Vortrag / Rede Forum Junge Kunst
Zur Eröffnung des Forum junge Kunst in der SEB Bank AG
Zur Eröffnung des Forum junge Kunst in der SEB Bank AG
-Zusammenfassung
Was kann das heutzutage heißen, für eine Kunst- oder Kultur-initiative die Patronage zu übernehmen, wenn man nicht Bundespräsident oder Minister ist, deren Schirmherrschaft als Schutzschild gegen unliebsame Anwürfe und weitergehende Verfolgungen dient?
Nach meiner Auffassung hat der Patron ein Bekenntnis zu Konzepten und Zielrichtungen solcher Initiativen öffentlich abzugeben.
Was gilt es gegenwärtig zu bekennen? Z.B., daß man kulturelle Aktivitäten weder als Behübschungsmaßnahmen noch als Gelangweiltenbelustigung, weder als bildungsbürgerliche Freizeitübung noch als Prestigemarker zu verstehen bereit ist.
Dann gilt es also auch zu bekennen, in welcher Hinsicht besagte Initiativen, durchaus in Relation zu Mitteln und Zwecken, als sinnvoll angesehen und in praxi genutzt werden können.
Ich zeichne mein Bekenntnis zum Forum Junge Kunst der SEB in drei Hinsichten aus:
1. Die Bedeutung der Künstlerrolle ist in den zurückliegenden Jahren in vielen Bereichen gerade für Nicht-Künstler, also für Zeitgenossen unseres sozialen und politischen Alltags, bedeutsam geworden.
Künstler ist, ob er denn malt oder rechnet, Substanzen in Reagenzgläsern schüttelt oder totes Blech zur Selbstbewegung animiert, wer seinen Geltungsanspruch ausschießlich durch sich selbst begründet, ohne Möglichkeit der Strafe bei Ablehnung oder Belohnung bei Zustimmung - ohne Erfolgsnachweis per Einschaltquote, Abverkaufsrate oder Besucherzahlen.
Die Nicht-Künstler reden mit der Autorität des Delegierten, Promovierten, Approbierten als Repräsentanten von Fachschaften, Kollegien,Schulen, Parteien, Firmen.
Wunderbares Mirakel: Warum hören immer mehr Menschen diesen Künstlern zu?
Antwort: Weil inzwischen jedermann als Patient, als Konsument, als Staatsbürger selbstverantwortliche Entscheidungen treffen muß, für die er sich weder auf Experten, Priester oder Politiker berufen kann.
"Jedermann ein Künstler", formulierte Beuys. Jetzt wissen wir, was das rechtlich, politisch und wirtschaftlich bedeutet: es hieß nicht, daß jeder beliebig malen, schreiben oder bildhauern kann oder soll, sondern daß jeder Zeitgenosse gezwungen ist, sich wie ein Künstler zu legitimieren, nämlich eigenverantwortlich gerade gegenüber den Anforderungen und Bedingungen, die man nicht als Experte abzuschätzen weiß.
Wer heute in die Klinik kommt, bestätigt rechtlich verbindlich durch seine Unterschrift, daß er als medizinischer Laie die Verantwortung für die eingeschlagenen Therapiemaßnahmen selbst übernimmt.
Wer sich heute um eine Stelle bewirbt, verpflichtet sich auf die zukünftigen Auswirkungen des von ihm rekonstruierten Lebenslaufs. Bis vor 150 Jahren hatten nur Künstler, Könige, Feldherren oder Heilige eine Biographie. Seit Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde buchstäblich der Jedermann biographiepflichtig. An zahlreichen Beispielen läßt sich so zeigen, daß das Künstlerselbstverständnis für das zeitgenössische Alltagsleben eine unvergleichlich größere Rolle spielt als je zuvor in irgendeiner Gesellschaft oder irgendeiner Epoche.
2. Gerade in Zeitläuften, in denen Vielen die Vorstellung von Fortschritt, Avantgarde und Geschichtlichkeit zweifelhaft wurde oder gar verloren ging, lernt man im Bereich der Künste, was heute vernünftiger- und produktiverweise mit der Berufung auf die Neuigkeit, das Schöpferische, die Entwicklung geleistet werden kann. So wußten die Künstler gerade als Avantgardisten, wie man mit der Forderung nach dem Neuen und dem neuesten Neuen umzugehen hat. Wenn etwas wirklich neu ist, ist es bestimmungslos, inhaltslos, fremd. Von dieser Art Neuem kann man dann nur in Bezug auf das Alte reden, von derart Fremdem nur mit Bezug auf das Vertraute. Also wußten die Künstler, daß tatsächlich avantgardistisch neu nur jene Leistungen sind, die uns zwingen, das vermeintlich Alte, Bekannte und Vertraute neu zu sehen. D.h., die Aufgabe der avantgardistischen Neuigkeitsproduktion besteht darin, die traditionalen, die historischen Bestände als Ressourcen für gegenwärtiges Handeln zur Verfügung zu stellen. Das gilt nicht nur für Modemacher und Grüner-Punkt-Unternehmer, also nicht nur für das Recycling der 40er-, 50er-, 60er-Jahre-Moden und die Verwandlung alter Dosen in Designerschmuck.
Generell läßt sich in Natur und Kultur das Neue im wesentlichen als neuer Blick oder neue Anverwandlung des Alten ausweisen. Fortschritt bedeutet dann eine immer weiter gehende Vergegenwärtigung der Geschichte, der Traditionen in der Gegenwart einer Gesellschaft. Daraus begründet sich die in allen westlichen Gesellschaften beobachtbare Zunahme von Museen aller Sparten. Es läßt sich an zahlreichen Alltagsbeispielen leicht zeigen, was die Musealisierung für gesellschaftlichen Fortschritt und als Produktionsressource gegenwärtig leistet.
3. Seit Mitte der 1980er Jahre wird mehr als die Hälfte unseres Bruttosozialprodukts erzeugt, indem Produzenten und Konsumenten für die Hervorbringung und die Nutzung neuer Produkte auf Unterscheidungsleistungen zurückgreifen, die in der Geschichte der Kulturen, vor allem der europäischen Kultur seit der Renaissance, liegen.
Beispiel: Die Dynamik der Moden (halbjährliche Produktions- und Aneignungszyklen) entsteht aus dem Wechsel der Unterscheidungskriterien, mit denen man z.B. einen Anzug von einem anderen Anzug unterscheiden kann (Reversschnitte, Stoffdessin, Zahl und Art der Knopfleisten u.dgl. mehr). Wir rekrutieren diese Kriterien der Unterscheidung, mit denen wir die neuen Produkte zu erfassen versuchen, aus dem Alten, dem Traditionellen, dem Überkommenen, dem Musealisierten. Dann hat man zwar den Verdacht, es sei alles schon einmal dagewesen und deshalb nur ein Neuaufguß. Die Künstler zeigen aber äußerst raffiniert und kenntnisreich, daß dieser Verdacht nicht zutrifft. Heute wird diese Begründung der Künstler über die Nicht-Identität oder erzwungene Abweichung bei Ererbung und Vererbung, Kopierung, Erinnerung durch Hirnforschung und Genetik bestätigt, deren Erkenntnisse wie die der Künstler heute unmittelbar ökonomisch, ökologisch, politisch und sozial wirksam sind. Auch in diesem Fall läßt sich mit Verweis auf die Exponate eine große Zahl von Beispielen für die Macht des kleinen, manchmal (z.B. in der monochromen Malerei) kaum sichtbaren Unterschieds anführen.
Ein Patron hat auch zu bekennen, ob ihn die Initiativen mit Blick auf Mittel und Vorgehensweisen beispielhaft erscheinen, ob etwa tatsächliches Mäzenatentum ausgeübt wird oder bloße exotische oder manchmal spektakuläre Zufallsereignisse präsentiert werden.
Forum Junge Kunst ist in beiden Hinsichten beispielhaft: zum einen bekennt die SEB, wie die vormalige HBfG-Bank, daß sie mit dem Anspruch mehr als bloß ein Geldinstitut zu sein, Gelegenheit zum Handeln, zur Wirkung, zur Kommunikation mit anderen systematisch und kontinuierlich bieten will. Das zeichnet den wahren Mäzen aus, etwas zu ermöglichen, was ohne seine Beihilfe nicht geschähe. Der Mäzen fördert oder macht sich nicht nur zu eigen, was ohnehin geschieht. Derartiges Bieten von Aktionsmöglichkeiten oder Gelegenheiten zur Entfaltung des Neuen wird durch den herkömmlichen, nichtsdestoweniger von Künstlern erfundenen Begriff des Kredits umschrieben. Einen Kreidt zu gewähren heißt eben, eine Gelegenheit zu bieten, damit sich in Zukunft etwas realisieren läßt. Aber die Zukunft wird als solche nur sichtbar, wenn man sie in der Gegenwart antizipierend schafft.
Mehr als eine Bank heißt mit mehr zu rechnen als mit dem, was bereits der Fall ist, also mit der Zukunft, die als Zukunft dieser Gegenwart auch nur in dieser Gegenwart realisiert werden kann. Wie gesagt, seit rund 600 Jahren sind Künstler in ihrem Werkschaffen auf derartige Zeitschöpfungsmodelle (wie die in der Gegenwart realisierte Zukunft oder den Sieg der Gegenwart über alle übrige Zeit) spezialisiert.
Zum anderen stützt sich das Forum Junge Kunst auf die Tätigkeit eines eingetragenen Vereins, der sich die Förderung junger Kunst zum Ziel setzt. Derartige Förderung bietet, gleichermaßen wie die Aktivität Mehr als eine Bank, Gelegenheit zur Entfaltung künstlerischer Geltungsansprüche. Sie interveniert nicht durch Auswahl, Verkaufsförderung, Propaganda dieser oder jener bevorzugten künstlerischen Aktivität junger Leute; sondern sie ermöglicht den jungen Leuten, die Aktualisierung ihres künstlerischen Potentials.
Zur Veranschaulichung verkürzen wir das Modell zur Entgegensetzung von Selbstorganisation, etwa junger Künstler im Rahmen der ihnen gebotenen Möglichkeiten, versus von Kuratoren/Experten nach ihren Kriterien ausgewählter Kunst. Herkömmlich ist man überzeugt, daß die Expertenausstellungen mehr bieten als die Produzentenausstellungen. Aber: um die Expertenauswahlen würdigen und beurteilen zu können, muß man den Bestand kennen, aus dem ausgewählt wurde. Um zu beurteilen, was in einer Ausstellung in Erscheinung tritt, muß man auch ausstellen, was nicht für ausstellungswürdig gehalten wurde. Welche documenta oder Biennale kann es sich leisten, ihre tatsächlich gezeigte Auswahl durch die Präsentation des nicht Gewählten sinnfällig werden zu lassen? Eine Initiative wie das Forum Junge Kunst mit der Betonung der Ermöglichung von Präsentationen erfüllt genau die Forderung der Begründung gegenüber jeder kuratorischen Sonderklassen-Parade. Eine Einschränkung der Gesichtspunkte, wie sie Kuratoren notwendigerweise haben müssen, können sich eine Bank und auch ein "Forum" nicht leisten. Es widerspräche der Logik des Banking, gar der Logik Mehr als eine Bank, wenn man z.B. Kredite nur für die Herstellung von bereits durchgesetzten Produkten vergeben würde. Ein Forum Junge Kunst ist keine Preisträger-Parade, sondern ein Manifest der sondern ein Manifest der Möglichkeiten, deren Wirkung erst aus der Überführung des Möglichen ins Reale erwartbar wird.
More than a bank, jawohl! Mehr als das Mögliche ist die Überführung des Möglichen in die Wirklichkeit der Zukunft als Gegenwart.
Ausstellungskatalog · Erschienen: 2000