Vortrag / Rede Forum Junge Kunst

Zur Eröffnung des Forum junge Kunst in der SEB Bank AG

Termin
02.04.2001

Veranstaltungsort
Frankfurt am Main, Deutschland

Avantgarde ist nur das, was uns zwingt neue Traditionen zu bilden

-Zusammenfassung

Was kann das heut­zu­ta­ge hei­ßen, für ei­ne Kunst- oder Kul­tur-in­i­ti­a­ti­ve die Pa­tro­na­ge zu über­neh­men, wenn man nicht Bun­des­prä­si­dent oder Mi­ni­ster ist, de­ren Schirm­herr­schaft als Schutz­schild ge­gen un­lieb­sa­me An­wür­fe und wei­ter­ge­hen­de Ver­fol­gun­gen dient?

Nach mei­ner Auf­fas­sung hat der Pa­tron ein Be­kennt­nis zu Kon­zep­ten und Ziel­rich­tun­gen sol­cher In­i­ti­a­ti­ven öf­fent­lich ab­zu­ge­ben.

Was gilt es ge­gen­wär­tig zu be­ken­nen? Z.B., daß man kul­tu­rel­le Ak­ti­vi­tä­ten we­der als Be­hüb­schungs­maß­nah­men noch als Ge­lang­weil­ten­be­lu­sti­gung, we­der als bil­dungs­bür­ger­li­che Frei­zeit­ü­bung noch als Pre­sti­ge­mar­ker zu ver­ste­hen be­reit ist.

Dann gilt es al­so auch zu be­ken­nen, in wel­cher Hin­sicht be­sag­te In­i­ti­a­ti­ven, durch­aus in Re­la­tion zu Mit­teln und Zwecken, als sinn­voll an­ge­se­hen und in pra­xi ge­nutzt wer­den kön­nen.

Ich zeich­ne mein Be­kennt­nis zum Fo­rum Jun­ge Kunst der SEB in drei Hin­sich­ten aus:

1. Die Be­deu­tung der Künst­ler­rol­le ist in den zu­rück­lie­gen­den Jah­ren in vie­len Be­rei­chen ge­ra­de für Nicht-Künst­ler, al­so für Zeit­ge­nos­sen un­se­res so­zi­a­len und po­li­ti­schen All­tags, be­deut­sam ge­wor­den.

Künst­ler ist, ob er denn malt oder rech­net, Sub­stan­zen in Rea­genz­glä­sern schüt­telt oder to­tes Blech zur Selbst­be­we­gung an­i­miert, wer sei­nen Gel­tungs­an­spruch aus­schieß­lich durch sich selbst be­grün­det, oh­ne Mög­lich­keit der Stra­fe bei Ab­leh­nung oder Be­loh­nung bei Zu­stim­mung - oh­ne Er­folgs­nach­weis per Ein­schalt­quo­te, Ab­ver­kaufs­ra­te oder Be­su­cher­zah­len.

Die Nicht-Künst­ler re­den mit der Au­to­ri­tät des De­le­gier­ten, Pro­mo­vier­ten, Ap­pro­bier­ten als Re­prä­sen­tan­ten von Fach­schaf­ten, Kol­le­gien,Schu­len, Par­teien, Fir­men.

Wun­der­ba­res Mi­ra­kel: Wa­rum hö­ren im­mer mehr Men­schen die­sen Künst­lern zu?

Ant­wort: Weil in­zwi­schen je­der­mann als Pa­tient, als Kon­su­ment, als Staats­bür­ger selbst­ver­ant­wort­li­che Ent­schei­dun­gen tref­fen muß, für die er sich we­der auf Ex­per­ten, Prie­ster oder Po­li­ti­ker be­ru­fen kann.

"Je­der­mann ein Künst­ler", for­mu­lier­te Beu­ys. Jetzt wis­sen wir, was das recht­lich, po­li­tisch und wirt­schaft­lich be­deu­tet: es hieß nicht, daß je­der be­lie­big ma­len, schrei­ben oder bild­hau­ern kann oder soll, son­dern daß je­der Zeit­ge­nos­se ge­zwun­gen ist, sich wie ein Künst­ler zu le­gi­ti­mie­ren, näm­lich ei­gen­ver­ant­wort­lich ge­ra­de ge­gen­ü­ber den An­for­de­run­gen und Be­din­gun­gen, die man nicht als Ex­per­te ab­zu­schät­zen weiß.

Wer heu­te in die Kli­nik kommt, be­stä­tigt recht­lich ver­bind­lich durch sei­ne Un­ter­schrift, daß er als me­di­zi­ni­scher Laie die Ver­ant­wor­tung für die ein­ge­schla­ge­nen The­ra­pie­maß­nah­men selbst über­nimmt.

Wer sich heu­te um ei­ne Stel­le be­wirbt, ver­pflich­tet sich auf die zu­künf­ti­gen Aus­wir­kun­gen des von ihm re­kon­stru­ier­ten Le­bens­laufs. Bis vor 150 Jah­ren hat­ten nur Künst­ler, Kö­ni­ge, Feld­her­ren oder Hei­li­ge ei­ne Bi­o­gra­phie. Seit An­fang des vo­ri­gen Jahr­hun­derts wur­de buch­stäb­lich der Je­der­mann bi­o­gra­phie­pflich­tig. An zahl­rei­chen Bei­spie­len läßt sich so zei­gen, daß das Künst­ler­selbst­ver­ständ­nis für das zeit­ge­nös­si­sche All­tags­le­ben ei­ne un­ver­gleich­lich grö­ße­re Rol­le spielt als je zu­vor in ir­gend­ei­ner Ge­sell­schaft oder ir­gend­ei­ner Epo­che.

2. Ge­ra­de in Zeit­läuf­ten, in de­nen Vie­len die Vor­stel­lung von Fort­schritt, Avant­garde und Ge­schicht­lich­keit zwei­fel­haft wur­de oder gar ver­lo­ren ging, lernt man im Be­reich der Kün­ste, was heu­te ver­nünf­ti­ger- und pro­duk­ti­ver­wei­se mit der Be­ru­fung auf die Neu­ig­keit, das Schöp­fe­ri­sche, die Ent­wick­lung ge­lei­stet wer­den kann. So wuß­ten die Künst­ler ge­ra­de als Avant­gar­di­sten, wie man mit der For­de­rung nach dem Neu­en und dem neu­e­sten Neu­en um­zu­ge­hen hat. Wenn et­was wirk­lich neu ist, ist es be­stim­mungs­los, in­halts­los, fremd. Von die­ser Art Neu­em kann man dann nur in Be­zug auf das Al­te re­den, von der­art Frem­dem nur mit Be­zug auf das Ver­trau­te. Al­so wuß­ten die Künst­ler, daß tat­säch­lich avant­gar­di­stisch neu nur je­ne Lei­stun­gen sind, die uns zwin­gen, das ver­meint­lich Al­te, Be­kann­te und Ver­trau­te neu zu se­hen. D.h., die Auf­ga­be der avant­gar­di­sti­schen Neu­ig­keits­pro­duk­tion be­steht dar­in, die tra­di­tio­na­len, die hi­sto­ri­schen Be­stän­de als Ressourcen für ge­gen­wär­ti­ges Han­deln zur Ver­fü­gung zu stel­len. Das gilt nicht nur für Mo­de­ma­cher und Grü­ner-Punkt-Un­ter­neh­mer, al­so nicht nur für das Re­cy­cling der 40er-, 50er-, 60er-Jah­re-Mo­den und die Ver­wand­lung al­ter Do­sen in De­si­gner­schmuck.

Ge­ne­rell läßt sich in Na­tur und Kul­tur das Neue im we­sent­li­chen als neu­er Blick oder neue An­ver­wand­lung des Al­ten aus­wei­sen. Fort­schritt be­deu­tet dann ei­ne im­mer wei­ter ge­hen­de Ver­ge­gen­wär­ti­gung der Ge­schich­te, der Tra­di­tio­nen in der Ge­gen­wart ei­ner Ge­sell­schaft. Dar­aus be­grün­det sich die in al­len west­li­chen Ge­sell­schaf­ten be­ob­acht­ba­re Zu­nah­me von Mu­seen al­ler Spar­ten. Es läßt sich an zahl­rei­chen All­tags­bei­spie­len leicht zei­gen, was die Mu­se­a­li­sie­rung für ge­sell­schaft­li­chen Fort­schritt und als Pro­duk­tions­res­sour­ce ge­gen­wär­tig lei­stet.

3. Seit Mit­te der 1980er Jah­re wird mehr als die Hälf­te un­se­res Brut­to­so­zi­al­pro­dukts er­zeugt, in­dem Pro­du­zen­ten und Kon­su­men­ten für die Her­vor­brin­gung und die Nut­zung neu­er Pro­duk­te auf Un­ter­schei­dungs­lei­stun­gen zu­rück­grei­fen, die in der Ge­schich­te der Kul­tu­ren, vor al­lem der eu­ro­pä­i­schen Kul­tur seit der Re­nais­san­ce, lie­gen.

Bei­spiel: Die Dy­na­mik der Mo­den (halb­jähr­li­che Pro­duk­tions- und An­eignungs­zy­klen) ent­steht aus dem Wech­sel der Un­ter­schei­dungs­kri­te­rien, mit de­nen man z.B. ei­nen An­zug von ei­nem an­de­ren An­zug un­ter­schei­den kann (Re­vers­schnit­te, Stoff­des­sin, Zahl und Art der Knop­flei­sten u.dgl. mehr). Wir re­kru­tie­ren die­se Kri­te­rien der Un­ter­schei­dung, mit de­nen wir die neu­en Pro­duk­te zu er­fas­sen ver­su­chen, aus dem Al­ten, dem Tra­di­tio­nel­len, dem Über­kom­me­nen, dem Mu­se­a­li­sier­ten. Dann hat man zwar den Ver­dacht, es sei al­les schon ein­mal da­ge­we­sen und des­halb nur ein Neu­auf­guß. Die Künst­ler zei­gen aber äu­ßerst raf­fi­niert und kennt­nis­reich, daß die­ser Ver­dacht nicht zu­trifft. Heu­te wird die­se Be­grün­dung der Künst­ler über die Nicht-Iden­ti­tät oder er­zwun­ge­ne Ab­wei­chung bei Er­er­bung und Ver­er­bung, Ko­pie­rung, Er­in­ne­rung durch Hirn­for­schung und Ge­ne­tik be­stä­tigt, de­ren Er­kennt­nis­se wie die der Künst­ler heu­te un­mit­tel­bar öko­no­misch, öko­lo­gisch, po­li­tisch und so­zi­al wirk­sam sind. Auch in die­sem Fall läßt sich mit Ver­weis auf die Ex­po­na­te ei­ne gro­ße Zahl von Bei­spie­len für die Macht des klei­nen, manch­mal (z.B. in der mo­no­chro­men Ma­le­rei) kaum sicht­ba­ren Un­ter­schieds an­füh­ren.

Ein Pa­tron hat auch zu be­ken­nen, ob ihn die In­i­ti­a­ti­ven mit Blick auf Mit­tel und Vor­ge­hens­wei­sen bei­spiel­haft er­schei­nen, ob­ et­wa tat­säch­li­ches Mä­ze­na­ten­tum aus­ge­übt wird oder blo­ße exo­ti­sche oder manch­mal spek­ta­ku­lä­re Zu­fall­se­reig­nis­se prä­sen­tiert wer­den.

Fo­rum Jun­ge Kunst ist in bei­den Hin­sich­ten bei­spiel­haft: zum ei­nen be­kennt die SEB, wie die vor­ma­li­ge HBfG-Bank, daß sie mit dem An­spruch mehr als bloß ein Geld­in­sti­tut zu sein, Ge­le­gen­heit zum Han­deln, zur Wir­kung, zur Kom­mu­ni­ka­tion mit an­de­ren sy­ste­ma­tisch und kon­ti­nu­ier­lich bie­ten will. Das zeich­net den wah­ren Mä­zen aus, et­was zu er­mög­li­chen, was oh­ne sei­ne Bei­hil­fe nicht ge­schä­he. Der Mä­zen för­dert oder macht sich nicht nur zu ei­gen, was oh­ne­hin ge­schieht. Der­ar­ti­ges Bie­ten von Ak­tions­mög­lich­kei­ten oder Ge­le­gen­hei­ten zur Ent­fal­tung des Neu­en wird durch den her­kömm­li­chen, nichts­de­sto­we­ni­ger von Künst­lern er­fun­de­nen Be­griff des Kre­dits um­schrie­ben. Ei­nen Kreidt zu ge­wäh­ren heißt eben, ei­ne Ge­le­gen­heit zu bie­ten, da­mit sich in Zu­kunft et­was re­a­li­sie­ren läßt. Aber die Zu­kunft wird als sol­che nur sicht­bar, wenn man sie in der Ge­gen­wart an­ti­zi­pie­rend schafft.

Mehr als ei­ne Bank heißt mit mehr zu rech­nen als mit dem, was be­reits der Fall ist, al­so mit der Zu­kunft, die als Zu­kunft die­ser Ge­gen­wart auch nur in die­ser Ge­gen­wart re­a­li­siert wer­den kann. Wie ge­sagt, seit rund 600 Jah­ren sind Künst­ler in ih­rem Werk­schaf­fen auf der­ar­ti­ge Zeit­schöp­fungs­mo­del­le (wie die in der Ge­gen­wart re­a­li­sier­te Zu­kunft oder den Sieg der Ge­gen­wart über al­le übri­ge Zeit) spe­zi­a­li­siert.

Zum an­de­ren stützt sich das Fo­rum Jun­ge Kunst auf die Tä­tig­keit ei­nes ein­ge­tra­ge­nen Ver­eins, der sich die För­de­rung jun­ger Kunst zum Ziel setzt. Der­ar­ti­ge För­de­rung bie­tet, gleich­er­ma­ßen wie die Ak­ti­vi­tät Mehr als ei­ne Bank, Ge­le­gen­heit zur Ent­fal­tung künst­leri­scher Gel­tungs­an­sprü­che. Sie in­ter­ve­niert nicht durch Aus­wahl, Ver­kaufs­för­de­rung, Pro­pa­gan­da die­ser oder je­ner be­vor­zug­ten künst­le­ri­schen Ak­ti­vi­tät jun­ger Leu­te; son­dern sie er­mög­licht den jun­gen Leu­ten, die Ak­tu­a­li­sie­rung ih­res künst­le­ri­schen Po­ten­ti­als.

Zur Ver­an­schau­li­chung ver­kür­zen wir das Mo­dell zur Ent­ge­gen­set­zung von Selbst­or­ga­ni­sa­tion, et­wa jun­ger Künst­ler im Rah­men der ih­nen ge­bo­te­nen Mög­lich­kei­ten, ver­sus von Ku­ra­to­ren/Ex­per­ten nach ih­ren Kri­te­rien aus­ge­wähl­ter Kunst. Her­kömm­lich ist man über­zeugt, daß die Ex­per­te­naus­stel­lun­gen mehr bie­ten als die Pro­duz­ent­e­naus­stel­lun­gen. Aber: um die Ex­per­ten­aus­wah­len wür­di­gen und be­ur­tei­len zu kön­nen, muß man den Be­stand ken­nen, aus dem aus­ge­wählt wur­de. Um zu be­ur­tei­len, was in ei­ner Aus­stel­lung in Er­schei­nung tritt, muß man auch aus­stel­len, was nicht für aus­stel­lungs­wür­dig ge­hal­ten wur­de. Wel­che do­cu­men­ta oder Bien­na­le kann es sich lei­sten, ih­re tat­säch­lich ge­zeig­te Aus­wahl durch die Prä­sen­ta­tion des nicht Ge­wähl­ten sinn­fäl­lig wer­den zu las­sen? Ei­ne In­i­ti­a­ti­ve wie das Fo­rum Jun­ge Kunst mit der Be­to­nung der Er­mög­li­chung von Prä­sen­ta­tio­nen er­füllt ge­nau die For­de­rung der Be­grün­dung ge­gen­ü­ber je­der ku­ra­to­ri­schen Son­der­klas­sen-Pa­ra­de. Ei­ne Ein­schrän­kung der Ge­sichts­punk­te, wie sie Ku­ra­to­ren not­wen­di­ger­wei­se ha­ben müs­sen, kön­nen sich ei­ne Bank und auch ein "Fo­rum" nicht lei­sten. Es wi­der­sprä­che der Lo­gik des Ban­king, gar der Lo­gik Mehr als ei­ne Bank, wenn man z.B. Kre­di­te nur für die Her­stel­lung von be­reits durch­ge­setz­ten Pro­duk­ten ver­ge­ben wür­de. Ein Fo­rum Jun­ge Kunst ist kei­ne Preis­trä­ger-Pa­ra­de, son­dern ein Ma­ni­fest der sondern ein Manifest der Möglichkeiten, deren Wirkung erst aus der Überführung des Möglichen ins Reale erwartbar wird.
More than a bank, jawohl! Mehr als das Mögliche ist die Überführung des Möglichen in die Wirklichkeit der Zukunft als Gegenwart.

siehe auch: