissen, um sich dann aber selbstgefällig hinter der Kunstautonomie zu verschanzen, wenn das Leben zurückschlägt.

Nur in augenzwinkerndem Einverständnis mit dieser Strategie läßt sich akzeptieren, daß der "wissenschaftliche Berater" der Ausstellung, Wolfgang Kraushaar, behauptet: "Die künstlerische wie die zeithistorische Darstellung dürfen aber auf keinen Fall zum Spielball politischer Interessen - sei es des Staates, der Parteien oder sich anbietender Dritter - werden, aber auch nicht zum Definitionsobjekt von Angehörigen der RAF-Opfer ... Dabei darf sie (die Darstellung) allerdings auch nicht den Fehler begehen, jene, die in den Terrorismus involviert waren und sich von ihm distanziert haben, auf die Kriminalität ihrer Taten zu reduzieren und sie im nachhinein weiter auszugrenzen."

Bei solchen Formulierungen bestätigt sich die konzedierte Intelligenz als Fähigkeit, politisch effektvoll Phrasen zu dreschen. Als gelte nicht grundsätzlich für jeden Straftäter, daß man ihn nicht als Unmenschen betrachten und deshalb aus der Gesellschaft ausgrenzen darf. Daß künstlerische wie zeithistorische Darstellungen gerade auch dann Interessen ihrer Autoren bekunden, wenn diese interesselose Sachlichkeit für sich in Anspruch nehmen, gehört zum Grundverständnis jeder Auseinandersetzung unter Demokraten. Allerdings gewährt die Kunst-Autonomie dem Kunstschaffen keinen höheren ontologischen Status als jedem anderen Herstellen von Artefakten.

Wenn die Ausstellungskuratoren und ihr Berater Kraushaar beklagen, daß die Ausstellung "längst zu ihrem Schaden zum Politikum geworden ist", entkernen sie die RAF zur Ruine des ästhetischen Scheins. Denn für die RAF ging es gerade um Wirkungen, die sie in politischen, sozialen und ökonomischen Bereichen zu erzielen versuchten. Sie wollten weiß Gott zum Politikum werden. Wenn genau das von den Kuratoren vermieden wird oder wenn sie es weit von sich weisen, ein solches Politikum durch die Ausstellung fördern zu wollen, zeigen sie sich zum einen als nicht sachkundig und zum anderen als nicht lernwillig.

Denn die RAF ist längst nicht untergegangen und ein Teil der deutschen Geschichte geworden, wie Kraushaar behauptet. Offenbar versteht er unter Geschichte alles, was keine Wirksamkeit mehr hat, also mausetot ist. Warum aber sollte man sich dann damit beschäftigen? Welches Interesse könnte eine Vergangenheit finden, die tatsächlich vergangen wäre? Diesem kuriosen Geschichtsverständnis eines Historikers und Politikwissenschaftlers entspricht die ebenso formelhaft runtergeleierte Kennzeichnung der Mittel, mit denen sich dieses Geschichtsverständnis in Ausstellungen manifestieren soll; Kraushaar besteht darauf, "daß die historischen wie die künstlerischen Exponate möglichst autonom sind, in ihrer Souveränität für sich stehen, und daß die räumliche Beziehung der Objekte zueinander keinem simplem Wiederspiegelungssystem gehorchen dürfen".

Heiliger Simplizius! Jetzt sind auch noch die historischen und nicht nur die künstlerischen Exponate autonom, also nicht nur Gerhard Richters Malereien, die sich durch das Sujet Stammheim mordsmäßig bedeutsam geben; sondern auch Schriftstücke, Sonnenbrillen und Matratzengrüfte, die als historische Exponate der RAF-Geschichte "in ihrer Souveränität für sich stehen sollen". Das wäre in der Tat die Erfindung eines Stehvermögens, wie es die Alpengipfel demonstrieren. Ist das zur Entlastung demonstrierte Naivität? Oder opportunistisches Nach-dem-Munde-Reden eines Kurators, der sich mit den Kritikern gutstellen will - mit Feuilletonschreibern, deren vernichtende Kritik an Themenausstellungen stets lautet, man habe die Kunstwerke als Illustration zum Thema mißbraucht und den Exponaten ihre Souveränität geraubt, indem man sie mit anderen in räumliche Nähe brachte?

Für eine heutige RAF-Untersuchung wäre es unumgänglich, nachdrücklich zu fragen, wie die Kunst die Autonomieanmaßung vereinnahmt oder wie der Maler Richter die Fotos aus dem Stammheimer Gefängnis nach dem Selbstmord der RAF-Protagonisten für seine Zwecke mißbraucht hat. Für mich jedenfalls ist bis heute die widerwärtigste Art und Weise, in der man sich öffentlich auf die RAF einließ, jene Bilderserie von Richter, die in Vorstandsetagen einer Bank oder im Allerheiligsten eines Kunstmuseums wie in einem Sakralraum für Atheisten präsentiert wird. Diese weltweit als herausragende deutsche Künstlerleistung vorgezeigte Lumperei hat mein sittliches Empfinden mindestens so verletzt, wie Zwickauer Politfunktionäre sich durch Meeses Ausrisse aus Pornoheftchen verletzt fühlen. Sie machen handfest Randale und schließen die Öffentlichkeit aus; ich bringe die Richtersche Polit-Pornographie, soweit ich kann, in die öffentliche Diskussion.

Wie wünschenswert wäre es, in einer RAF-Ausstellung Richters Zyklus eben als Polit-Pornographie endlich zu diskutieren und viele andere verwegene Beziehungen von Künstlern auf die RAF bestenfalls als Gemütskitsch linker oder rechter Kampfbünde zu erkennen. Aber den Kuratoren, so Kraushaar, geht es darum, Herren zu werden. "Nur wer sich mit den Mythen auseinandersetzt, anstatt den Blick auf sie zu versperren, der hat auch eine Chance, ihrer Herr zu werden", also Herr des Mythos von der autonomen Kunst oder sogar von der Souveränität der historischen Exponate, die keinerlei thematischen Zusammenhang mit realen Ereignissen mehr haben sollen. Wir sind also in einem grünroten Wilhelminismus gelandet, und die Kuratoren der "Kunstwerke" werden zu Zeremonienmeistern des pompes funebres der RAF, "die längst untergegangen" sei, bloß noch tote Geschichte, derer man Herr werden kann.