Buch Artists for Tichy - Tichy for Artists (Miroslav Tichy)

[anlässlich der Ausstellung Artists for Tichý - Tichý for Artists, Museum Moderner Kunst Passau - Stiftung Wörlen, 8. Dezember 2006 - 25. Februar 2007]

Artists for Tichy -Tichy for Artists, Bild: Wipplinger/Hoesle (Hg.). Stiftung Wörlen Museum Moderner Kunst Passau, 2006..
Artists for Tichy -Tichy for Artists, Bild: Wipplinger/Hoesle (Hg.). Stiftung Wörlen Museum Moderner Kunst Passau, 2006..

Erschienen
2005

Herausgeber
Museum Moderner Kunst Passau - Stiftung Wörlen | Wipplinger, Hans Peter | Hoesle, Adi

Verlag
Verlag für moderne Kunst Nürnberg

Erscheinungsort
Nürnberg, Deutschland

ISBN
3-939738-16-6

Seite 27 im Original

Kunstpotlach

Vor Tagen erschien Adi Hoesle und bot mir an, einen Tausch zu vermitteln: Er werde mir eine Photoarbeit von Tichý für meine Sammlung überlassen, wenn ich ihm für die Stiftung einer Tichý-Archivs eines meiner Arbeitsresultate übereignete. „Aber das kann ich doch nicht annehmen, mein Freund, sicherlich ist gegenwärtig ein Tichý sehr viel mehr wert als ein Bazon!“ Der Blick Hoesles signalisierte etwas zwischen Unverständnis, kopfschüttelnder Überlegenheit und Erzieherglück. Ich glaubte verstanden zu haben. „Na also,“ meinte Hösle, „dann schreiben Sie das mal auf für unseren nächsten Katalog.“ Da Hoesle inzwischen bei jeder Gelegenheit nach der textlichen Fassung meines Verstehenssignals fragte, sehe ich mich gezwungen, nachfolgendes abzuliefern.

Seit langem empfindet man es als unangemessen, Kunstwerke als Ware und nichts als Ware zu behandeln, wobei besonders die Frage heikel ist, wie sich der Marktwert eines Werkes bestimmen läßt. Daß ein Kiefer-Gemälde auf einer Auktion für einen bestimmten Betrag ersteigert wurde, oder von Galeristen mit einem bestimmten Preis ausgezeichnet wird, bedeutet gar nichts im Hinblick auf die Verkaufbarkeit respektive den zu erzielenden Preis weiterer Kiefer-Gemälde, zumal sie als Kunstwerk von vornherein Anspruch auf Einzigartigkeit erheben. Was bedeutet da der Marktwert von Kiefer? Vielleicht folgendes: Er bezeichnet die Bereitschaft, über Kiefer-Werke in Beziehung zu anderen Menschen, sprich Sammlern, Besuchern, Feuilletonlesern zu treten. Derartige Beziehungen müssen ausgestaltet werden; sie beginnen und enden nicht mit der Aushändigung des Objekts und mit dem Eingang einer Zahlung. Die Provinienzien gehören zur Beschreibbarkeit der Werke. Wie viele sich für sie interessieren (als Ausstellungs-besucher) oder wer sich gar auf sie intensiv durch Inbesitznahme einläßt oder über sie etwas schreibt oder erzählt, schafft dem Werk eine Biographie als gemeinschaftsstiftende Bezugsgröße sozialer Bindung. Die Art und Stärke dieser Bindungen ergibt sich aus der gemeinsamen Orientierung der Partner auf das Bemerkenswerte, Erzählenswerte, Erörterungswerte, also auf das Bedeutsam-Problematische. Bedeutsam sind Probleme nur, soweit sie nicht lösbar sind und man nur lernen kann, mit ihnen umzugehen. Kunstwerke sind von eben jenem problematischen und daher interessanten Charakter.

Angesichts dieser Funktion und Bedeutung von Kunstwerken, ist es sicherlich angemessener, statt vom Marktwert der Kunstwerke, von ihrem Austauschwert als Gebrauchswert zu sprechen. Dazu müssen wir von der Marxschen Differenzierung von Tauschwert und Gebrauchswert übergehen zur Beschreibung des Geschenktausches nach Marcel Mauss oder besser noch zur Tauschzeremonie des Potlatsch, die Franz Boas parallel zu Mauss und Malinowski in den 1920er Jahren zur Debatte stellte. Ursprünglich wurde der Potlatsch von nordwest-amerikanischen Indianern genutzt, um gesellschaftlicher Stabilität nicht allein an die Ausübung ökonomischer Macht zu koppeln. Wer als hochrangig in der gesellschaftlichen Hierarchie gelten wollte, mußte das durch einen Prestige-zuschlag auf die Tauschobjekte zum Ausdruck bringen. Das höchste Prestige hat natürlich ein Geschenk. Demzufolge sind im Potlatsch für den Austausch unter den Menschen alle Objekte nur als Geschenke von Bedeutung. Nichts ist selbstverständlicher als die Annahme, daß die Anstrengung, ein Geschenk zu machen, von der Leistungsfähigkeit des Schenkenden abhängt. Um ein Gleichgewicht zwischen den unterschiedlich fähigen Schenkern und beschenkten Schenkern zu garantieren, müssen also die Geschenke von unterschiedlichem Wert sein. Im Potlatsch wurde also schon früh das individuelle wie soziale Handicap in die sozialen Austauschbeziehungen eingeführt. Im Modernen Westen entdeckte man das Handicap als Gleichheitsgarant in der Ungleichheit, um Golfspielern unterschiedlichster Befähigung das gemeinsame Spielen zu ermöglichen. Im Potlatsch hieß das: Wer hohes Prestige in Anspruch nehmen will, muß höherwertige Geschenke bieten als der Minderprivilegierte, um das Ziel zu erreichen, von den Minderfähigen, Minderbemittelten, Minderwertigen als ihresgleichen anerkannt zu werden. In der Außenbeziehung der Gruppen gilt das gleiche, mit dem Ziel, das gemeinsame Überleben in gegebenen Territorien bei begrenzten Ressourcen zu ermöglichen.

Wie man dieses Modell auf heutige Wirtschaftsbeziehungen übertragen könnte, ist schon öfters erörtert worden, vor allem in Hinblick auf Obligationen und Kredit-gewährung respektive Festlegung des Zinsniveaus. Wie weit entfernte man sich aus den heute gängigen Praktiken der Marktwertfingierung von Kunstwerken, wenn man das Geschehen in den unterschiedlichsten Aktionsfeldern von Künstlern, Galeristen, Museumskuratoren, Kunsthistorikern- und Kritikern als Potlatsch-Zeremonien auffassen würde? Jedenfalls wäre der Preis, den jemand für ein Werk bezahlt, ein Ausdruck für sein Interesse an gemeinschaftsstiftenden Problemorientierungen und ein Hinweis auf seine Streßtoleranz.

Das ist weitestgehend schon der Fall, wenn sich etwa ein relativ junger Sammler wie mein guter Christian Boros vor seinen Sammlungsstücken mit der ausdrücklichen Bekundung ablichten läßt, er sammle nur, was er nicht verstehe, was aber im Brockschen Sinne gerade als Problem höchste Bedeutung habe, anstatt sich bloß wie herkömmliche Chefs mit Statussymbolen zu schmücken. Boros behauptet so, nur noch ein kleines Handicap zu haben im Unterschied zu jenen, die nur sammeln, was ihre Vorurteile bestätigt. De facto zahlen also die Vorurteilsbefangenen unverhältnismäßig mehr als der muntere Herr Boros, der aufgreift, was bei jenen wenig gilt: das problematische Werk. Gerade durch dieses Verhalten wurde Boros einer Öffentlichkeit stiftenden Aufmerksamkeit teilhaftig, wie sie ein herkömmlicher Souverän der Geschmacks- und Akzeptanzbekundung seit langem nicht mehr erreicht.

Wie ist das zu verstehen? Für die herkömmlichen Prestigesammler ist der gezahlte Ankaufspreis in erster Linie ein Mittel zur Entlastung von der Rechtfertigungs-pflicht. Wer zahlt, braucht keine Argumente, so lernen wir bei Alfred Schmela. Wer nicht kauft, wird argumentativ gestreßt. Im Versuch, den Nichtkäufer zu überzeugen, werden ihm intelligente Argumente zur Kenntnis gebracht, die der Käufer leider nicht einmal vermißt. Der Potlachgalerist nutzt das Werk zur sozialen Bindung an den Besucher, wobei beide sich auf den Gebrauch ihrer Intelligenz, Erinnerungskraft und Empathie einlassen, die sie ohne Bezug aufeinander nicht aktiviert hätten.

Dafür schenkt der Besucher dem Galeristen Lebenschancen in Beiträgen zu Raummieten, Druck- und Bewirtungskosten.

Ist das illusorisch? Ich probiere es eben mal mit Adi Hoesle im Geschenketausch fürs Tichý-Museum. Schließen Sie sich an!

siehe auch: