Krieg und Kuchen
Bildwerk als Erkenntnismittel. Kata Legradys cognitive tools
Kann man den Tisch mit den physikalischen Apparaten, an dem Lise Meitner und Otto Hahn 1938 ein Experiment durchführten, das Meitner und ihr Neffe später als erste Kernspaltung beweisen konnten, als das „Werk“ von Meitner-Hahn bezeichnen? Ganz sicher nicht, niemand würde eine solche Verwechslung von Werk und Werkzeug akzeptieren.
Im Kunstbereich wird nur allzu leichtfertig das Werk der Künstler mit deren Werkzeug gleichgesetzt. Entsprechend geht der Anspruch auf Werkschaffen verloren. Man gibt sich damit zufrieden, mit Werkzeug zu hantieren. So besitzt der größte Teil der Arbeiten zeitgenössischer Künstler keinen Werkcharakter mehr, weil auf den Ausweis von Erkenntnis mit eröffnendem Weltsinn zwangsläufig verzichtet wird – sei es aus modernistischer Beschränktheit, derzufolge Werkschaffen unmöglich geworden ist; sei es aus der Not schneller Reaktion auf Marktbedürfnisse.
Seit 100 Jahren versuchen Pataphysiker, Dadaisten, Surrealisten und Konzeptkünstler aller Bereiche der Versuchung zu widerstehen, bloßes Hantieren mit Werkzeug – und sei es noch so avanciert – als Kunstwerkschaffen auszugeben, indem sie weitestgehend auf Werkzeugmeisterschaft verzichten. Je dilettantischer oder ostentativ stümperhaft die Behandlung der Mittel, desto geringer die Verführung, in der Demonstration des Werkzeuggebrauchs schon das Werk zu sehen.
Andererseits wurde seit ebenso langer Zeit diskutiert, ob es Erkenntnis oder generell Geistestätigkeit ohne materiell-physische Verkörperung geben könne. Wenn aller Geist also auf „embodiment“ angewiesen ist, muss das Verhältnis von Werk und Werkzeug neu bestimmt werden. So entstand die Idee der Erkenntnismittel, der theoretischen Objekte oder cognitive tools, wobei an die Stelle des alten Werkbegriffs die Verpflichtung auf Wirkung trat.
Die Arbeiten von Kata Legrady erfüllen geradezu beispielhaft diese zeitgemäße Orientierung auf das Verhältnis von Handeln und Wirken sowie von Vergegenständlichung (embodiment) von Körper und Geist. Sie zielt auf Erkenntnis und nicht auf die Behauptung von Werkschaffen, das analog zur Schöpfung Gottes den Anspruch auf einen ontologischen Status erheben könnte. Sie zielt also auf Wirkung im Rezipienten, im Nutzer ihrer Arbeitsresultate. Der Betrachter leistet die Anstrengung einer Erkenntnis des Zusammenhangs von Kitsch des Geschmacks und des Gemüts einerseits und der Zerstörungslust andererseits. Für letzteres stehen die Waffen, für ersteres das Geschmacksdesign.
Im Übergang des lateinischen dulce zum italienischen dolce – also dem Übergang von Kriegsheroismus zu Gesellschaftsklatsch bei Törtchen und Unterhaltungsmusik – verweist Kata Legrady auf anthropologische Konstanten wie auf die Kulturgeschichte, auf zuckerbasierte Gehirnenergie oder auf die sprichwörtliche „Dolcemanie“ pathologisch aggressiver Menschen.
Damit erweist sich Kata Legrady als eine erstrangige Agentin universeller Zivilisierung der Kraftmeierei wie des Behübschungszaubers.
Bazon Brock
siehe auch:
-
kata legrady – Abschnitt in:
D'ars - magazine of contemporary arts and cultures
Magazin · Erschienen: 01.12.2011
-
Dulce et decorum – Die Zuckerwaffen der Kata Legrady – Abschnitt in:
Vernissage der Ausstellung von Kata Legrady
Vortrag / Rede · Termin: 12.10.2011, 18:30 Uhr · Veranstaltungsort: Mailand, Italien · Veranstalter: Mudima - Fondazione per l’arte contemporanea