Vortrag / Rede Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum - Ein inkompetenter Dialog?

Ausstellung vom 23. Mai bis 17. September 2012

Naturhistorisches Museum Wien, Burgring 7, 1010 Wien, Austria | T: +43 1 52177-410
www.nhm-wien.ac.at

Das Naturhistorische Museum in Wien zeigt vom 23. Mai bis 17. September 2012 die Ausstellung „Daniel Spoerri im Naturhistorischen Museum - ein inkompetenter Dialog?“.

Auf Einladung des NHM lässt sich Daniel Spoerri, eine der herausragendsten Künstlerpersönlichkeiten des 20. und 21. Jahrhunderts, der Erfinder der Eat-Art auf einen unkonventionellen Dialog mit den Museumssammlungen ein.

Abgesehen von den Fallenbildern, die Tableaux pièges, auf denen die Reste von Tischgesellschaften fixiert wurden, ist Daniel Spoerri auch für sein leidenschaftliches Sammeln berühmt. In den meisten
seiner Assemblagen finden sich Objekte wieder, die üblicherweise in naturhistorischen Museen gesammelt werden. Schon immer faszinierten Daniel Spoerri Knochen, Hörner, Hölzer und seltene
Steine. Solche Objekte waren auch Bestandteil der underkammern der Renaissance, es waren Dinge, über die man staunte, weil man sie sich nicht erklären konnte, aber verstehen wollte.

Es ist sein ausgeprägter Sinn für skurrile Objekte sowie seine profunden Kenntnisse der Wunderkammer-Tradition musealer Sammlungen, die die Faszination von Daniel Spoerris Kunstwerken ausmachen.

Sammlungen sind das Herzstück jedes Museums. In Museen wird Ordnung produziert. Die auf Reisen, Expeditionen oder andere Art erworbenen Objekte werden in Museen sortiert, präpariert, katalogisiert, bestimmt und mit Namen, Fundort und Datum versehen. Heute werden die meisten neuen Arten im Museum beschrieben. Erst der Vergleich mit anderen und ähnlichen Sammlungsobjekten ermöglicht die Bestimmung.

Schon seit den 1960er Jahren spielten Sammlungen eine bedeutende Rolle in Daniel Spoerris OEuvre. Einige seiner Kollektionen, wie ein Regal mit 117 Fläschchen mit Wasserproben aus bretonischen Brunnen oder „Darwin‘s Nudlrad-Collection“ sind in der Ausstellung zu sehen. Wie kommt es zur Referenz zu Charles Darwin? Der Künstler sieht die von Darwin beschriebene Evolution (sei es eine Weiterentwicklung oder eine Sackgasse) von Flora und Fauna auch in Objekten abgebildet, da der Mensch nach gleichen Prinzipien Artefakte herstellt, die er ständig verändert und zu verbessern sucht.

Termin
22.05.2012, 18:30 Uhr

Veranstaltungsort
Wien, Österreich

Veranstalter
Naturhistorisches Museum Wien

Dada in der Wissenschaft - Spoerri im Naturhistorischen Museum Wien

Wo mit Pathos in jedem Dorf ein Kompetenzzentrum gegründet wird und alle Lehrpläne auf Kompetenzerwerb ausgerichtet sind, besteht Daniel Spoerri auf Inkompetenz. So erkennt man selbstständige Geister, die den modischen Quark nicht breittreten wollen – auch wenn sie sich damit scheinbar als Unzeitgemäße in den Augen der Mehrheit herabsetzen.
Der Gegensatz von Mode heißt Kontinuität. Die geschichtliche Kontinuität von Inkompetenz reicht vom sokratischen Wissen, dass man nichts weiß über die docta ignorantia von Cusanus, Goethes Anspruch auf Dilettantismus, Paul Feyerabends dadaistische Kritik der Wissenschaft bis zur Derridaschen Erörterung folgenden Typs:

„Wenn das Sprechen die bloße Information, das Wissen und das Erkennen übersteigt, bricht es in die Nacht des Nichtwissens ein. Nichtwissen ist nicht einfach Unwissen, sondern gehört einer anderen Ordnung an, der Ordnung des Nichtwissens: Ein Nichtwissen, das keinen Mangel darstellt, keine Undurchsichtigkeit, Unsachlichkeit, Unangemessenheit. Nichtwissen ist das dem Wissen Heterogene.“
Ein Beispiel für eine solche Ordnung des Heterogenen ist bekanntlich die Poesie. Selbst umgangssprachlich ist es geläufig, von wilden Assoziationen zu sprechen (engl. brain storming) oder vom Veitstanz der Ideen. Entstellung bis zur Kenntlichkeit bezeichnet nicht nur Karikaturen, sondern auch die unfreiwillige Realsatire politischer und wissenschaftlicher Phrasendrescherei. Sehr viel besser, nämlich zugleich einfacher und anspruchsvoller, geht Daniel Spoerri bei der Parallelisierung von naturwissenschaftlicher Ordnung und künstlerischem Bilddenken vor.

Er arbeitet mit Gestaltanalogien – etwa mit der Analogie von Großhirnrinde und Koralle, deshalb auch Gehirnkoralle genannt – und mit sprachlicher und begrifflicher Metaphorik. So setzt er in den Zahnkranz eines Raubfisches eine Hand im Segnungsgestus, in der Rhetorik als Achtungszeichen gebräuchlich. Evoziert wird das Bild des im Maul des Fisches verschwundenen Jona, der wieder ausgespieen wird. Die lehrende Hand verweist auf das gleichnyß, dass man vor seiner Pflicht zur Rettung der Gemeinschaft nicht davonlaufen kann. Die Ordnung der Gleichnisse oder Sinnbilder befördert Spoerri mit seinem bildnerischen Denken zurück in die wissenschaftliche Reflektion, wo sie als emblematisches Denken bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts fest verankert war und noch die Ordnung der Kunst- und Wunderkammern bestimmte.

Spoerri betont im Titel seiner Ausstellung den Dialog von Künsten und Wissenschaften. Der Dialog ist nicht auf Konsens angelegt. We agree to disagree, ist eine alte Maxime der dialogischen Orientierung. Inkompetenz kann man nur behaupten, wenn man die Unterscheidung zwischen Kompetenz und Inkompetenz trifft. Das Gleiche gilt für unkonventionell, inakzeptabel oder inkontinent. Immer ist deren Behauptung von der Kenntnis der Differenz zur anderen Seite der Unterscheidung abhängig. Damit erweist sich in Wahrheit, dass man ungeheuer viel wissen muss, um zu erfahren, dass man nichts weiß – oder, dass man ungeheuer kompetent sein muss, um die eigene Inkompetenz zu erahnen.
Spoerris bildnerisches Denken erweist dem inkompetenten Dialog als den einzig gelingenden oder im Derridaschen Sinne als eine mögliche Erfahrung von Unmöglichkeit.