Buch Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 3

Erschienen
1987

Erscheinungsort
München, Deutschland

Umfang
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Gemeinschaft der Blumes – eine Probe aufs Exempel

Gemeinschaftsarbeiten von Künstlern sind in der Kunstgeschichte stets ein heikles Problem gewesen - zumal dann, wenn die Künstler eine enge Lebensgemeinschaft, gar als Ehepaar, eingegangen sind. Die gesellschaftlich festgeschriebene Dominanz des Mannes führte entweder dazu, die Beteiligung der Ehefrau an einem Projekt als bloße Hilfestellung einzustufen oder aber das Werk der Partnerin für eine bloße zweitrangige Nachahmung der Arbeit des öffentlich dominierenden Mannes zu halten. Der Tradition gemäß wird künstlerische Arbeit im Unterschied zur Arbeit in anderen Bereichen nur je einem individuellen Urheber zugesprochen; bei Gemeinschaftsarbeiten ist das per Definition nicht möglich, weshalb sie ebenso traditionsgemäß nur als nebengeordneter Werkstypus verstanden werden.
Da die gemeinsamen Arbeiten der Blumes gegenwärtig und vielleicht noch auf längere Zeit - allein schon wegen des nur gemeinsam bewältigbaren Arbeitsquantums - ihr Hauptwerk darstellen, muß die Rezeption darauf abheben, die individuellen Anteile an der gemeinsamen Arbeit stets präsent zu halten, das heißt, die gemeinsame Arbeit einmal aus der Sicht der Künstlerin und zum anderen aus der Sicht des Künstlers zu erschließen; das Gemeinsame wäre dann gerade der unübersehbare Wechselbezug der Konzepte. Das Gemeinsame liegt für die Arbeiten also nicht in den gemeinsamen Auffassungen, sondern darin, daß diese Auffassungen erst gegeneinander abgesetzt ihre besondere Prägnanz herausbilden. Das Gemeinsame ist nicht die Summe der individuellen Anteile; das Gemeinsame ist der Differenzpunkt, von dem die Besonderheiten erfahrbar werden.
Beiden Künstlern geht es in der Entwicklung ihrer individuellen Konzepte um die Frage, was künstlerische Wahrnehmung und Gestaltung in der Konzentration auf die selbstverständlichen und für selbstevident gehaltenen Phänomene der Alltagswelt auszurichten vermag. Beide antworten darauf gleichermaßen, daß künstlerische Wahrnehmung und gestalterische Formulierung des Unspezifischen und Redundanten dazu führen muß, das Selbstverständliche zum Thema zu erheben, was nur durch Problematisierung möglich ist.
Anna Blume hat das scheinbar sich selbst genügende kleinbürgerliche Milieu einer Kölner Vorstadt thematisiert und zum Problem erhoben, indem sie zum Beispiel in ihren Zeichnungen aus der selbstgenügsamen Konkretheit der Lebenserscheinungen Gestaltungsmuster abstrahierte. Wenn sie etwa spazierengehende Frauen zeichnet, löst sie von den Stoffmustern der Kleider das abstrakte Formgefüge wie eine auf die Figuren gelöste Projektion der Geschmacksurteile des Zeitgeistes; wobei sie die Tragik und die Komik herausarbeitet, die darin liegt, Kleinbürger zu Repräsentanten einer Formwelt zu machen, an deren Hervorbringung und Begründung sie keinerlei Anteil haben. Solche tragikomischen Effekte sind ihr vornehmlich in der kleinbürgerlichen Lebenswelt der 50er Jahre aufgefallen, als das Kleinbürgertum, aber auch das Bürgertum die pauschal sogenannte abstrakte Formensprache der Künstler mit ungespielter Empörung ablehnte, um diese Formensprache aber als Muster auf Kleidern und Stoffen, auf Möbeln und Geschirr als Ausdruck des modernen Zeitgeistes um so bedenkenloser zu akzeptieren.
Anna Blume problematisiert und thematisiert in ihren Zeichnungen dieses Mißverhältnis von Formensprache als mißverstandenem ornamentalem Dekor und der künstlerischen Formensprache als einem in sich geschlossenen System der Formulierung von Formen als künstlerischen Ideen.
Damit hat Anna Blume der künstlerischen Wahrnehmung der kleinbürgerlichen Welt, wie sie herkömmlich als Sozialkritik zwischen Zille und Käthe Kollwitz einerseits und den Künstlern der neuen Sachlichkeit andererseits ausgeprägt wurde, eine neue Sichtweise hinzugewonnen: nämlich den Kleinbürger als Medium der Vergegenständlichung universeller, sogenannter abstrakter künstlerischer Formensprache. Das ist eine um so bedeutsamere Thematisierung, als in der Kulturgeschichte das Ornament in Arbeits- und Trachtenkleid der arbeitenden Bevölkerung entweder nicht vorhanden war oder aber völlig anders verstanden wurde. Es ist eine diskussionswürdige Feststellung der Arbeiten Anna Blumes, daß der Triumph der abstrakten künstlerischen Formensprachen ausgerechnet durch diejenigen ermöglicht wurde (nämlich die Masse der Kleinbürger), die diese künstlerische, eigenständige Welt des Lebens und der Formen für anmaßenden Hokuspokus halten.
In die gemeinsamen Arbeiten der Blumes bringt Anna Blume die kleinbürgerliche Lebenswelt ein, die als vollständig verrückt erscheint, wenn sich in ihr die angeblich problemlos selbstverständlichen Formen (zum Beispiel gestapelte Teller, gewienerte Kachelböden, verschachtelte Schränke) verselbständigen, sobald sie abstrakt gesehen werden, das heißt, sobald die alltäglichen Verrichtungsrituale nicht mehr als in ihren Funktionen gesichert erlebt werden.

Die Hausfrau als Künstlerin

Die agierende Hausfrau gewinnt in ihren Tätigkeiten künstlerische Kraft, wenn sie, vom Arbeitsaufwand sich endlos und alltäglich wiederholender funktionsmechanischer Tätigkeit überfordert, die vermeintlich stabile Ordnung ins Chaos stürzen läßt, oder wenn sie in Anwandlungen feministischen Selbstbewußtseins ihre gesellschaftliche Rolle als Hüterin des klaglos Selbstverständlichen aufgibt, um zu demonstrieren, daß die narrensichere Verwaltung des angeblich unauffälligen und uninteressanten Alltagslebens mehr organisatorische und kreative Kraft verlangt als die selbstherrliche Erfindung künstlerischer Gegen- oder Eigenwelten.
Die Kreativität macht sich in der Abkoppelung der Formenwelt zum Beispiel eines Küchenambientes von den Funktionen jenes Objektensembles bemerkbar. Die Hausfrau als Künstlerin erreicht diese Abkoppelung jedoch nicht nach dem Beispiel, das Künstler wie Duchamp entwickelt haben. Duchamp gelang die Dekontextuierung, indem er die Alltagsobjekte in den Kontext der Museumskultur überführte. Die kreative Hausfrau wird zur Künstlerin durch Dekomposition, durch den Zusammenbruch der formensicherenden Funktionen.
Die Funktionen brechen zusammen, wenn die agierenden Alltagsmenschen zum Beispiel ihre Rolle als Hausfrau aufkündigen und die Dingwelt sich selbst überlassen; denn erst die psychisch stabile und fraglos ihre Rolle spielende Hausfrau sichert die Selbstevidenz des erwartungsgemäß normalen Funktionierens der Objekte, die einen Haushalt haltbar, also kalkulierbar werden lassen und derart vorherbestimmbar, daß wir mit den Dingen nicht mehr zu rechnen haben. Insofern ist ein feministischer Ansatz in die Arbeiten von Anna Blume eingegangen, als zu Recht behauptet wird, daß erst die festgeschriebenen Rollen der Frauen die Alltäglichkeit der Lebenswelt garantieren, vor der sich dann die schöpferischen Entwürfe künstlerischer oder technischer Eigenwelten frei vagabundierender männlicher Kleingötter auffällig abheben.
Mit diesen schöpferischen Omnipotenzphantasien der Männer sei es aber nicht weit her, sobald die Hüterinnen der Problemlosigkeit ihren Priesterinnendienst aufkündigen; dann stürze der Tempel der kalkulierbaren Selbständigkeiten ein und würde seinerseits zum Ereignisort des Einbruchs des Innovativen, vorrangig in Gestalt des Chaos, vor dem die männlichen Ersatzgötter in panische Angst geraten. Die feministische Hausfrau ist dann insofern wenigstens wirksam geworden wie ein Künstler, als es ihr gelang, andere, natürlich in erster Linie die schöpferischen Kleingötter, zu Reaktionen zu zwingen: Sie müssen sich >erklärenIch will die heilige Fläche ... Ich will den Gegenraum ... Ich will die absolute Form, … dann wird unendliche Erregung und die Feierlichkeit des Weltalls spürbar ...Reduktion von Natur und Vielfalt auf ihr geometrisches Wesen als den Grundsymbolen des SeinsStil der Erlösung und Ruhebloß< dokumentierend oder widerspiegelnd eingesetzte Fotooptik der eigenständigen Logik des Mediums zufolge (Ausschnittwahl, Perspektivwahl, mechanische Verkleinerung und Vergrößerung) immer auch inszenatorische Elemente der Bildfindung zu gewärtigen hat. Inzwischen haben sich diese Aspekte des Mediumgebrauchs zu eigenständigen fotografischen Bilderfindungen entwickelt, die unter dem Namen >subjektive Fotografie< auf die künstlerisch/gestalterische Erfindung der Gegenstandsweit vor der Fotokamera verweisen.

Fotografierte Transzendental-Philosophie

Beiden Konzepten folgen die Blumes: Sie inszenieren in Gegenstandswelten vor der Kamera, und sie nutzen die subjektive Kameraführung. Was kann dann aber die Behauptung meinen, die Blumes arbeiteten nunmehr vornehmlich fotografisch, um ihren künstlerischen Konzepten beim Betrachter eine höhere Glaubwürdigkeit zu sichern?
Die Fotografie ist ihrer chemotechnischen Basis zufolge Lichtschrift (wie der Film). Die von der Kamera gelieferten Bilder sind Reflexionen des Lichts durch die Objektweit. Das Sichtbarwerden der Objekte ist das Resultat ihrer Möglichkeiten, Licht zu reflektieren. Diese Grundvoraussetzung verschafft dem Medium insofern Anspruch auf Objektivierung, als nur fotografisch Bild werden kann, was als lichtreflektierendes Objekt tatsächlich vor der Kamera vorhanden ist (respektive da, wo die Fotoplatte selber als lichtreflektierendes Objekt eingesetzt wird). Objektivierende Kraft hat das Medium also durch die unvermeidliche Schlußfolgerung, daß ein fotografisches Bild immer eine Behauptung über die außerhalb des Mediums und außerhalb der subjektiven Wahrnehmung gegebene Welt darstellt.
Halb ironisch distanziert, halb spekulativ systematisch vollziehen die Blumes mit der Kamera also nach, was die Transzendentalphilosophie Kants erarbeitete: die Welt entdeckt sich uns als gegebene nur in den Medien unserer Wahrnehmung, ist aber dennoch auch außerhalb unserer Wahrnehmung vorhanden; was sie aber außerhalb unserer Wahrnehmung ist, bleibt uns prinzipiell verschlossen. Das Fototheater der Blumes trainiert den Betrachter, mit den Objekten jenseits unserer Wahrnehmung von ihnen zu rechnen. Wie aber läßt sich das per Definition prinzipiell Unerschließbare als solches erfassen? Durch Beweis ex negativo (wir haben nur das, was uns fehlt).
Die heutige Version dieses Gottesbeweises ist das Blackbox-Verfahren. Die Blumes verwandeln die Objekte fotografisch in schwarze, uneinsehbare Schachteln, die zwischen Wahrnehmung und gedanklicher Abstraktion verbinden und damit ein Wandlungsgeschehen ermöglichen, das weiter reicht und weiter trägt als alle bekannten Verfahren der Anwendung als kontrollierter und kalkulierter Überführung eines Zustandes in einen anderen.
Die durchgängig romantische, also reflektiert ironische Haltung der Blumes wird verständlich, wo sie als Resultat ihrer Arbeit feststellen müssen, nur einen Kreis der Argumentation geschlossen zu haben; ihr Ausgangspunkt war die Thematisierung und Problematisierung des Selbstverständlichen und Evidenten, die aber nur dazu führt, anerkennen zu müssen, daß das Evidente nur so lange Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sichert, als es nicht zum Problem erhoben wird. Alle Glaubwürdigkeit einer Beweisführung leitet sich letztendlich daraus ab, daß uns etwas >einleuchtetfreier Künstler< zu wählen. Gegen die gelehrten Künstler wie gegen die lehrenden Künstler bestehen von Seiten der >freien Künstler< gewisse Vorbehalte: Man hält ihnen vor, ihr künstlerisches Arbeiten nicht mit dem Risiko existentiellen Scheiterns zu verknüpfen, weshalb die Glaubwürdigkeit ihrer künstlerischen Arbeit erheblich gemindert werde. Obwohl sich dieses Argument als Überbleibsel der Geniekultideologie des 19. Jahrhunderts erkennen läßt und eine Reihe von Künstlern Anerkennung fanden, die Zeit ihres Lebens lehrten, muß man dieses Argument ernst nehmen. Dem Argument liegt eine Fehleinschätzung des Verhältnisses von Produzieren und Lehren zugrunde. Das geht aus dem gegen das Lehren immer wieder ins Spiel gebrachte Reizwort >Didaktik< hervor. Vom Didaktiker wird behauptet, er verwende didaktische Methoden zur adressatengerechten Verabreichung von mehr oder weniger dogmatisch festgeschriebenem Wissen; die Fülle der lebendig wuchernden geistigen Produktion werde vom Didaktiker unstatthaft beschränkt und kanalisiert. Natürlich gibt es unproduktive Didaktiker - wie es eben auch unproduktive Künstler gibt. Didaktisches Arbeiten ist seinem Wesen nach aber in erster Linie ein Problem für die lebendig und das heißt zumeist recht chaotisch Produzierenden; sie arbeiten didaktisch, um selber zu umfassenden, kohärenten Aussagen zu kommen; aus eigener Erfahrung wissen sie am besten, daß auch die Vermittlung, das Lehren, eine eigenständige produktive Tätigkeit darstellt. Der gelehrte und der lehrende Künstler unterscheiden demzufolge nicht zwischen künstlerischem Arbeiten und der Unterweisung von Lernenden. In beiden Bereichen kommt es darauf an, Verfahren auszubilden, mit denen man einzelne punktuelle, produktive künstlerische Gedanken miteinander sinnvoll zu verknüpfen und mit denen man durchgängige Themen als Arbeitsaufgaben zu formulieren vermag. Das können Didaktiker leisten - das hat den Blumes ihr didaktisches Lehren ermöglicht. Man sollte ihnen deswegen ihre systematische Konzentration auf derartige Themen nicht immer wieder als Konsequenz methodisch eingeschränkten Lehrens vorwerfen. Auch die Obsessionen freier Künstler wirken sich thematisch einengend aus, ohne daß damit (zumindest punktuelle) Vertiefung zwangsläufig verbunden ist. Die aber haben die Blumes mit ihrer produktionsdidaktischen Systematik unzweifelhaft erreicht; es sieht so aus, als ob kontinuierliches und systematisches Arbeiten zumindest heute nur noch Künstlern möglich ist, die durch den ideologischen Glanz der >freien< Künste nicht mehr zu ohnehin haltlosen Omnipotenzphantasien verführt werden können, weil sie sich ihrer Berufsrolle als >unfreie< Arbeiter wie alle anderen Beteiligten an den gesellschaftlichen Arbeitsprozessen sicher sein können.

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